Paderborn. Eine Tafel an den Ehrengräbern im Paderborner Dom weist auf Fehlverhalten der Erzbischöfe hin. Jetzt werden die Infos digital vertieft.

Wie soll die katholische Kirche mit Würdenträgern umgehen, deren Handeln Leid über andere Menschen gebracht hat? Als eines der ersten Bistümer in Deutschland hat Paderborn an den Ehrengräbern der Kardinäle Johannes Joachim Degenhardt und Lorenz Jaeger im Dom eine Hinweistafel aufgestellt, auf der den beiden Erzbischöfen schwere Verfehlungen im Umgang mit sexuellem Missbrauch attestiert werden. Das war im Juli 2023 und fand bundesweit viel Echo. Nur eine Woche danach wurde die Tafel bereits gestohlen. Jetzt kommt man über einen QR-Code an den Tafeln zu ergänzenden Informationen auf der Internetseite des Doms, wie das Erzbistum gestern mitteilte (www.dom-paderborn.de/grablege).

„Die hier beigesetzten Erzbischöfe haben während ihrer Amtszeit aus heutiger Sicht schwere Fehler im Umgang mit sexuellem Missbrauch begangen. Allzu oft haben sie Schutz und Ansehen der Institution und der Täter über das Leid der Betroffenen gestellt.“ Diesen Text haben Missbrauchs-Betroffene aus dem Erzbistum Paderborn entworfen, er steht auf der Tafel. Die weiterführende digitale Information bezieht sich knapp auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Verhalten von Jaeger und Degenhardt beim Thema Missbrauch und versucht darzustellen, dass deren Lebensleistung auch gute Seiten hatte: „Leben und Wirken der Erzbischöfe waren insgesamt sehr vielfältig und in vielerlei Hinsicht segensreich, doch auch der Umgang mit dem Missbrauch und den Tätern gehört zu ihren Amtszeiten und steht für ein massives Versagen der Kirche und ihrer Vertreter, das unsägliches Leid über die Opfer gebracht hat und unter dem viele Betroffene heute noch leiden“, heißt es dort unter anderem.

Mehr zum Thema

Der Text wurde wieder in Zusammenarbeit mit der Unabhängigen Betroffenenvertretung erarbeitet. Ziel sei die Aufmerksamkeit für den geschehenen sexuellen Missbrauch Minderjähriger im Raum der Kirche sowie den inakzeptablen Umgang der Kirche mit Betroffenen und Tätern aufzuklären, so Reinhold Harnisch, einer der Sprecher der Betroffenenvertretung. Es gehe den Betroffenen nicht darum, die Verdienste der verstorbenen Kardinäle zu beschneiden, „aber wo es Verfehlungen und Versagen gab, bedarf dies nach langen Jahrzehnten des Leugnens, des Schweigens und Vertuschens einer klaren Darstellung und einer detaillierten Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels in der Geschichte des Erzbistums, an dem sich die heute Verantwortlichen nun endlich auch beteiligen“.

Licht und Schatten

Dompropst Monsignore Joachim Göbel erläutert in der Meldung des Erzbistums: „Es ist durch die bereitgestellten Informationen zu erkennen, dass sich Licht und Schatten in den Biografien der Erzbischöfe vereinen. Es gibt Leistungen, die zu würdigen sind, zugleich aber auch inakzeptables Verhalten, das wir erkennen müssen und dem wir heute mit Unverständnis und Ablehnung gegenüberstehen.“ Göbel schildert, dass das Interesse an den Tafeln nach wie vor groß ist. „Es gab Anerkennung, Respekt und Zustimmung, aber auch Ablehnung, Protest, Beschädigung und Diebstahl.“

Die Betroffenen kritisierten vor einem Jahr, dass die Debatte um die Hinweistafel über ihre Köpfe hinweg geführt würde. So hatte zum Beispiel eine hochrangige Ordensfrau angemerkt, dass man dann auch an den Gräbern von Frauen, die abgetrieben hätten, Hinweistafeln aufstellen müsste.

Das  Denkmal des Essener Kardinals Franz Hengsbach vor dem Essener Dom wird abgebaut, nachdem die Bistümer Essen und Paderborn schwerwiegende Vorwürfe gegen den Kardinal öffentlich gemacht haben. Er soll u.a. zusammen mit seinem Bruder, der ebenfalls Priester war, eine Minderjährige vergewaltigt haben.
Das Denkmal des Essener Kardinals Franz Hengsbach vor dem Essener Dom wird abgebaut, nachdem die Bistümer Essen und Paderborn schwerwiegende Vorwürfe gegen den Kardinal öffentlich gemacht haben. Er soll u.a. zusammen mit seinem Bruder, der ebenfalls Priester war, eine Minderjährige vergewaltigt haben. © dpa | Christoph Reichwein

Die inhaltliche Beurteilung des Verhaltens von Degenhardt und Jaeger liefert ein erster Zwischenbericht der unabhängigen Missbrauchsstudie im Erzbistum Paderborn, die seit Jahren erarbeitet wird. Demnach wurden Täter versetzt sowie Opfer und ihre Familien unter Druck gesetzt, keine Anzeige zu erstatten. „Durch die Versetzungspolitik hat man in Kauf genommen, dass sich Dinge wiederholen, und genau das ist dann ja auch leider immer wieder passiert. In manchen Fällen hat es Vereinbarungen mit Staatsanwaltschaften gegeben, dass auf Bewährung verurteilte Täter nicht mehr in Gemeinden eingesetzt werden sollen, und dennoch ist das geschehen“, so Prof. Dr. Nicole Priesching, die das Forschungsprojekt an der Universität Paderborn leitet. Die Historikerin Christine Hartig, die ebenfalls an der Studie arbeitet, ergänzt: „Es gab keinerlei Sensibilität für den Schaden, den die Kinder genommen haben. Nicht nur im Erzbistum, auch vor Gericht nicht. Bei Taten unterhalb der Vergewaltigung, die in der Regel mit einer Bewährungsstrafe geahndet wurden, gingen auch Gerichte davon aus, dass Kinder keinen Schaden genommen haben. Die Tat galt zwar als ungesetzlich, aber man dachte, es habe das Leben der Kinder nicht massiv beeinflusst. Das Leben eines Klerikers dagegen, der zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist, befand man als massiv beeinflusst, weil er in seiner Integrität infrage gestellt worden ist. Der Schaden wurde also beim Kleriker gesehen.“

Suche nach Erinnerungskultur

Die Diözesen in NRW gehen unterschiedlich mit dem Thema Ehrengräber in den Domen um. In Köln soll es demnach keine Hinweistafeln geben. Das Bistum Münster möchte eine Erinnerungskultur etablieren, unter anderem mit digitalen Informationstafeln im Dom und dem Pflanzen einer Blutbuche. In Hildesheim fordern Betroffene die Umbettung des früheren Bischofs Heinrich Maria Janssen.

Das Bistum Essen belegt, wie akut das Thema bleibt, denn es sind längst noch nicht alle Fälle bekannt. Noch im Juli 2023 betonte das Bistum auf Anfrage unserer Redaktion, dass sich das Problem der Hinweistafeln nicht stelle, da im Essener Dom nur Kardinal Franz Hengsbach und Bischof Hubert Luthe bestattet seien, von denen kein Fehlverhalten bekannt sei. Seit September 2023 gilt Kardinal Hengsbach selbst als Missbrauchstäter, als erster Kardinal in Deutschland überhaupt. Immer neue Vorwürfe gegen ihn gehen im Essener Generalvikariat ein. Die Hengsbach-Statue am Dom wurde inzwischen abgerissen. Dort soll ein Gedenkort für die Betroffenen entstehen.