Hagen. Wie das Landesinnenministerium seine „neu ausgerichtete“ Strategie begründet und in Zukunft mit Tempokontrollen umgehen will

Die Ankündigung von Standorten mobiler Blitzgeräte auf Internetseiten von Polizeibehörden, bei Radiosendern oder in Online- und Printmedien gehört in Nordrhein-Westfalen bald der Vergangenheit an. „Kontrollen finden grundsätzlich unangekündigt und mit Anhalten statt“, bestätigt ein Sprecher des NRW-Innenministeriums gegenüber der Westfalenpost.

Nach seinen Worten hat die Polizei in Nordrhein-Westfalen „mit Beginn des Jahres 2024 ihre Strategie für mehr Sicherheit auf den Straßen, Radwegen und Autobahnen neu ausgerichtet“. Dies werde nun schrittweise von den 47 Kreispolizeibehörden umgesetzt.

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Warum im Land die „Kontrollstellen der Geschwindigkeitsüberwachung“ nicht mehr vorab verraten werden sollen, erklärt der Ministeriumssprecher mit der „nicht nachgewiesenen Wirksamkeit der Ankündigung“. Zudem könne jetzt ein „Überraschungseffekt für die Verkehrsteilnehmenden“ greifen, „überall und jederzeit kontrolliert werden zu können“.

Der neuen Fachstrategie Verkehr zufolge sollen die Geschwindigkeitsüberwachungen verstärkt in Form von „Kontrollen mit Anhalten“ stattfinden. Der Ministeriumssprecher: „Diese Kontrollform ermöglicht die eindeutige Identifizierung des Fahrzeugführenden und eröffnet die Gelegenheit, dem angetroffenen Verkehrsteilnehmenden in einem verkehrserzieherischen Gespräch die Erforderlichkeit und die Ziele der polizeilichen Maßnahme zu erläutern.“

Eine mobile Radarfalle in einem Kastenwagen an einer Straße. Die Polizei in NRW wird in Zukunft nicht mehr ankündigen, an welchen Stellen geblitzt wird.
Eine mobile Radarfalle in einem Kastenwagen an einer Straße. Die Polizei in NRW wird in Zukunft nicht mehr ankündigen, an welchen Stellen geblitzt wird. © Moers | Volker Herold

Bei der Polizei im Hochsauerlandkreis sind die Blitzer-Ankündigungen noch nicht Geschichte. Eine Anfrage dieser Zeitung blieb bislang zwar unbeantwortet, auf der Webseite der Behörde finden sich aber Angaben zu den Kontrollstellen in dieser Woche: von Montag (19. Februar) auf der L740 in Meschede-Remblinghausen bis Sonntag (25. Februar) auf der L776 in Bestwig-Ramsbeck.

Die Angaben sind flankiert mit eindringlichen Worten: „Wir wollen Sie und Ihre Familie vor schweren Unfällen schützen! Zu schnelles Fahren gefährdet ALLE überall! Zu schnelles Fahren ist Killer Nr. 1!“

Möglichst hoher Kontrolldruck

Die Kreispolizei im HSK ist die letzte Behörde in Südwestfalen, die die Blitzer-Ankündigungen noch nicht abgeschafft hat. Die Polizei im Kreis Siegen-Wittgenstein hat die Maßnahme schon vor einiger Zeit ergriffen: „Letztlich“, so Sprecher Stefan Pusch, „soll durch einen möglichst hohen Kontrolldruck das Geschwindigkeitsniveau überall gesenkt werden und nicht nur an den vorangekündigten Stellen.“

Die Kollegen in Olpe veröffentlichen seit Anfang Dezember 2023 nicht mehr, wo Tempomessungen stattfinden. „Die Ankündigung von Überwachungsaktionen hat sich in der Konsequenz als nicht wirkungsvoll erwiesen“, sagt Polizeisprecher Thorsten Scheen.

Die Schwächsten im Straßenverkehr schützen

Ganz frisch informiert die Polizei im Kreis Soest über das Ende der Vorab-Meldungen über Tempokontrollen. Die Geschwindigkeit auf den Straßen werde weiter in „hohem Maße“ überprüft: „Unser Ziel: Die Schwächsten im Straßenverkehr zu schützen - das sind Kinder, Senioren und Fahrradfahrer.“

Seit dem vergangenen Donnerstag hat die Polizei in Dortmund die Blitzer-Ankündigungen auf ihrer Internetseite und in ihren sozialen Medien eingestellt. Die Geschwindigkeits-Kontrollen setze man uneingeschränkt fort, darauf legt man im Polizeipräsidium Wert: „Nach wie vor zählt nicht angepasstes Tempo zu den häufigsten, auch tödlich wirkenden Unfallursachen.“ Statt auf Blitzer-Meldungen setze man jetzt in der Öffentlichkeit verstärkt auf „Verkehrsunfallprävention“ - mit dem Ziel, „eine Verhaltensänderung im Straßenverkehr zu bewirken“.

Die Polizei im Ennepe-Ruhr-Kreis nennt bereits seit fünf Jahren die Orte von Radarkontrollen nicht mehr. Die Maßnahme wurde damals so begründet: „Verkehrsteilnehmer sollen nicht langsam fahren, weil sie wissen, dass dort gemessen wird, sondern weil es die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit vorgibt.“

Die Polizei in Hagen blieb seinerzeit zunächst mit dem Hinweis auf gute Erfahrungen bei der Praxis der Ankündigung von Tempokontrollen. Die Kehrtwendung erfolgte im Jahr 2021: „Durch die Aufhebung der Ankündigung wollten wir deutlich machen, dass Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer jederzeit und an jeder Örtlichkeit in Hagen mit Geschwindigkeitskontrollen durch die Polizei rechnen müssen“, hieß es.

Noch häufiger als bisher sollen zu schnelle Verkehrsteilnehmer direkt nach dem Messen auch angehalten werden, um das Gespräch zu suchen.
Christof Hüls

Ebenfalls 2021, während der Pandemie, stellte die Polizei im Märkischen Kreis die Blitzer-Ankündigungen ein. Polizeisprecher Christof Hüls verweist auf die neue Strategie: Noch stärker als bisher sollen Verkehrsteilnehmer nun überall und immer damit rechnen müssen, dass ihr Tempo geprüft werde. Und: „Noch häufiger als bisher sollen zu schnelle Verkehrsteilnehmer direkt nach dem Messen auch angehalten werden, um das Gespräch zu suchen.“

Tempo-Limits allein, verweist Hüls auf eine allgemeine Erkenntnis, führten zu keinem veränderten Verhalten der Verkehrsteilnehmer. Selbst Gefahrstellen seien schwer in das Bewusstsein der Fahrer zu bringen. Die Veröffentlichung von Blitzer-Terminen habe letztlich auch dem Ziel gedient, „die Kontrollen freundlich in Erinnerung zu rufen - und daran zu erinnern, dass zu hohe Geschwindigkeit eine der Haupt-Unfallursachen bleibt“.

Vergleich mit Blitzer-Marathons

Rüdiger Born ist Geschäftsführer des Bundesverbands Niedergelassener Verkehrspsychologen (BNV). Der Hamburger zeigt sich am Telefon zunächst überrascht: „Wie bitte? Bei Ihnen in NRW wurden Standorte von mobilen Blitzgeräten noch vorab genannt?“, fragt er und beginnt seine Gedanken zum Thema mit Erfahrungen bei der Ankündigung von Blitzer-Marathons: „Die Verkehrsteilnehmer wurden animiert, über ihr Fahrverhalten nachzudenken. Durch das Erinnern an ein wichtiges Thema, das Liefern von Informationen dazu und der Hinweis auf den Sinn von Regeln können Menschen überzeugt werden, im Sinne der Verkehrssicherheit dauerhaft ihr Verhalten zum Positiven zu verändern.“

Tino Schäfer, Sprecher der Hagener Polizei, berichtet von guten Erfahrungen nach dem Ende der Blitzer-Ankündigungen.
Tino Schäfer, Sprecher der Hagener Polizei, berichtet von guten Erfahrungen nach dem Ende der Blitzer-Ankündigungen. © WP | Michael Kleinrensing

Beim ADAC verweist man auf die durchaus positiven Effekte der Blitzer-Ankündigungen: Bei mobilen Geschwindigkeitskontrollen könne die Akzeptanz der Verkehrsüberwachung bei den Autofahrern durch die Veröffentlichung von Messorten und Ankündigung von Maßnahmen verbessert werden, sagte Till Westermann, Sprecher des ADAC Westfalen, auf Anfrage: „Mit mehr Transparenz lässt sich dem möglichen Vorwurf des heimlichen Abkassierens wirkungsvoll begegnen.“

Nach seiner Auffassung sollte sich die Planung der mobilen Kontrollen grundsätzlich an Unfallschwerpunkten ausrichten. Zugleich spricht sich der ADAC für eine „höhere Kontrolldichte“ aus: „Denn nur, wenn angemessene Strafen und eine hohe Wahrscheinlichkeit auf frischer Tat ertappt zu werden, zusammenwirken, werden sich auch die Verkehrsteilnehmer besser an die Regeln halten, die regelmäßig zu schnell unterwegs sind.“

Verständnis in der Bevölkerung

Bleibt die Frage, wie die Bevölkerung darauf reagiert, dass Blitzer-Standorte nicht mehr angekündigt werden. Die Hagener Polizei hat bei der Einstellung der Veröffentlichung 2021 gute Erfahrungen gemacht, wie Sprecher Tino Schäfer beschreibt: „Bürgerinnen und Bürger haben es als gut empfunden, dass die Kontrollen nicht vorhersehbar sind“, sagt er und ergänzt, dass kritische Stimmen „uns so gut wie gar nicht bekannt geworden sind“. Signifikante Auswirkungen der Aufhebung „auf zum Beispiel die Anzahl von Verstößen“ habe man nicht feststellen können.

Letztendlich geht es immer um die Verkehrssicherheit, um das Einhalten der vorgegebenen Geschwindigkeit. Christof Hüls, Sprecher der Polizei im Märkischen Kreis, betont: „Eine Messstrecke mit null geblitzten Fahrzeugen werten wir keineswegs als Misserfolg, sondern im Gegenteil sehr positiv.“