Hagen. Lohengrin als Vogelhochzeit? Mein lieber Schwan! Was an der Neuinszenierung von Richard Wagners Oper in Hagen gut ist und was stört.
Richard Wagners „Lohengrin“ verhandelt einen epochalen Kulturkampf und gleichzeitig das multiple Scheitern von Erlösungsphantasien. Anders als im Märchen kriegen sich die Guten am Ende nicht. Das Theater Hagen stellt die beliebte Oper jetzt als Vogelhochzeit auf die Bühne. So entstehen schöne Bilder, aber die Interpretation wird dem komplexen Stoff bei weitem nicht gerecht. Musikalisch ist sie hingegen eine Reise wert. Das Publikum feiert die Inszenierung nach der Premiere am Samstag mit langem Beifall im Stehen und geworfenen Plüschschwänen für die Solisten.
Jede Feder verspricht den Traum vom Fliegen, und daher träumen sie alle. Lohengrin will der Gralsburg entkommen, Elsa sucht einen Mann, der ihr ein Problem löst, Telramund möchte seine Ehre mehren, und Ortrud ersehnt die alten Zeiten zurück. Und so missbrauchen sie sich gegenseitig in diesem Hagener „Lohengrin“ für ihre privaten Ziele, und natürlich geht das schief. Richard Wagner hat in dem historischen Stoff mehrere Märchen-Questen verarbeitet, zum Beispiel das Halslöserätsel, bei dem der Held oder die Heldin innerhalb einer bestimmten Frist eine Aufgabe bewältigen muss, das Frageverbot und das Motiv des Dienens um der Erlösung anderer willen wie in „Die sieben Raben“ und „Die sechs Schwäne“.
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Regisseurin Nelly Danker stellt die Figuren in ihrem Tiermärchen als Typen heraus, böse Hexe, weißer Ritter, holde Jungfrau, verführbares Volk. Diese einfache Lesart ist vielleicht der Tatsache geschuldet, dass die Solisten und der große Chor auf der kleinen Bühne kaum Platz haben. Das Theater Hagen muss also eine Lösung finden, bei der die Akteure zusammen auftreten können und trotzdem die Optik stimmt. Dafür sorgen die aufwendigen, farbenprächtigen und detailverliebten Kostüme von Amélie Sator. Ausstatter Robert Pflanz entwickelt multifunktionale Objekte, die bei der Personenregie helfen: einen Felshaufen, der auch als Thron dient, eine Chortreppe und ein Nest für die Hochzeitsnacht. Videoprojektionen setzen die Szenerie in den Wald. Leider kann die Regie der Versuchung nicht widerstehen, die Akteure Vogelbewegungen nachmachen zu lassen. Wer je einen Herrenchor hat über die Bühne flattern sehen, versteht, warum das keine gute Idee ist.
Jenseits der Erlösungsmotivik erzählt der „Lohengrin“ von einem historischen Kulturkampf, der Christianisierung der germanischen Stämme. Die geht bei Wagner zulasten der Frauen, da das Christentum die männliche Erbfolge einführt. Während Ortrud als Häuptlingstochter auch die Aufgaben der Stammes-Weisen geerbt hat und nach dem alten System aus eigenem Recht herrschen könnte, muss sie sich nach christlichem Brauch einen Mann suchen, um überhaupt irgendwer zu sein. Bei Elsa, auch sie Fürstentochter, ist die Entmündigung durch christliche Werte noch grotesker. Der verschwundene Bruder macht ihre Lage unhaltbar, sie braucht einen Erlöser, der nicht nur ihr Recht erstreitet, sondern sie auch heiratet, damit er den Platz ihres Vaters oder Bruders als Herzog einnehmen kann, und dieser Erlöser darf ihr die Bedingungen diktieren: Nie sollst Du mich befragen. Beide Frauen revoltieren, aber sie verbünden sich nicht. Beide Revolten scheitern, und am Ende, als Lohengrin von Schwarzen-Schwan-Sherriffs zurück in sein Grals-Gefängnis eskortiert wird, ist kein einziges Problem gelöst.
Im „Lohengrin“ kommen Tiere vor, der liebe Schwan, die Taube vom Himmel. Vielleicht ist das der Grund, warum der Stoff so gerne als Tierparabel erzählt wird: Hans Neuenfels‘ genialer Ratten-„Lohengrin“ in Bayreuth, dann dort ein Motten-„Lohengrin“ im Bühnenbild von Neo Rauch. Und jetzt eben Pfauen, Goldfasane und Krähen in Hagen - mit einer tollen Bildidee: Das Pfauenrad von Lohengrin wird zum gotischen Fenster des Münsters, in dem das Paar heiratet.
Zwei starke Frauen
Richard Wagner hat die Frauen in seinem „Lohengrin“ geliebt und ihnen zwei komplementäre und jeweils außerordentlich reizvolle Partien geschenkt. Die Hagener Sopranistin Angela Davis stellt als Ortrud ein sensationelles Rollendebüt vor. Ihre Stimme vibriert geradezu vor Farben im geheimnisvollen mittleren und tiefen Spektrum, dazu eine Höhe, die das Orchester mühelos überstrahlt. Diese Ortrud ist der stärkste Charakter in der ganzen Oper. Die wunderbare Sopranistin Dorothea Herbert ist eine überwältigend gute Elsa, mit einem bildschönen silbrigen Timbre, das mit der Gralsmusik um die Wette leuchtet. Auch der Lohengrin von Tenor Tobias Haaks ist ein Debüt. Der junge Tenor verfügt über eine präsente, helle, gut geführte Stimme, muss aber noch lernen, sich die Kraft einzuteilen. Der Hagener Bariton Insu Hwang singt den Telramund mit beweglichem Bariton, dem der dämonische Unterton ganz fehlt: Sein Telramund ist ein verirrter guter Ritter. Dong-Won Seo gestaltet den König Heinrich mit weichen Bassakzenten als weisen Herrscher, und Kenneth Mattice ist ein Heerrufer mit lyrischem Bariton. Eine großartige Leistung zeigt der verstärkte Chor unter seinem neuen Leiter Julian Wolf.
Der Hagener Generalmusikdirektor Joseph Trafton setzt der überaus süchtig machenden „Lohengrin“-Partitur eine Interpretation entgegen, welche die bildhaften und psychologischen Elemente herausarbeitet. Der filigranen ätherischen Gralsmusik im Vorspiel folgt ein lautester Vulkanausbruch der Blechbläser, und in diesem Spannungsfeld zwischen Feinzeichnung und Fortissimo bewegt sich die musikalische Handlung. Besonders gut gelingt es Trafton, die psychologischen Farbwirkungen der Instrumente herauszuarbeiten, insbesondere der Bassklarinette, die mit ihrem Schnarren für das Unheil steht, welches die Märchenhelden belauert. Anders als in der Vorlage überleben Ortrud und Elsa in Hagen beide. Es gibt vielleicht doch eine zweite Chance.
Richard Wagners Oper „Lohengrin“ wird am Theater Hagen nur noch fünfmal gespielt: 3. ,24. März, 1., 7. April, 20. Mai: Karten: www.theaterhagen.de