Meschede. Gehackte Südwestfalen-IT benötigt offensichtlich mehr Geld und Personal. So viele Stellen sind beim kommunalen Dienstleister unbesetzt.
Zugespitzt formuliert ist es ja so: Sein neuer Job besteht erst mal darin, sich zu entschuldigen. Für Fehler wohlgemerkt, die er nicht zu verantworten hatte.
Mirco Pinske steht also im Kreishaus in Meschede, im Rücken die langsam untergehende Abendsonne, vor ihm im Sitzungssaal „Sauerland“ die Mitglieder des Kreisausschusses, die von ihm Antworten zum verheerenden Hackerangriff auf die Südwestfalen-IT erwarten. Pinske bauchpinselt die Kommunalpolitiker aus dem Hochsauerland zunächst, bedankt sich etwa für die „Einladung“, über den Vorfall „sprechen zu dürfen.“ Die Tagesordnung klingt allerdings eher nach Müssen denn nach Dürfen: Sondersitzung des Kreisausschusses, Aufarbeitung des Cyberangriffs auf die Südwestfalen-IT.
Diplom-Kaufmann Pinske ist seit dem 1. Februar der neue Chef der Südwestfalen-IT (SIT), jenes kommunalen IT-Dienstleisters, der Ende Oktober – also deutlich vor seinem Amtsantritt – gehackt wurde. Die Cyberattacke, die durch teils haarsträubende interne Versäumnisse bei der SIT zumindest begünstigt wurde, legte das IT-Unternehmen und damit 72 Kommunen und Kreise in Südwestfalen lahm. Sie hat aber auch zu einer Grundsatzdiskussion geführt, bei der es um die Zukunft der Region geht, dazu eine Vertrauenskrise zwischen der SIT sowie den Kreisen und Kommunen ausgelöst. Und: Der Hack hat Schäden wohl in Millionenhöhe verursacht, die wahrscheinlich an den Kreisen und Kommunen hängen bleiben.
Um all das muss sich Pinske nun kümmern. Es gibt sicher angenehmere Starts in einen neuen Job.
Vertrauensbildende Maßnahmen erforderlich
Bei seinem Auftritt in Meschede wird der 47-Jährige von seinem Stellvertreter Jörg Kowalke unterstützt. Zusammen informieren sie über den Ablauf der Cyberattacke, den Wiederaufbau der Systeme, der noch nicht abgeschlossen ist. Sie räumen Versäumnisse ein und sprechen über die künftige Ausrichtung des Unternehmens, das offensichtlich Schwierigkeiten hat, Personal zu finden. Pinske, ein Experte für Prozessoptimierung in kommunalen Unternehmen, schlägt demütige Töne an.
Nach dem Hackerangriff, für den die Gruppierung „Akira“ verantwortlich gemacht wird, war nicht zuletzt die Kommunikation der SIT von den Kreisen und Kommunen bemängelt worden, die sich schlecht bis gar nicht informiert fühlten, und außerdem das wahre Ausmaß der Attacke zunächst nicht klar von der SIT benannt sahen. Die Städte Arnsberg, Iserlohn, Menden, Lüdenscheid, Lippstadt und Soest drohten im Verlauf der Krise gar, der SIT den Rücken zu kehren. Das Vertrauen in den Zweckverband sei „schwer erschüttert“, hieß es in einem Schreiben.
Pinske findet zwar, dass die SIT beim Wiederaufbau der IT-Systeme doch ganz ordentlich arbeite, im Gespräch mit der WESTFALENPOST betont er aber auch mit Blick auf das Verhältnis der SIT zu den Kreisen und Kommunen: „Es muss ganz intensiv in vertrauensbildende Maßnahmen investiert werden.“
Fast 20 Prozent der Stellen unbesetzt
Investiert werden muss auch in weitere Bereiche. Es geht ja auch: ums Geld. Bis heute sind die Schäden infolge der Hackerattacke noch nicht beziffert, aber sie dürften in die Millionen gehen; allein der HSK spricht in einer vorläufigen Schätzung von bislang etwa 1,5 Millionen Euro. Wer übernimmt die Rechnung und die (politische) Verantwortung? Wer erfüllt mögliche Schadenersatzansprüche? Inwieweit besteht Versicherungsschutz? Und: Wie kann die SIT fit gemacht werden für die Zukunft? Vieles ist noch unklar. Die Rechnung aber, die dürfte am Ende bei den Kommunen und Kreisen landen, denn denen gehört praktisch die SIT.
Der kommunale Dienstleister, der neben den 72 Kommunen und Kreisen aus Südwestfalen etwa 30 weitere Kunden hat, finanziert sich über Entgelte sowie eine von den Verbandsmitgliedern – also Südwestfalens Kommunen und Kreisen – aufzubringende Umlage. Das könnte nun dazu führen, dass die SIT den Verbandsmitgliedern weitere Kosten beschert. Das HSK-Kreistagsmitglied Reinhard Loos, Fraktionsvorsitzender der „Sauerländer Bürgerliste e.V.“, bemerkt dazu: „Die SIT ist ein Umlageverband, das heißt, da kann nur das Geld rauskommen, das die Mitglieder vorher einzahlen. Das ist, als würden wir uns in einen Kreis setzen, jeder klaut seinem rechten Nachbarn zehn Euro, dann haben wir eine Gesellschaft von Taschendieben – und alle am Ende so viel Geld wie vorher.“ Und HSK-Landrat Dr. Karl Schneider kommentiert: „Eines kann ich voraussagen: dass wir die Kosten zum Schluss selber an der Backe haben.“
Für die Erhöhung der SIT-Umlage, welche für mehr IT-Sicherheit und Personal erforderlich sein soll, hat beispielsweise der Hochsauerlandkreis zunächst 102.000 Euro eingeplant. SIT-Geschäftsführer Pinske äußert sich auf Nachfrage nicht zu Zahlen (auch nicht zum SIT-Etat). Eine Erhöhung der Umlage sei eine Entscheidung der SIT-Gremien, welche von den Verbandsmitgliedern, also den Kreisen und Kommunen, besetzt werden. Wie groß der Handlungsbedarf bei der SIT ist, zeigt allerdings auch die Personallage.
Gutachten empfiehlt einen IT-Dienstleister für NRW
Laut Pinske sind bei der SIT, die knapp 350 Mitarbeiter habe, insgesamt 62 Stellen unbesetzt. „Das ist viel, das steht außer Frage“, sagt der Geschäftsführer. Einen Teil der offenen Stellen wolle man kurzfristig besetzen, es sei jedoch „illusorisch zu glauben“, dass man alle Positionen besetzt bekomme. Der IT-Fachkräftemangel lässt grüßen, und im Werben um das begehrte Personal habe ein kommunaler Dienstleister finanziell nicht die Möglichkeiten wie Firmen aus der Privatwirtschaft. Für Abhilfe sorge daher im Kleinen etwa die Beauftragung von externen Dienstleistern. Im Großen wird in NRW zudem die Schaffung eines zentralen IT-Dienstleisters in kommunaler Trägerschaft für das ganze Bundesland diskutiert, wie sie ein von den kommunalen Spitzenverbänden in Auftrag gegebenes Gutachten empfiehlt.
In Meschede wurde das Für und Wider einer solchen NRW-Einheit diskutiert. Tenor: 35 kommunale IT-Dienstleister wie bisher müssen es nicht mehr sein, ein gewisses Maß an Zentralisierung sei sinnvoll, aber vor einer Aufgabe der südwestfälischen Eigenständigkeit wird gewarnt, damit man als vergleichsweise kleine Partner in einer NRW-Einheit mit den Großstädten aus dem Ruhrgebiet und dem Rheinland nicht unter die Räder komme. Pinske sprach sich jedoch für mehr „Standardisierung“ gewisser Verfahren oder Systeme aus. Hieße: weniger Einzelwünsche.
Das löste bei Landrat Schneider, der grundsätzlich ebenfalls etwas mehr Zentralisierung für erforderlich hält, nahezu Amüsement aus. Im Hochsauerlandkreis mit seinen zwölf Städten und Gemeinden sei es ja schon eine Aufgabe, alle Interessen unter einen Hut zu bekommen. Bei der SIT aber habe man es mit 72 Kunden nur aus Südwestfalen zu tun, und in NRW gebe es 396 Städte und Gemeinden, hinzu kämen die Großstädte und die Kreise. „Viel Vergnügen dabei, alles zu standardisieren und alles hintereinander zu bringen. Das gibt noch spannende Prozesse“, sagte Schneider, als er Pinske verabschiedete.
Der neue SIT-Geschäftsführer nahm den Hinweis gelassen auf. Die Sitzung in Meschede habe er als „konstruktiv“ empfunden. Demut ist gefragt.