Meschede/Brüssel. EU-Parlament entscheidet über neue Regeln an Außengrenzen. Warum Experten dennoch steigenden Migrationsdruck in NRW-Städten fürchten.

Ein 2021 auf Samos errichtetes Flüchtlingslager. Das Europaparlament stimmt am Mittwoch über neue Asyl- und Migrationsrichtlinien ab.
Ein 2021 auf Samos errichtetes Flüchtlingslager. Das Europaparlament stimmt am Mittwoch über neue Asyl- und Migrationsrichtlinien ab. © dpa | Socrates Baltagiannis

Nordrhein-Westfalens Städte- und Gemeindebund rechnet damit, dass die Zahl der Geflüchteten, Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die in NRW-Städten ankommen werden, im Laufe dieses Jahres deutlich steigen wird. „Spätestens im Sommer wird die Zahl der Zuweisungen für die Kommunen steigen wie im vergangenen Jahr, vielleicht noch schlimmer“, befürchtet Christof Sommer, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds NRW und früherer Bürgermeister von Bestwig und Lippstadt.

„Mir sind die Menschen nicht egal, aber wir können deshalb nicht jeden aufnehmen, der aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland will.“
Dr. Peter Liese - CDU-Europaabgeordneter aus Meschede

Grundsätzlich ändern könnte sich dies mit einer reformierten Asyl- und Migrationspolitik der Europäischen Union. Südwestfalens CDU-Europaabgeordneter Peter Liese hofft, dass ein entsprechender Vorschlag am kommenden Mittwoch im Europaparlament eine Mehrheit findet. Basis sei ein im Jahr 2020 von der EU-Kommission eingebrachter Vorschlag, der aber auch nach dreieinhalb Jahren Kompromisssuche nach wie vor umstritten ist. „Es wird eine knappe Abstimmung“, schätzt Liese. Die rechtsnationalen Fraktionen ECR und ID sowie Grüne und Linke seien gegen den Vorschlag, selbst einige liberalen EU-Abgeordneten.

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Ein Ziel des zur Abstimmung stehenden Vorschlags sei es, möglichst viele Menschen ohne Aufenthaltsanspruch direkt an der Grenze zu stoppen und deren Antragsverfahren in Zentren in Griechenland, Italien und Spanien, aber auch an der osteuropäischen Grenze durchzuführen. Derzeit hätten rund 80 Prozent der Geflüchteten, die in der EU ankämen, keinen Anspruch zu bleiben. Nur bei 20 Prozent dieser Gruppe von Menschen gelänge eine sogenannte Rückführung., sagt Liese: „Mir sind die Menschen nicht egal, aber wir können deshalb nicht jeden aufnehmen, der aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland will.“

Unterbringungen in einer Turnhalle wie in Bad Laasphe sind die schlechteste Form, die es gibt, für die Menschen und für die Kommunen.
Christof Sommer - Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW

Der Sauerländer Christof Sommer sieht die Kommunen längst jenseits der zumutbaren Belastungsgrenze. Es fehle an finanzieller Unterstützung seitens des Bundes und des Landes, vor Ort fehle es an Integrationsmöglichkeiten in Kindergärten und Schulen. „Wir haben derzeit in NRW allein rund 70.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die aus der Ukraine stammen“, sagt Sommer. In vielen Kommunen fehle Wohnraum. „Unterbringungen in einer Turnhalle wie in Bad Laasphe sind die schlechteste Form, die es gibt, für die Menschen und für die Kommunen“, sagt Sommer. Bad Laasphe hat im vergangenen Jahr eine Dreifachturnhalle zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert, um zunächst elf und aktuell 20 geflüchtete Männer unterzubringen.

Selbst wenn am Mittwoch der Antrag im Europäischen Parlament angenommen wird, wird sich kurzfristig an dem nach wie vor hohen Druck in den Kommunen nichts ändern. Voraussichtlich zwei Jahre würde der Aufbau entsprechender Zentren an den Außengrenzen dauern.

Städtebund fordert deutlich mehr Geld vom Land NRW

Der Städte- und Gemeindebund fordert vom Land, die Flüchtlingspauschale von 10.500 Euro pro Jahr um mindestens 25 Prozent zu erhöhen. Die Berechnung stamme aus dem Jahr 2017 - also ohne Berücksichtigung der in der Zwischenzeit enorm gestiegenen Inflationsrate. „Seit langem schon fordern wir zudem, dass das Land die Vorhaltekosten für leere Einrichtungen zahlt und den Ankauf oder die langfristige Anmietung von Immobilien finanziell unterstützt“, sagt Sommer. Beim Thema Bezahlkarte hätten sich Städte und Gemeinden in NRW eine landesweit einheitliche, verpflichtende Einführung gewünscht.