Arnsberg. Müssen im Sommer wieder viele Flüchtlinge in Turnhallen unterkommen? Arnsberger Regierungspräsident Heinrich Böckelühr schlägt Alarm.
Der Arnsberger Regierungspräsident Heinrich Böckelühr (CDU) warnt angesichts wieder steigender Flüchtlingszahlen vor einer Überlastung der Kommunen. Seine Behörde ist für die Verteilung geflüchteter Menschen in Nordrhein-Westfalen zuständig. Es drohe die Unterbringung von Flüchtlingen in Turnhallen in beträchtlicher Zahl, sagt der 62-Jährige.
Die öffentliche Debatte über die Unterbringung von Flüchtlingen verläuft momentan merkwürdig leise. Zurecht?
Es brodelt unter der Decke, insbesondere in den Städten. In Gesprächen mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern verspüre ich große Sorgen – und die sind berechtigt, wenn man sich nur die nackten Zahlen anschaut.
Und was sagen die Zahlen?
Im vergangenen Jahr haben wir in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Bochum 95.000 Flüchtlinge registriert, davon 16.600 Menschen aus der Ukraine sowie Erfassungen für andere Bundesländer. Zum Vergleich: Im Jahr 2021, also vor dem Ukraine-Krieg, waren es 42.100 Flüchtlinge. Momentan erfassen wir in Bochum 1500 Flüchtlinge pro Woche. Auch die Zahl der Menschen, die aus der Ukraine zu uns kommen, steigt kontinuierlich. Wenn sich in der Politik nichts ändert, also die europäischen Außengrenzen nicht besser geschützt werden, es keine gerechte Verteilung auf alle EU-Mitgliedsländer sowie keine wirksamen Rückführungsabkommen gibt und der Ukraine-Krieg weiter andauert, dann wird sich dieser Anstieg fortsetzen. Dann werden wir im Sommer Verhältnisse wie im Jahr 2023 erreichen. Wir sprechen also in NRW von 65.000 bis 70.000 Asylbewerbern auf das ganze Jahr berechnet. Und was oft vergessen wird: Die müssen ja zu jenen addiert werden, die schon da sind. Deshalb sage ich den Kommunen: Ihr müsst euch vorbereiten. Wir unterstützen euch.
Aber die Kommunen haben die Belastungsgrenze längst erreicht. Sie erwarten Hilfe vom Bund, vom Land und auch von Ihnen.
Die Bezirksregierung macht ihre Hausaufgaben. Bis Ende des Jahres brauchen wir landesweit 41.000 Aufnahmeplätze, das ist die Verabredung des Ministerpräsidenten mit den kommunalen Spitzenverbänden. Momentan gibt es 34.000 Plätze in Landeserstaufnahmeeinrichtungen. Der Aufbau läuft. Der Regierungsbezirk Arnsberg muss 8240 Plätze bereitstellen, wir liegen jetzt bei 7200. Das können wir also schaffen.
Woran hapert es?
Nach meiner Wahrnehmung werden Einrichtungen mit maximal 200 Flüchtlingen von der Bevölkerung eher akzeptiert als die größeren. Deshalb sind wir weiterhin dringend darauf angewiesen, dass uns passende Grundstücke oder Immobilien genannt werden, die für Unterkünfte geeignet sind.
Reicht das?
Nein, deshalb müssen wir ja dringend neue Einrichtungen bauen. Ehemalige Baumärkte oder Container können ja keine Dauerlösung sein. Es geht ja nicht nur um die Unterbringung, sondern auch um Integration. Der private Wohnungsmarkt darf auch nicht unter der Situation leiden. Mir ist bewusst, dass die finanzielle Lage der Kommunen schwierig ist. Es sollten deshalb mehr günstige Schlichtwohnungen gebaut werden. Das hat nach dem Zweiten Weltkrieg auch funktioniert.
Und wenn nicht: Letzter Ausweg Turnhalle?
Die Nutzung von Turnhallen ist die Ultima Ratio, aber wenn die Zahlen sich so entwickeln, wie wir es prognostizieren, fehlt mir die Fantasie für andere Lösungen.
Die Kommunen können die Probleme nicht allein lösen.
Bund und Länder stehen in der Pflicht, eine auskömmliche Finanzierung der Kommunen zu gewährleisten. Aus meiner Sicht lässt Bundeskanzler Olaf Scholz die kommunale Familie im Stich; die Berliner Blase hat die Tragweite des Problems immer noch nicht erkannt. Am Ende hilft nur eine Begrenzung des Zuzugs. Die Zahl der Abschiebungen ist ja auch völlig unzureichend.
Anderes Streitthema: Windkraft. Haben sich die Wogen geglättet?
Ich bin sehr stolz darauf, dass wir es hinbekommen haben, mit unserem Regionalrat eine gemeinsame Idee dafür zu entwickeln, wie wir die Vorgaben des Landes, nämlich 13.200 Hektar für Windkraft zur Verfügung zu stellen, erreichen können. Wir machen das in einem offenen, transparenten und nachvollziehbaren Verfahren. Der Regionalrat wird in einer Sondersitzung am 23. Mai über den entsprechenden Aufstellungsbeschluss abstimmen. In Südwestfalen, insbesondere im Sauerland, ist es uns gelungen, dass wir an vielen Stellen auch den Abstand von 1000 Metern der Windräder zur Wohnbebauung halten können und trotzdem die Zielvorgaben erreichen. Das verbessert die Akzeptanz in der Bevölkerung. Meiner Meinung nach schließen sich auch Tourismus und Windenergie nicht aus. Akzeptanz schafft man nicht mit der Brechstange. Wir sind in einem sehr guten und intensiven Austausch mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern in Südwestfalen.