Schmallenberg. Paradising, Wolkengucken: Der Spirituelle Sommer bringt im Sauerland Kunst, Wissenschaft und Religion zusammen. Kann das gutgehen?

Der Derwisch tanzt in der Klosterkirche zu christlicher Orgelmusik, jüdischen Klezmertönen und islamischen Sufi-Weisen. Was sich liest wie die Utopie einer friedlicheren Welt, beschreibt die außergewöhnliche Realität des Festivals Spiritueller Sommer in Südwestfalen. „Unser Ziel ist es, künstlerische, wissenschaftliche und religiöse Perspektiven zusammenzubringen“, erläutert Projektleiterin Susanne Falk. „Es geht uns um Erkenntnisgewinn, um die Suche nach neuen Blickwinkeln.“

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Vom 5. Juni bis zum 1. September gibt es beim 13. Spirituellen Sommer 220 Veranstaltungen an 80 Orten zwischen Soest und Siegen, zwischen Iserlohn und Olpe. Ein Netzwerk aus katholischer und evangelischer Kirche, Tourismus und Heimatvereinen trägt das Festival, eine sicher weithin einmalige Veranstaltergemeinschaft. Ziel ist es, in einer Welt, die sich zu schnell und zu unruhig dreht, Momente des Innehaltens, des Nachdenkens und Verstehens zu schaffen. So gibt es zahlreiche Wander- und Pilger-Möglichkeiten, Führungen, Meditationen, Kunst- und Kreativitätsangebote, die umrahmt werden von einem ausgesprochen hochkarätigen Kunst-, Musik- und Vortragsprogramm zum Thema „Himmel und Erde“. „Wir brauchen Veranstaltungen, die Wissen vermitteln und solche, wo man Erfahrungen machen kann, welche die Verantwortung deutlich machen, die wir haben. Wir haben keine Berührungsängste. Die Religionen stehen neben dem, was Wissenschaft und Kunst sagen. Das darf bei uns nebeneinanderstehen. Dass das bei uns im Sauerland möglich ist, freut uns sehr“, so Susanne Falk.

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Der Hagener Maler Emil Schumacher ist ein international berühmter Künstler, der sich zeitlebens in seinem Schaffen mit dem Verhältnis von Himmel und Erde auseinandergesetzt hat. Unter diesem Titel sind in Zusammenarbeit mit dem Emil-Schumacher-Museum Hagen eine Auswahl an Gemälden, Zeichnungen und Papierarbeiten Schumachers in der Südwestfälischen Galerie in Schmallenberg-Holthausen zu sehen. „Wir freuen uns unglaublich, dass die Schumacher-Ausstellung zustande gekommen ist, und das Museum auch“, betont Susanne Falk.

In der St. Blasius-Kapelle in Schmallenberg-Sögtrop wird eine Gruppe von Textilkünstlern den ganzen Raum mit goldschimmernden Fäden bespannen, die einen Lichtstrahl formen. Die Installation „Himmlisch berührt“ will darauf aufmerksam machen, dass auch in Zeiten schlechter Nachrichten das Träumen ein wesentlicher Motor für Veränderungen ist.

Unser Ziel ist es, künstlerische, wissenschaftliche und religiöse Perspektiven zusammenzubringen.
Susanne Falk, Projektleiterin des Festivals Spiritueller Sommer

Träumen können die Festival-Besucher ebenfalls beim Wolkengucken auf der Wolkenbank, einer Klangskulptur des Künstlerpaares Katerina Kuznetcowa und Alexander Edisherov. Hoch über dem Alltag steht die Bank am Beerenberg oberhalb von Schmallenberg-Werpe. Wer sich setzt, kann die unaufhörlich sich verändernden und weiterziehenden Wolken beobachten; dazu erklingen poetische Texte über die Himmelswanderer in acht verschiedenen Sprachen.

Zu den besonderen Spielorten des Festivals gehören die Almequellen in Brilon-Alme und die Kirche St. Cyriakus in Schmallenberg-Berghausen mit ihrer einzigartigen romanischen Ausmalung. Dort erklingt Musik der Hildegard von Bingen mit der Cellistin Christina Meißner. An den Almequellen engagiert sich die Dorfgemeinschaft für den Spirituellen Sommer, um ihr Dort zukunftsfähig zu machen. „Unsere spirituellen Veranstaltungen in der Ruhe, Stille und Naturbelassenheit dieses Sauerland-Seelenortes lassen uns unsere Heimat noch mal auf andere Weise erfahren und wertschätzen. Literatur und Musik sind dabei wichtige Türöffner für diese Erfahrung“, begründet Wolfgang Kraft von der Dorfgemeinschaft, warum er sich beim Festival engagiert. Der Flötist Kyrill Kuzmin lädt zu einem musikalisch-literarischen Spaziergang an den Almequellen ein; Pfarrerin Kathrin Koppe-Bäumer spricht dazu literarische Texte.

Paradising: Das Paradies neu denken

Die Filmkunst ist als neues Format erstmals beim Festival vertreten. Fünf preisgekrönte Dokumentarfilme untersuchen die Beziehung des Menschen zur Erde, auf der er lebt. „Von der Filmreihe versprechen wir uns nochmal ein anderes Publikum“, so Susanne Falk. „Sie weitet noch einmal den Blick, wie in anderen Regionen mit dem Thema Himmel und Erde umgegangen wird.“ Perspektivwechsel ermöglichen auch Vorträge, zum Beispiel in Schmallenberg über das Schaf als heimlichen Star der Kunstgeschichte. Wie kein anderes Tier stehen Schafe einerseits für eine intakte, friedliche Natur und andererseits als Lamm Gottes für die Verbindung zwischen Himmel und Erde. Referentin ist Dr. Monika Willer (Autorin dieses Artikels), Kulturreporterin unserer Redaktion.

Ein spannender aktueller Forschungsansatz setzt Akzente über das eigentliche Festival hinaus. Der Hamburger Theologe Dr. Constantin Gröhn stellt auf dem Kohlhagen in der Gemeinde Kirchhundem das Konzept des Paradising vor: die Idee und das Bewusstsein, dass ein anderer Umgang mit der Erde denkbar, möglich und irdisch umsetzbar ist. Constantin Gröhns Mission: Wir müssen die alte Vorstellung vom Paradies zurückerobern.

Spiritueller Sommer 2024 / Kunstinstallation Himmlisch berührt: Die Gruppe txo2 spannt in der Kapelle St. Blasius in Schmallenberg-Sögtrop goldene Fäden.
Spiritueller Sommer 2024 / Kunstinstallation Himmlisch berührt: Die Gruppe txo2 spannt in der Kapelle St. Blasius in Schmallenberg-Sögtrop goldene Fäden. © Susanne Klinke / tx02 | Susanne Klinke / tx02

Der Anspruch, ein Thema aus verschiedenen Perspektiven und mit verschiedenen Sinnen wahrzunehmen, führt beim Spirituellen Sommer immer wieder zu ungewöhnlichen Paarungen von Genres und Akteuren. So wie bei dem Derwisch, der bei den Benediktinern im Kloster Königsmünster in Meschede tanzen wird.

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