Hagen. Der Partyhit „L‘amour Toujours“ wird für rechtsradikale Parolen missbraucht. Wie kommt das - und wie sollten Veranstalter reagieren?
Die Roten Funken Belmicke haben „L‘amour Toujours“ aus ihrer Auftrittsliste gestrichen. Sie waren zu dem Partyhit im Februar bei einer Karnevalssitzung in Drolshagen-Berlinghausen aufgetreten, als einer oder mehrere Besucher volksverhetzende Parolen dazu sangen. Die Roten Funken sind nicht die einzigen. Das Oktoberfest in München gab am Montag bekannt, dass der Song nicht gespielt wird. Weitere Veranstalter wollen inzwischen das Stück von Gigi D’Agostino von ihrer Playlist streichen, weil der Hit von Rechtsextremen gekapert wurde.
Immer wieder gibt es derzeit Eklats, weil kleine Gruppen auf Volksfesten und bei Partys auf die Melodie des Songs rassistische und volksverhetzende Parolen skandieren, zum Beispiel auf Sylt. Was ist das für ein Musikstück, und wie geht man damit um? Die Frage drängt, denn Rechtsradikale missbrauchen auch andere Partyhits, zum Beispiel „Major Tom“, für ihre Propaganda.
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Bereits in der Weimarer Republik haben Neonazis erfolgreich versucht, Stimmung zu machen und Menschen zu manipulieren, indem sie populäre Melodien mit neuen Texten versahen. So geht das Horst-Wessel-Lied auf ein Lied zurück, das nichts mit Nazis zu tun hat. Das Muster dahinter: Die Bekanntheit einer Melodie lockt auch unbeteiligte Passanten oder Besucher an; die neuen Texte dienen der ideologischen Infiltrierung, zunächst einmal, ohne dass der Infiltrierte überhaupt merkt, dass er manipuliert wird. Damals gab es noch keine sozialen Medien, die Manipulation erfolgte bei Aufmärschen und Festen.
L‘amour Toujours: Bekannte Melodie manipuliert
Auch heute versuchen Rechtsradikale, Menschen über bekannte Hits für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Das positive Lebensgefühl, das der Hit transportiert und seine Bekanntheit soll mit den rechtsradikalen Parolen verknüpft werden und auf sie übergehen. Das Ziel: Zu unterstellen, dass die formulierten rassistischen oder volksverhetzenden Parolen allgemeines Gedankengut seien, eine Gefolgschaft erzeugen.
Im Zeitalter der sozialen Medien sind Hits besonders gefährdet. Der Missbrauch von „L‘amours Toujours“ ist auf TikTok und You Tube regelrecht explodiert. Die volksverhetzende Umdeutung begann wohl als TikTok-Trend: Junge Leute posteten und posten Versionen des Stücks, in denen die rassistischen Zeilen zu hören sind, und diese finden rasend schnelle Verbreitung. Das Ganze ist eine geschmacklose Mutprobe, aber auch ein Köder, den rechtsradikale Demagogen auslegen. Denn die Melodie wird hier zum Code, zum Erkennungszeichen für Gleichgesinnte, eine Art Dunkles Mal wie bei den Todessern Harry Potters. Der gemeinschaftlich begangene Rechtsbruch dient nicht zuletzt der Gruppenbindung. Die wenigsten dieser Jugendlichen dürften eine rechtsradikale Gesinnung haben; es handelt sich möglicherweise um einen Tabubruch als Mutprobe, der allerdings Aussagen salonfähig macht, die Straftatbestände erfüllen.
Erstmals in breiterem Rahmen in der Region auffällig wurde dieser Missbrauch von „L‘amour Toujours“ übrigens Mitte Dezember 2023 durch ein Video, das öffentlich wurde und in einer Disco in Reichshof-Wildbergerhütte im Oberbergischen Kreis an der Grenze zum Kreis Olpe entstand, wie Radio Berg berichtete. Auf dem Video seien zu den Parolen auch angedeutete Hitlergrüße zu sehen. Der Betreiber der Disco brach das Stück ab, als er die Parolen hörte. Am ersten Weihnachtstag sei der Song wieder gespielt worden, mit einer Ansage im Vorfeld, so Radio Berg: Wer rechtsextrem singt, fliegt raus. Die Szenen hätten sich dennoch wiederholt. Der Club hat das Stück daraufhin von der Playlist gestrichen.
Das Stück selbst ist ein Liebeslied. Der Refrain lautet so: And I‘ll fly with you/I‘ll fly with you/ I‘ll fly with you /You/You/You. Gigi D‘Agostino hat am Wochenende in einem Statement gegenüber dem „Spiegel“ betont, dass sein Lied von der Liebe handelt, sich zum aktuellen Missbrauch jedoch nicht geäußert. Ganz unschuldig ist „L’amour Toujours“ übrigens dennoch nicht. Denn auf den Videos zu sehen ist DJ und Produzent D‘Agostino. Erst 2020 wurde aber bekannt, dass der britisch-nigerianischen Sänger Ola Onabulé die Stimme des Welterfolges ist, aber nirgends genannt wurde.
Helene Fischer hingegen passt auf, wer mit ihren Liedern Trittbrett fahren will. Als die NPD 2015 „Atemlos“ in ihrem Wahlkampf spielte, zog die Sängerin wegen Rufschädigung vor das Thüringer Oberlandesgericht. Mit Erfolg. Auch die Band „Wir sind Helden“ ließ 2014 gerichtlich untersagen, dass die NPD ihren Titel „Gekommen, um zu bleiben“ spielt.
Ein großes Problem mit dem rechtsradikalen Missbrauch von Hits haben die Kölschrockbands. Das liegt in der spezifischen Thematik ihrer Lieder begründet, die das Wir-Gefühl in speziellen kommunalen Systemen feiern, der Stadt Köln, bestimmten Vierteln und Straßen. Schon 2014 forderten die Höhner von der NPD Schadenersatz, weil diese unter anderem „Wenn nicht jetzt, wann dann“ im Wahlkampf auflegten. 2017 urteilte der Bundesgerichtshof (BGH), dass die Band es nicht hinnehmen muss, dass ihre Lieder auf Wahlkampfveranstaltungen der NPD gespielt werden.
Auch andere Bands wie die Bläck Fööss sind Opfer des Missbrauchs ihrer Lieder. Bei Liedern wie „In unserem Veedel“ nutzen Rechtsradikale das lokale Wir-Gefühl, das Heimat-Bewusstsein, das diese erzeugen und deuten es in ihrem Sinne um – die Tatsache ausblendend, dass dieses Wir-Gefühl bei den Kölschrock-Bands ausdrücklich alle Einwohner einschließt, auch die Zugewanderten. Mit der Kampagne „Kein Kölsch für Nazis“ versuchen die Kölner Bands, sich gegen den Missbrauch ihrer Lieder zu wenden.
Aber die Frage bleibt, wie man mit dem Missbrauch von „L’amour Toujours“ und weiteren Stücken umgeht. Dies wird derzeit in der Veranstaltungsbranche lebhaft diskutiert, eben weil nicht direkt eine beklagbare Organisation hinter den Parolen steckt, sondern weil es sich bei den Tätern vielfach um junge Leute handelt, denen häufig wenig bewusst ist, dass sie sich strafbar machen und die nicht reflektieren, dass sie selbst instrumentalisiert und manipuliert werden.