Arnsberg/Düsseldorf. Die Region hat noch viel Platz für neue Windräder, so eine neue Studie. Wie Menschen in der Region darauf reagieren.
Michael Pathe lebt gerne in dem 125-Seelen-Ort Harbecke, eines von insgesamt 18 Dörfern im sogenannten „Bauernland“ am westlichen Rand des Schmallenberger Sauerlandes. „Die Fernsicht hier ist einmalig“, sagt er, „nicht auszudenken, wenn die Umgebung mit Windkraftanlagen zugepflastert würde.“
Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) hat soeben untersucht, wo sich in NRW geeignete Flächen zum Ausbau der Windenergie befinden. Michael Pathe bereiten die Ergebnisse der „Flächenanalyse Windenergie“ Bauchschmerzen: Insbesondere in der „Planungsregion Arnsberg“ (Gebiet der Bezirksregierung Arnsberg) ist noch viel Platz für neue Windräder. Und: Der Hochsauerlandkreis hat mit insgesamt 12.426 Hektar Fläche das landesweit größte Potenzial für den Bau neuer Windräder. „Ich befürchte“, sagt Pathe, „dass die Politik, an den Interessen der Bürger vorbei, bei uns viele der durch Borkenkäfer und Trockenheit brach liegenden Flächen für den Ausbau der Windenergie nutzen will.“
Bis 2027 mindestens tausend zusätzliche Windenergieanlagen
Die NRW-Landesregierung will bis 2027 mindestens 1000 zusätzliche Windenenergieanlagen errichten. Das nicht so dicht besiedelte Sauerland dürfte eine Hauptlast tragen.
Wenn man so will, entzweit der Ausbau der Windkraft bereits jetzt die Region, spaltet ganze Dörfer: Während die einen mit Blick auf eine Verbesserung der Energieunabhängigkeit die Notwendigkeit sehen, lehnen andere mehr Windräder mit Hinweis auf den Natur-, und Artenschutz, auf Folgen durch Lärm und Schattenwurf sowie auf eine drohende Verspargelung der Landschaft ab. Insbesondere Hauseigentümer und Mieter, die sich durch ein Windrad in ihrem Wohnumfeld gestört fühlen könnten und einen Wertverlust ihres Grundstücks befürchten.
Folgen für das Ökosystem Wald
Michael Pathe ist keinesfalls gegen Windkraft, wie er betont. „Ich habe nur etwas dagegen, wenn die Dinger exzessiv in die Landschaft gesetzt werden.“ Anstatt aufzuforsten versiegele man Flächen für Windrad-Fundamente mit Beton und lege breite Teerstraßen für Schwertransporte an. Mit negativen Folgen, wie er findet: „Die Waldböden erodieren noch mehr. Wir werden erleben, dass Hang um Hang bei Starkregen abrutscht.“
Guido Fersterer aus Schmallenberg-Brabecke engagiert sich im Verein für Umwelt und Naturschutz Schmallenberg. „Wir sind keine Windkraftgegner“, sagt der 52-Jährige. Windkraft könne einen wichtigen Beitrag leisten. Aber: „Wir sehen auch, dass die Politik derzeit aus ideologischen Gründen dabei ist, etwas zu opfern, was wir eigentlich dringend erhalten müssen: die Natur.“ Für den Ausbau der Windenergie müsste insbesondere im Sauerland „viel Natur im so wichtigen Ökosystem Wald zerstört werden“.
Unabhängiger bei der Energiegewinnung werden
Natürlich weiß Fersterer, dass „wir alle unseren Beitrag“ leisten müssen, um unabhängiger bei der Energiegewinnung zu werden. „Aber ist es nicht sinnvoller für den Klimaschutz“, fragt er, „wenn auf Kalamitätsflächen (Wald-Ausfallflächen durch Sturm oder Borkenkäfer) aufgeforstet wird, anstatt für ein Windrad eine Fläche von 10.000 Quadratmetern zu roden und die Hälfte davon dauerhaft für das Fundament und Zuwege zu versiegeln?“ Man dürfe die große Bedeutung des Waldes zur Bindung von CO2 sowie für den Wasserkreislauf und den Hochwasserschutz, aber auch für den Artenschutz nicht vergessen.
Im Sauerland seien die Planungen für Windenergieanlagen viel weiter, als viele dächten, sagt Fersterer: „Es sind zahlreiche Projektierer unterwegs, die zu Landbesitzern gehen und ihnen hohe Geldsummen – teilweise mehr als 100.000 Euro Pacht pro Jahr – für ihre Flächen bieten. Und sich hinterher womöglich nicht darum kümmern, wer die Anlagen betreibt und ob der Betrieb rentabel ist.“
Wie reagieren Touristen?
Hinzu komme, dass ein Ausbau der Windenergie im großen Stil das Landschaftsbild in der heimischen Tourismusregion zerstöre, findet Fersterer: „Wer will denn dann noch ins Sauerland reisen? Abgesehen davon, dass man sich die Frage stellen muss, was es mit einer Ortschaft macht, wenn sie von Windrädern umzingelt wird und ihre Bewohner mit dem Wegfall der 1000-Meter-Abstandsregelung für Windräder zu Wohngebieten in NRW zunehmend unter Lärm leiden und massiv an Lebensqualität einbüßen.“ Die NRW-Landesregierung will im Zuge einer Änderung des Landesentwicklungsplans nach deren Aussage eine „Umzingelung“ von Orten mit Windrädern verhindern.
Jedenfalls werden derzeit bereits mehrere Windkraftprojekte in Südwestfalen vorangetrieben. So wurde kürzlich in Drolshagen die „Erste Drolshagener Bürgerwind GbR“ gegründet. Bislang dreht sich in der Stadt im Kreis Olpe kein Windrad. Das soll sich ändern.
Großprojekt im Herdringer Forst
Weitaus größere Dimensionen hätte ein Projekt im Herdringer Forst zwischen Möhnesee (Kreis Soest) und Arnsberg (Hochsauerlandkreis). Dort soll nach den Plänen des Projektentwicklungsunternehmens Juwi „Nordrhein-Westfalens größter Windpark“ mit bis zu 35 Windenergieanlagen entstehen.
Wenn alles planmäßig läuft, könnte die Anlage ab Ende 2028 Strom liefern, heißt es. Dem Arnsberger Bürgermeister Ralf Paul Bittner zufolge bietet sich für die Region „mit diesem Vorhaben eine herausragende Chance, durch den Einsatz erneuerbarer Energien einen großen Schritt auf das Ziel der Klimaneutralität zuzumachen“.
Energiestadt im Kreis Paderborn
Arnsberg als künftige Energiestadt? Mit diesem Titel wirbt bereits Lichtenau im Kreis Paderborn, das nach eigenen Angaben unter anderem mit den 187 Windenergieanlagen auf dem Gemeindegebiet 10 mal so viel Strom aus erneuerbaren Energien produziert „wie die insgesamt rund 11.800 Einwohner verbrauchen“. Die Dimensionen sind insbesondere Verkehrsteilnehmern auf der A 44 im Umfeld der Ausfahrt Lichtenau/Marsberg-Meerhof bekannt.
Die Lichtenauer jedenfalls, sagt Bürgermeisterin Ute Dülfer, hätten sich mit den vielen Windrädern abgefunden. Mehr noch: „Die Akzeptanz für die erneuerbaren Energien ist wegen der Energiekrise noch deutlich gestiegen.“
Genug Flächen für weitere Windenergieanlagen
Christian Mildenberger ist Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW (LEE), der vom ehemaligen Arnsberger Regierungspräsidenten Hans-Jochen Vogel angeführt wird. „In Südwestfalen als drittstärkster deutscher Industrieregion“, so Mildenberger, sei der „Strombedarf aus erneuerbaren Energiequellen besonders hoch“. Daher begrüße man die Flächenanalyse des Lanuv, da sie aufzeige, „dass es landesweit genügend Flächen für weitere Windenenergieanlagen gibt“.
Allerdings sei mit der Lanuv-Studie noch keine Entscheidung getroffen, an welchen Standorten künftig Windenergiegebiete ausgewiesen werden, betont Mildenberger: „Diese obliegt den Planungsregionen.“
Regionalrat entscheidet
Für Südwestfalen treffe der Regionalrat die Entscheidung: „Da das Flächenpotenzial landesweit bei 3,1 Prozent liegt und mindestens 1,8 Prozent ausgewiesen werden müssen, besteht eine gewisse Flexibilität bei der Auswahl der Flächen durch den Regionalrat. So stehen beispielsweise durch Dürre/Borkenkäfer, Stürme zerstörte Waldflächen – sogenanntes Ödland – zur Verfügung. Es gibt aber auch in den Städten weitergehende Interessen, die selbst klimaneutral werden wollen und für ihre Bevölkerung und ihre Unternehmen klimaneutralen und preiswerten Strom brauchen.“
Nach Mildenbergers Auffassung wird sich „am Ausbau der Windenergie an Land“ entscheiden, „ob Deutschland seine eigenen Klimaziele erreichen wird“. Sein Appell an die Politik: „Wir brauchen jetzt ein wesentliches höheres Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien. Jahrelange Genehmigungsverfahren, wie bislang, kann sich niemand mehr leisten.“