Hagen/Siegen. Corona brachte Heinz Schroth auf die Intensivstation. Der jetzige Umgang mit dem Virus befremdet ihn. So bewertet ein Arzt die Lage.

Er hört das im Moment auch wieder an jeder Ecke. Im Schwimmverein, im Freundeskreis, bei Bekannten: Corona. „Da stellen sich bei mir direkt die Nackenhaare auf“, sagt Heinz-Werner Schroth (78), „denn ich will das nun wirklich nicht noch mal haben.“

Bei seiner Geschichte ist das nachvollziehbar: Der Mann aus Hagen-Hohenlimburg landete nach seiner Corona-Infektion Ende 2020 auf der Intensivstation, musste sogar beatmet werden und spürte die Nachwirkungen auch Wochen und Monate später noch. „Ich bin mit einem blauen Auge davongekommen“, sagt er damals (wir berichteten).

Einer wie er tut sich schwer, das offenkundige verstärkte Aufkommen von Corona in diesen Wochen als normal zu empfinden. „Ich bekomme vermehrt mit, dass Leute sich irgendwo draußen herumtreiben, sich mit Menschen treffen und dann sagen: ,Meine Frau oder mein Mann konnte leider nicht mitkommen, der liegt zu Hause mit Corona.‘ Da kann ich dann schon auch mal sehr deutlich werden, um zu sagen, was ich davon halte.“

Ich bekomme vermehrt mit, dass Leute sich irgendwo draußen herumtreiben, sich mit Menschen treffen und dann sagen: ,Meine Frau oder mein Mann konnte leider nicht mitkommen, der liegt zu Hause mit Corona.‘ Da kann ich dann schon auch mal sehr deutlich werden.
Heinz-Werner Schroth

Schnitt in den Hals, Schlauch in die Luftröhre

Nichts hält er davon. Er erzählt den Leuten dann von seinen prägendsten Erinnerungen der Corona-Zeit. Wie er auf der Intensivstation als der harmloseste Fall gelegen habe, wie die anderen Patienten um ihn herum künstlich hätten beatmet werden müssen: Schnitt in den Hals, Schlauch in die Luftröhre. Das alles vergisst er nicht, das will er vor allem nicht noch einmal erleben müssen. „Ich finde, die Leute verhalten sich gerade leichtsinnig. Ich will gar nicht wissen, wie viele wissentlich als potenzielle Virenschleudern unterwegs sind.“ Und er warnt sie: „Wenn es schlecht läuft, liegt ihr eines Tages auf der Intensivstation – wie ich.“

Aber es sei jetzt eben so: Früher musste, wer das Virus hatte oder eine enge Kontaktperson war, zu Hause bleiben – unter Androhung von Strafe bei Zuwiderhandlung. Mittlerweile ist das alles nicht mehr nötig – oder scheint nicht mehr nötig zu sein. Testzentren gibt es so gut wie nicht mehr, die Verpflichtung sich zu isolieren gar nicht – weder für Erkrankte noch für Kontaktpersonen. „Und überall, wo vor drei Jahren noch Spender mit Desinfektionsmittel angebracht waren, sind sie mittlerweile abgebaut oder werden kaum nachgefüllt“, sagt Schroth. Das ärgert ihn, er benutzt das immer gern, um sich etwas sicherer zu fühlen.

Schroth kommt nicht um vor Sorge, so ist das nicht. Er macht Ausflüge, geht auch in Restaurants. „Aber ich habe seitdem immer, immer meine Maske am linken Handgelenk bei mir, um sie bei Bedarf aufzusetzen.“ Neulich im vollen Bus oder im dichten Gedränge auf dem Weihnachtsmarkt. „Ich habe keine verächtlichen Blicke von anderen gesehen.“

So ist die Corona-Lage in NRW

Laut NRW-Gesundheitsministerium wurden in der vergangenen Woche insgesamt 4.059 Corona-Fälle für Nordrhein-Westfalen gemeldet. Dies seien 292 Fälle (ohne Nachmeldungen) weniger als in der vorherigen Woche. Die 7-Tage-Inzidenz liege mit 22,4 aber weiterhin über dem maximalen Inzidenzwert von 13,8 seit Auslaufen der Corona-Schutzmaßnahmen im April 2023.

Das Ministerium erinnert an ein „umsichtiges Verhalten in Eigenverantwortung“. Besonders von Bedeutung seien die Impfungen gegen Corona und Grippe. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann sagt: „In der aktuellen Erkältungssaison beobachten wir vermehrt Corona-Infektionen und andere Atemwegserkrankungen – das Niveau bei Corona ist allerdings im Vergleich zu den Vorjahren relativ gering. Zudem ist die Immunität in der Bevölkerung hoch und die verfügbaren Impfstoffe schützen nach wie vor wirksam gegen schwere Krankheitsverläufe. Wir werden die weitere Entwicklung sehr genau im Blick behalten, gehen aber nicht davon aus, dass wir staatliche Maßnahmen wie eine Maskenpflicht benötigen werden. Dafür haben wir seit dem Auslaufen des im Bundesrecht verankerten Rechtsrahmens in Bezug auf die Corona-Schutzmaßnahmen nach Infektionsschutzgesetz übrigens auch keine Grundlage mehr.“

Gewappnet für die Corona-Saison

Die Sichtweise von Heinz-Werner Schroth ist die eines Menschen, der durch das Virus selber Schlimmes erfahren und bei anderen noch Schlimmeres gesehen hat. Eine ärztliche Einschätzung zur aktuellen Lage klingt jedoch etwas sachlicher.

„Corona“, sagt Dr. Martin Mansfeld, „ist immer noch da“. Durch Impfungen und viele durchlaufene Infektionen sei die Krankheit heute allerdings für die meisten Menschen „wie eine starke Grippe“, so der Hausarzt aus Siegen und Bezirksvertreter im Hausärzteverband Westfalen-Lippe. „Wir sind gewappnet. Es ist eine andere Situation als am Anfang der Pandemie“, erklärt der Mediziner.

Das ist kein Plädoyer für Unachtsamkeit, sondern für ein maßvolles, verantwortungsbewusstes Vorgehen. Und angepasstes Verhalten. So wie bei ihm. Mansfeld berichtet, dass er in seiner Praxis im Zentrum von Siegen zwar keine Maskenpflicht für alle Patienten verhängt habe, auch nicht jetzt im Herbst und Winter, obwohl Atemwegserkrankungen wie Corona und Grippe Saison haben. Aber: Wer mit Erkältungs- oder Grippesymptomen zu ihm komme, der müsse eine FFP2-Maske tragen, eine OP- oder Stoff-Maske reiche nicht. Wer sich nicht an die Vorgabe halte, „dem sage ich: ‚Dann suchen Sie sich einen anderen Doktor‘“, sagt Mansfeld.

Ärztevertreter empfiehlt Maske bei Symptomen

Vor der Pandemie habe er noch nicht so gehandelt. Wem die Nase lief, der saß bei ihm ohne Maske im Wartezimmer und Behandlungsraum. Galt ja früher als normal. Jetzt ist das bei ihm anders. „Es ist ein Lerneffekt“, sagt Mansfeld, „wir haben auch immer noch Trennwände am Empfang. Wir behandeln hier kranke Menschen, die müssen geschützt werden.“

Corona ist immer noch da. Aber wir sind gewappnet. Es ist eine andere Situation als am Anfang der Pandemie.
Dr. Martin Mansfeld

Und manche brauchen mehr Schutz als andere. Vorerkrankte, Ältere, Geschwächte, die Risikogruppen. „Wichtig ist, dass sich gerade die immunsupprimierten Menschen impfen lassen“, sagt Mansfeld, der zudem empfiehlt, bei Symptomen auf valide Tests zu setzen, „keinen Billig-Test“, und bei einem positiven Befund die bekannten Maßnahmen zu befolgen: sich zurückzuhalten, Abstand zu halten, andere nach Möglichkeit nicht anzustecken. Darum geht es auch in seiner Praxis.

Bis zu 150 Patienten kämen pro Tag vorbei, manche holen nur ein Rezept ab, viele aber sitzen erst im Wartezimmer, dann im Behandlungsraum. Infiziert ein Erkrankter den Arzt oder die Praxis-Mitarbeiter, droht die Verbreitung von Corona unter den teils schwerkranken Patienten. Mansfeld - der die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung positiv bewertet - empfiehlt daher grundsätzlich, bei Symptomen Maske zu tragen, „damit man andere nicht infiziert. Es ist respektvoll, wenn man das macht, es zeugt vom Bewusstsein für eine Infektionskrankheit.“