Bad Berleburg. Jochen Born (49) war Deutschlands erster Wisent-Ranger. Jetzt droht seinem Herzensprojekt das Aus. Eine letzte Hoffnung hat er noch.

Wenn Jochen Born mit seinem Dienst-Pick-up auf das Gelände des Schaugeheges der Wisent Welt Wittgenstein fuhr, kam Quelle sofort auf ihn zugelaufen. „Wenn ich die Fahrertür aufgemacht habe, saß er mir praktisch auf dem Schoß“, sagt der Landwirt und erinnert sich auch an die Kuschelbilder mit Quelle, die damals entstanden sind. Quelle war das erste von fünf Wisentkälbern aus dem in Westeuropa einzigartigen Artenschutzprojekt, das Born mit der Hand aufgezogen hat.

Flaschenkind Quelle lebte die ersten acht Monate nach seiner Geburt auf Borns Bauernhof in Bad Berleburg. Mutterkuh „Gutelaune“ konnte keine Milch an ihren Nachwuchs abgeben. „So wurde ich der Wisent-Papa“, lacht Jochen Born, der die frei lebenden Wisente und die halb wilden Artgenossen im Schaugehege von Januar 2010 an gut acht Jahre lang betreute. Er war Deutschlands erster Wisent-Ranger, „in der Zeit drehte sich in meinem Leben alles um die Wisente. Sie waren wie eine Familie für mich“, sagt der 49-Jährige.

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Denkt er jetzt an „Gutelaune“ & Co. zurück, spricht nur noch Wehmut aus seiner Stimme. Die Zukunft des Artenschutzprojekts im Rothaargebirge ist ungewisser denn je: „Es wäre jammerschade“, sagt Born, „wenn das Ganze den Bach runtergehen würde. Für mich war es ein Herzensprojekt.“

Jochen Born erinnert sich an seine Zeit als Wisent-Ranger in Wittgenstein.
Jochen Born erinnert sich an seine Zeit als Wisent-Ranger in Wittgenstein. © Privat | Privat

Während seiner Dienstzeit hat Jochen Born des Öfteren Medienvertreter durch die Wittgensteiner Wälder begleitet. Das Projekt fand weltweit Aufmerksamkeit. Ein Reporter des „Tagesanzeigers“ aus der Schweiz schwärmte nach einer Tour von den einstigen „Königen des Waldes“, den größten Landsäugetieren Europas. Er schrieb: „Es sind Wundertiere, mit ihrem massigen Köpfen, hohen Buckeln, dem zotteligen Fell und den gewaltigen Hufen; wie aus dem Märchen.“

Happy End fraglich

Derzeit ist fraglicher denn je, ob die Geschichte mit den wilden Wisenten in Wittgenstein wie in Märchen üblich ein Happy End haben wird. Fast könnte man meinen, dass das Projekt nur noch ein Wunder retten kann.

Die einst frei lebende Wisentherde, die seit Februar eingegattert ist, soll mittlerweile auf um die 40 Tiere angewachsen sein.
Die einst frei lebende Wisentherde, die seit Februar eingegattert ist, soll mittlerweile auf um die 40 Tiere angewachsen sein. © dpa | Oliver Berg

Nach der Insolvenz des Trägervereins und dem jahrelangen Rechtsstreit mit klagenden Sauerländer Waldbauern wegen von den Wisenten verursachten Schälschäden an Buchenbeständen hat ein runder Tisch im Herbst 2023 unter Leitung der ehemaligen NRW-Umweltminister Heinen-Esser (CDU) und Remmel (Grüne) nicht den Durchbruch gebracht. Seit Februar ist die Herde, die auf um die 40 angewachsen sein soll, entgegen der Projektverabredungen in einem Gatter untergebracht, erschwerend kommt hinzu, dass die Eigentümerin des Projektgebiets ihre Flächen nicht mehr zur Verfügung stellen will.

NRW-Ministerpräsident als Schirmherr

Ex-Wisent-Ranger Born betont im Gespräch immer wieder, dass er seine aktuellen Informationen nur aus den Medien habe und dass er schon lange raus sei aus dem Projekt. Und doch kann der Inhaber des „Naturhofs Jochen Born“ in Bad Berleburg nicht verhehlen, dass er nach wie vor an den Wisenten hängt. „Den Berichten zufolge läuft es auf eine Abwicklung hinaus. Das fände ich sehr bedauerlich. Ich habe mir immer gewünscht, dass die Wisente hierzulande eines Tages wieder ganz normale Wildtiere wie Hirsche und Wildschweine werden.“

Dabei fing alles so gut an. Als Ende März 2010 eine Gruppe von neun Wisenten in ein 80 Hektar großes Auswilderungsgehege überführt wurde, schwärmte der damalige Schirmherr, NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), von dem „vielversprechenden Projekt“.

Jochen Born erinnert sich an den nervenzehrenden Auftakt: „Als der Bulle Egnar nach seiner Fahrt vom Ursprungsgatter den Hänger verließ, durchbrach er erst einmal den Zaun und büxte aus.“ Die Aufregung unter den 200 Gästen sei groß gewesen. Man habe den Bullen, der es später zu einiger Medienpräsenz als mehrmaliger Sieger tödlich verlaufener Rangkämpfe mit Nebenbuhlern brachte (Born: „Die Natur kann grausam sein“), aber recht schnell wieder einfangen können.

Wenn ich früher gesagt habe, dass ich aus Wittgenstein komme, wurde ich gefragt, wo das denn liegt. Heute weiß man das. Wegen der Wisente.
Jochen Born - Ehemaliger Wisent-Ranger

„Ich wurde hinterher von schlauen Leuten gefragt“, so Jochen Born, „ob ich nicht gewusst hätte, dass man erst Kühe und dann Bullen ausladen muss.“ Das sei ihm aus der Landwirtschaft bekannt gewesen. Doch er habe sich den neugierigen Blicken der Öffentlichkeit beugen müssen. „Ein Wisentbulle sieht vom Erscheinungsbild her einfach anmutiger aus als eine Kuh.“

Kuh als Leittier der Herde

Wisent-Ranger zu sein, sei schon etwas Besonderes gewesen, blickt Born mehr als sieben Jahre nach seinem letzten Arbeitstag („ich musste krankheitsbedingt aufhören“) mit Stolz zurück auf eine Tätigkeit, die viel mit „Learning by doing“ zu tun gehabt habe: „Ich bin gelernter Landwirt und kenne mich mit Tieren aus, aber die Wisente sind schon eine spezielle Tierart.“ Nach und nach habe er das Einmaleins der Wisente gelernt. Beispiel: „Das Leittier einer Herde ist immer ein Weibchen. Der Bulle ist nur Mittel zum Zweck.“

In seiner Arbeit ist der Wisent-Ranger bisweilen auf Zielkonflikte rund um das Projekt gestoßen: „Bevor wir die ersten Wisente auswildern konnten, mussten wir sie, weil sie aus Gatterhaltung stammten und so durchaus an Menschen gewöhnt waren, erst einmal beibringen, dass sie als Wildtiere scheu sein, flüchten und sich verstecken müssen.“

Durch Fütterung gelenkt

Auf der anderen Seite habe man die Tiere nach der Freisetzung im Winter durch tägliche Fütterung lenken müssen, um sie aus anderen Gebieten zurück zu locken. Born: „Also kamen sie auch im Sommer angelaufen, wenn ich mit meinem Wagen im Gelände fuhr. Sie dachten sich: ,Vielleicht bringt er uns ja auch jetzt Futter vorbei‘.“ Bei so viel Zutraulichkeit wundert es nicht, dass Wanderer auf dem Rothaarsteig immer mal Fotos von streifenden Wisenten machen konnten.

Soll das jetzt alles vorbei sein? Jochen Born hält einen Moment inne und kommt auf den Wolf zu sprechen. Auch eine Tierart, die in Deutschland von Menschenhand wieder angesiedelt wurde. „Ich kann nicht nachvollziehen“, sagt er, „dass der Wolf ein größeres Standing hat als der Wisent.“ Es gebe da große Unterschiede, was Schäden und die Gefahr für Menschen angeht: „Das Risiko stufe ich mit Blick auf Wisente als verschwindend gering ein.“

Wittgenstein bekannter gemacht

Man dürfe in der ganzen Debatte nicht vergessen, ergänzt der Wittgensteiner, dass die Wisente zu wertvollen Botschaftern einer ganzen Tourismusregion geworden seien: „Wenn ich früher gesagt habe, dass ich aus Wittgenstein komme, wurde ich gefragt, wo das denn liegt. Heute weiß man das. Wegen der Wisente.“

Das drohende Aus des Projekts nagt an dem Wittgensteiner. Hat er noch Hoffnung? Jochen Born muss überlegen. „Auch wenn es jetzt naiv klingt: Warum kann nicht NRW-Ministerpräsident Wüst sagen: ,Bevor dieses schöne Projekt stirbt, stelle ich hier und jetzt 100.000 Euro zur Verfügung. Es wäre gut für die Tiere und für die, die sich redlich um sie bemüht haben.“