Hagen. Bayern gönnt seinen Grundschülern künftig keinen Musikunterricht mehr. Ein klassisches Eigentor, das einen Kommentar verdient.
Kinder sprechen heute oft schlecht, sie nuscheln und verschlucken Silben. Das liegt am Singen. Oder, besser gesagt, daran, dass so wenig mit Kindern gesungen wird. Denn Lieder sind Turnübungen für die Lippen- und Zungenmuskulatur. Seitens der Wissenschaft ist in vielen Studien nachgewiesen, dass Singen darüber hinaus auch Hirntraining ist, also Konzentration und Aufnahmefähigkeit beim Lernen steigert. Singende Kinder kommen in allen Fächern besser voran. Gleichzeitig fördern Singen und Musizieren die sozialen Kompetenzen und machen gute Laune, weil Glückshormone dabei ausgeschüttet werden. Und: Jede Sängerin, jeder Sänger sieht gut aus, denn Singen erzeugt eine positive Selbstwahrnehmung. Das ist so wichtig angesichts der Schönheitsdiktate auf Tiktok und Instagram.
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Das alles wissen die Beamten in Markus Söders Bayern. Und trotzdem wollen sie künftig die drei Fächer Musik-, Kunst- und Werkunterricht in der Grundschule zusammenlegen, im Rahmen einer Pisa-Offensive, um die Fähigkeiten in Deutsch und Mathe zu trainieren.
Finde den Fehler.
Bundesweit fehlen nach einer Studie der Bertelsmannstiftung von 2020 an den Grundschulen 23.000 ausgebildete Musiklehrer. Deren Zahl dürfte inzwischen viel höher sein. Die Folgen für die Kinder beklagen wir allenthalben, wenn mal wieder ein Bildungsrückstand angeprangert wird.
Nehmen wir Finnland, dessen Schulsystem als eines der besten der Welt gilt. Jeder Grundschullehrer dort hat eine obligatorische Ausbildung im Fach Musikpädagogik. Jedes Grundschulkind hat drei Lektionen Musik pro Woche.
Die bayerischen Pläne sind nicht nur kontraproduktiv für das Ziel, bessere Pisa-Ergebnisse zu erzielen. Sie sind zudem sozial höchst ungerecht. Denn auch in Bayern wissen längst nicht mehr alle Eltern um die Bedeutung des Singens oder können ihre Kinder bei einer Musikschule anmelden. Ob Kinder demnächst überhaupt mit Musik in Kontakt kommen, bleibt in Bayern also dem Zufall überlassen.
Es liegen inzwischen außerdem genug Untersuchungen vor, die belegen, wie sehr ausgiebiger Medienkonsum am Bildschirm das Hirn von Kindern zerfrisst. Die Erkenntnis hindert Eltern nicht daran, schon Grundschulkinder mit Smartwatches oder Smartphones auszurüsten. Singen und Musizieren könnten hier die dringend benötigten Freiräume vom Digitalen schaffen, in denen sich kleine Hirne erholen und dabei Gemeinschaft stiften und Herzen bilden.
Alles bekannt. Alles für die Tonne, wenn es nicht in den politischen Kram passt.