Sendenhorst. Otto Becker ist Bundestrainer der Springreiter. Aber nicht nur. Er ist auch Besitzer eines Ausbildungsstalls. Wie es dort zugeht. Eine Reportage.

Es ist nur ein kurzer Satz. Aber es ist einer, der Konfliktpotenzial birgt, der das Verhältnis von Chef und Angestelltem auf eine harte Probe stellen kann – wenigstens denke ich das. Nach Schwielen oder Blasen an den Händen fragt Otto Becker mich und ergänzt, während er lässig an die Küchenzeile im Pausenraum gelehnt steht, mit einem Blick auf seine Hände: „Also, ich habe schnell Probleme.“ Bevor ich dem Bundestrainer der Springreiter antworten kann, fällt der Satz: „Das kann man ändern, Otto!“

Was folgt, ist… Gelächter.

Von Gerd, von Ebba, von Frederick, von Otto Becker. Denn der junge Mann, der seinem 60-jährigen Chef laut und lachend rät, mal des Öfteren selbst zu Mistgabel oder Besen zu greifen, ist Nico Hollenbeck.

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Dass dieser eine besondere Rolle auf der Reitanlage im Münsterland einnimmt, wird mir schon Stunden zuvor bewusst. Kurz nachdem das schmiedeeiserne Tor die Fahrt zu Stall, Reithalle und der Lagerhalle freigibt. Morgens um Sieben beginnt mein Einsatz als Stallbursche bei Bundestrainer Otto Becker. Und morgens um Sieben begrüßt mich wer mit einem flotten Spruch?

Hollenbeck, Nico Hollenbeck.

Westfalenpost-Redakteur Falk Blesken arbeitet als Stallbursche im Betrieb von Otto Becker. Hier beobachtet Checker den Gast in seiner Box.
Westfalenpost-Redakteur Falk Blesken arbeitet als Stallbursche im Betrieb von Otto Becker. Hier beobachtet Checker den Gast in seiner Box. © Elmar Redemann

Er ist der verlängerte Arm von Otto Becker. Er ist der Verwalter; der Mann, der anpackt, der die Dinge rund um den Reitbetrieb regelt, wenn der Chef weltweit zu Turnieren oder Besprechungen unterwegs ist. „Und das ist Otto besonders im Frühjahr und Sommer oft“, sagt Hollenbeck schmunzelnd.

Dass sich der Betrieb des Bundestrainers im Kern nicht von unzähligen Pferdehöfen in der Region unterscheidet, wird an diesem Morgen schnell deutlich. Okay, Plakate von großen Turnieren, wie Olympia, dem CHIO oder den Weltreiterspielen, bei denen der Chef selbst startete, hängen woanders nicht an den Wänden. Solarien oder Laufbänder für die Pferde gehören heutzutage aber fast ebenso zur Standardausstattung wie eine Führanlage.

Filigrane Forkenführung ist gefragt

Otto Becker und seine Frau Julia leben seit 2004 mit ihren drei Kindern auf dem Anwesen im Münsterland. „Der Kauf war ein Glücksfall“, erzählt Becker, Mannschafts-Olympiasieger 2000 und Erster beim Weltcup-Finale in Leipzig 2002. Nach und nach sei die Anlage „nach modernen Gesichtspunkten“ erweitert worden. In 32 lichtdurchfluteten Boxen kann Becker aktuell Vierbeiner unterbringen, die federführend von Bereiter Frederick Troschke für den Einsatz im Sport oder zum Verkauf ausgebildet werden.

Und die morgens gemistet sowie gefüttert werden wollen.

Wenn die Box sauber ist, muss neues Stroh oder müssen neue Späne eingestreut werden. Eine der Aufgaben von Falk Blesken.
Wenn die Box sauber ist, muss neues Stroh oder müssen neue Späne eingestreut werden. Eine der Aufgaben von Falk Blesken. © Elmar Redemann

Ausschweifende Gespräche? Gerne, aber erst während der Arbeit und bitte nicht auf Kosten der Gründlich- oder Schnelligkeit. Zu dritt – Nico, die aus Schweden stammende Ebba und ich – rücken wir also mit Forken und Schubkarren in den einen Boxentrakt ein. „Im anderen ist Gerd fleißig“, sagt Hollenbeck.

Gerd ist die Halbtagskraft unter den sechseinhalb Angestellten der Beckers und offenbar sehr geübt, zumindest attestiert ihm Nico eine herausragende Schnelligkeit in allem. Am Rande erwähnt er das. Oder um mich unter Druck zu setzen?

Zwei Boxen, in denen Späne statt Stroh gestreut werden, soll ich säubern. Aber wirtschaftlich, „sonst schimpft Otto“. Was das heißt? Alles raus, neue Späne rein – so geht es eben nicht. Filigrane Forkenführung ist gefragt. Und trotzdem ernte ich, als die riesige grüne Karre zum ersten Mal voll ist, den mehr oder weniger strengen Hinweis: „Normalerweise kommen wir mit einer halben Karre aus.“ Tja. Immerhin stört sich Checker, der neunjährige Wallach, nicht an meinen Bemühungen. Dass er etwas länger auf sein Futter warten muss, nimmt er gelassen hin.

Darum stand Checkers Box lange leer

Zahlen und Fakten

Zwischen 250 und 600 Euro kostet in der Regel eine Box in einem Pensionsstall. Der Preis hängt vom gebotenen Service ab und davon, ob der Stall im ländlichen Bereich liegt oder in einer Großstadt.

Bei der Tierseuchenkasse NRW sind aus dem Regierungsbezirk Arnsberg 4.419 pferdehaltende Betriebe mit zusammen 33.023 Pferden gemeldet.

Der Umsatz der deutschen Pferdewirtschaft liegt bei geschätzten 6,7 Milliarden Euro. Darunter fallen 39 Prozent (2,6 Mrd. Euro) der Ausgaben auf den Bereich Pferdehaltung.

So, wie Otto Becker den Kommentar Hollenbecks während der Frühstückspause, vor der die Einteilung ansteht, wer sich wann wie um welches Pferd kümmert, locker nimmt. Selbst schwingt sich der Chef – übrigens ein begeisterter Anhänger der DM in Balve – nur noch selten in den Sattel. Viel öfter sitzt er im Büro der Anlage, in dem auf einer Empore eine eindrucksvolle Sammlung von Pokalen und Trophäen zu bestaunen ist. Turnierstarts müssen organisiert oder Futter bestellt werden. Der Bundestrainer coacht aber auch daheim gerne, gibt Tipps oder baut Hürden auf.

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Die Box von Checker ist übrigens eine besondere. In ihr stand Otto Beckers Erfolgspferd Cento, bis der Schimmel im Februar 2018 im stolzen Alter von 29 Jahren starb. „Anschließend haben wir die Box erstmal leer gelassen“, sagt der Chef, „vor allem Nico wollte das, er hat sich ja sehr um ihn gekümmert.“

Spätestens mit diesem Wissen ist das Konfliktpotenzial des süffisanten Satzes komplett erledigt. Hier stimmt die Chemie. Und ich fasse Nicos grinsend ausgesprochenes Urteil „Ausbaufähig, aber der Stall war sauber“ am Ende meines zupackenden Einsatzes mal als Lob auf. Blasen oder Schwielen an den Händen – habe ich allerdings nicht.