Hagen. Ärger wie jetzt in Kreuztal bringt das Projekt immer wieder zum Stocken. Kurios: Im Norden und Süden ist die Leitung schon fertig.
Wenn man Ansgar Klein so zuhört, dann kann man den Eindruck gewinnen, er und seine Mitstreiter seien dem Widersacher machtlos ausgeliefert. „Die fallen über uns her wie die Heuschrecken“, sagt der Mann, der einer Bürgerinitiative in Kreuztal vorsteht. Klein meint den Netzbetreiber Amprion, der eine neue Höchstspannungsleitung baut. Aber geschlagen gibt sich der Mann nicht. Am 8. Mai 2024 wird vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Klage gegen die Genehmigung der bestehenden Pläne verhandelt. „Wir sind guter Dinge, in Leipzig Recht zu bekommen“, sagt Klein.
380.000 Volt: Ausbau einer bestehenden Trasse durch Südwestfalen
126 Kilometer lang wird die von Amprion geplante Trasse, sie führt von Dortmund-Kruckel nach Dauersberg in Rheinland-Pfalz - und durchquert dabei Südwestfalen: u.a. Herdecke, Hagen, Altena, Lüdenscheid, Attendorn, Kreuztal, Siegen. Kein Neubau, sondern der Ausbau einer bestehenden Leitung auf 380.000 Volt (vorher 220.000). Mehr Spannung, höhere Masten, mehr gesundheitliche Bedenken bei vielen Bürgern.
„Das Projekt trägt dazu bei, unser Stromnetz noch flexibler und leistungsfähiger zu machen“, rechtfertigt Amprion auf seiner Homepage den Ausbau. Der Anteil der erneuerbaren Energien auf dieser Stromstraße nehme zu. Über andere bestehende Höchstspannungsleitungen sei diese Leitung bereits heute mit den Windparks der Nordseeküste verbunden. Ein Akt der Energiewende also offenbar. Einer, der nach wie vor die Gemüter erregt.
Immer wieder geriet das Mammutprojekt ins Stocken. An verschiedenen Orten wurde auf Drängen der Bürger zum Beispiel die Art der Strommasten verändert. Die Masten waren es auch, die in Herdecke aufstießen. 87 Meter hoch sind sie auf dem Schraberg in Herdecke ganz in der Nähe eines Wohngebiets. Die Bezirksregierung Arnsberg als Genehmigungsbehörde habe eine Beeinträchtigung des Wohnumfeldes nicht berücksichtigt – so lautete der Vorwurf in der Klage, die im Jahre 2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht landete. Abgewiesen. Seitdem ist Ruhe eingekehrt in Herdecke im Bauabschnitt A1. Bis auf einen Maststandort ist laut Amprion alles schon fertig gebaut.
Auch die Stadt Kreuztal klagt gegen den Beschluss
Nun macht also Kreuztal ernst. Nicht nur sieben direkt betroffene Grundstückseigentümer klagen gegen die bestehende Planfeststellung durch die Bezirksregierung Arnsberg, sondern auch die Stadt. Vor allem geht es um die Zuwegung zu einem geplanten Umspannwerk im Landschaftsschutzgebiet Junkernhees.
Bisher, sagt Ansgar Klein von der Bürgerinitiative, habe Amprion behauptet, dass der bestehende Wirtschaftsweg ausreichend Raum für Transporte biete. Nach der Klageeinreichung habe Amprion nun Antrag auf eine Änderung der Planfeststellung gestellt, weil doch mehr Flächen benötigt würden. Die Planänderung beinhalte „eine angepasste Zuwegungsplanung zur genehmigten Umspannanlage“, wie Amprion auf Nachfrage formuliert.
Vorwurf der Bürgerinitiative in Richtung Amprion: Salami-Taktik
Bei Klein klingt das so: „Auf 280 Metern soll der Weg von drei auf zehn Meter verbreitert werden, im Kurvenbereich sogar auf 25 Meter. Das sind die Ausmaße eines Autobahnzubringers.“ Bäume müssten gefällt werden, weiterer privater Grund werde benötigt. „Aber wir geben unsere Grundstücke nicht her.“
Einzig wegen der Klage habe der Netzbetreiber nun nachgebessert, mutmaßt Klein. „Salami-Taktik“, sagt er. Nur das preisgeben, was gerade nötig sei. „Und die Bezirksregierung winkt das alles durch.“ Diese prüft derzeit nach eigenen Angaben die Planänderung. „Eine Vorprüfung des Antrags hat ergeben, dass keine erneute förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist, weil zusätzliche erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen nicht zu erwarten sind“, teilt die Behörde auf Nachfrage mit. „Dabei sind das Eingriffe in den Biotopbereich“, behauptet Klein.
Amprion baut auf eigenes unternehmerisches Risiko weiter
Innerlich schüttelt er immerzu den Kopf. Er kann nicht verstehen, dass Amprion seine Arbeiten an der Trasse ungestraft weiterführen darf. „Es werden weiter munter Bäume gefällt, die sind unwiederbringlich weg.“ Amprion bestätigt, dass man durch die erste Genehmigung der Bezirksregierung Arnsberg Baurecht habe – und die Arbeiten fortsetze. Da es sich um eine „wichtige Nord-Süd-Verbindung“ handele, „sind wir im Sinne der Versorgungssicherheit bereit, das unternehmerische Risiko aufgrund des noch ausstehenden Urteils aus Leipzig auf uns zu nehmen“.
Zu den vorbereitenden Maßnahmen gehörte auch eine vorzeitige Besitzeinweisung, die Amprion erwirkte. Diese ist eine Besonderheit des Enteignungsrechts und kann bei dringenden Infrastrukturmaßnahmen mit großem öffentlichem Interesse angewendet werden. Das „behördliche Besitzeinweisungsverfahren wurde durchgeführt, da vor Beginn der Bauarbeiten leider keine gütliche Einigung mit dem Betroffenen möglich war“, teilt Amprion mit. Es handle sich laut Ansgar Klein um einen fünf oder zehn Meter breiten Streifen Wiese. Der Eigentümer erhalte für drei Jahre eine Pacht von 300 Euro.
Noch keine Baugenehmigung für den Bereich Hagen-Hohenlimburg
„Wir haben Sorge, dass das ganze Tal, die gesamte Kulturlandschaft umgepflügt wird“, sagt Klein, der Zweifel hat, dass durch die Leitung wirklich erneuerbare Energie von der Nordseeküste nach Südwestfalen fließen wird. Die Leitung werde eher dazu genutzt, Strom aus dem Ruhrgebiet nach Europa weiterzutransportieren. Aber das ist nicht sein Punkt. Ihm und den anderen geht es um das Heestal, ein Naherholungsgebiet, das wegen unterschiedlicher Denkmäler kulturhistorisch wertvoll sei.
Viel Mühe und Arbeit habe die Bürgerinitiative daher in die Erstellung einer Alternativtrasse gesteckt. „Wir sind nicht als Verhinderer aufgetreten. Im Gegenteil: Wir sind konstruktiv gewesen, aber Amprion zieht sein Ding betonkopfartig durch“, sagt Klein. Das südliche Ende der gesamten Trasse ist - wie im Norden - bereits fertiggestellt, dazwischen ist Amprion schon bei den Arbeiten. Nur im Hagener Stadtteil Hohenlimburg liegt noch keine Baugenehmigung vor.
Die dortige Bürgerinitiative „No Monstertrasse“ hat sich zuletzt wieder getroffen, nachdem es viele Monate still um sie geworden war. Erkenntnis dort: Amprion geht offenbar derzeit auf Grundbesitzer vor Ort zu. „Die Grundbesitzer sind aufgefordert worden, einer Änderung des entsprechenden Grundbucheintrags zuzustimmen“, berichtet die neue Sprecherin Birgit Funk. Für die entsprechende Unterschrift sei ein kleiner Betrag geboten worden.
Von ihrem Küchenfenster seien es 150 oder 200 Meter bis zu den Leitungen, sagt Birgit Funk. Höhere Masten und mehr Spannung machen ihr und anderen Sorge vor gesundheitlichen Schäden. Da können ihr noch so viele Experten sagen, dass mögliche Strahlungen Grenzwerte nicht überschreiten. „Die Leitung führt über Schulen und Kindergärten. Die können sich dem gar nicht entziehen“, sagt Funk.
Unweit wohnt Claudia Scholten, die Sprecherin einer weiteren Bürgerinititive: „Hohenlimburg unter Höchstspannung“. Seit elf Jahren sei sie mit dem Thema beschäftigt. Mit dem Raumordnungsverfahren sei es losgegangen. Sie und ihre Mitstreiter schauen gebannt nach Kreuztal - und warten den Abschluss des Planfeststellungsverfahren für den Abschnitt A2 in Hagen-Hohenlimburg ab. „Ob wir klagen oder nicht“, sagt Scholten, „stellt sich erst dann heraus.“