Hagen. Ein geschickter Spagat bei der Premiere: Warum die Besucher des Theaters Hagen sich auf die Puccini-Oper „La Bohème“ freuen können.
Auf große Begeisterung stieß die Premiere von Giacomo Puccinis Repertoire-Hit „La Bohème“ im sehr gut besuchten Theater Hagen. Die richtige Prise Seelenmassage im Vorfeld der nahenden Festtage, die sich sowohl das Theater als auch das Publikum verdient haben. Die Gefahr, die Oper zum sentimentalen Rührstück zu verzerren, bannen Dirigent, das szenische Team und vor allem die exzellenten Gesangssolisten in harmonischem Einvernehmen.
Mit der ausnahmslos jugendlich frisch agierenden und singenden Crew lässt sich die Handlung glaubhaft als das darstellen, was sie ist: die Geschichte junger, lebenslustiger und hoffnungsvoller Leute auf der Suche nach dem Glück, die aber von der harten Realität eingeholt werden. Weder Puccinis Musik noch das kongeniale Libretto des Erfolgs-Duos Giacosa und Illica lassen da Platz für triefende Rührseligkeit. Für die emotionalen Achterbahnen, auf denen die zwischen Übermut, Hingabe, Eifersucht, Enttäuschung und Verzweiflung hin- und hergerissenen Menschen ihre Jugend durchrasen; für diese Gratwanderung zwischen Realismus und Traumwelt treffen sowohl Generalmusikdirektor Joseph Trafton als auch Regisseur Holger Potocki den richtigen Ton.
Trafton, indem er die filigranen Feinheiten der Partitur transparent zum Klingen bringt und weniger Wert auf effektbetont rauschhafte Gesten legt. Was den vielen intimen, mehr dem Kammerspiel als der großen Oper verhafteten Szenen besonders entgegenkommt und wodurch die Gefühlsausbrüche ohne Überdruck umso natürlicher zum Ausdruck kommen können.
Vertrauen auf die Partitur
Auch Regisseur Holger Potocki vertraut der Partitur so fest, dass er auf szenische Mätzchen und verwirrende Überinterpretationen verzichtet. Den Gefühlsregungen und -schwankungen der eingeschworenen Bohemien-Gemeinschaft lässt er freien Lauf. Mit einer behutsamen, stets der Handlung verbundenen Personenführung.
Bühnen- und Kostümbildnerin Lena Brexendorff gelingt ebenso geschickt der Spagat zwischen dem Realismus bitterer Armut und hochfliegenden Illusionen. Eine schlichte, aber pittoresk und keineswegs trostlos gestaltete Mansarde verwandelt sich durch die Lichtregie Hans-Joachim Kösters zeitweise in eine dezent imaginierte Traumwelt. Der Glitzer des weihnachtlich geschmückten Boulevards, dominiert von einer komplexen Neonlicht-Installation, verblasst im Nebel der kalten Winterlandschaft des dritten Aktes.
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Alles das kann aber nur seine Wirkung entfalten, wenn eine adäquate Besetzung der anspruchsvollen Rollen zur Verfügung steht. Und das ist dem Hagener Theater mit der Verpflichtung frischer, unverbrauchter Stimmen rundum gelungen. Herauszuheben ist etwa Jongwoo Kim mit einem strahlenden Tenor, der mühelos die unbequemsten Spitzentöne trifft und die langen melodischen Kantilenen bruchlos formen kann. Zurückhaltender, ein wenig kühl wirkt Anna Pisareva, die der Mimi stimmlich nichts schuldig bleibt und die Rolle vor naiver Unbekümmertheit und in ihrer Sterbeszene vor sentimentalen Übertreibungen bewahrt.
Nachhaltige Akzente
Mit seinem markanten Bariton verleiht Insu Hwang dem Marcello nachhaltige Akzente, ohne aufgesetzte Koketterie stellt Mercy Malieloa eine lebenslustige, gleichwohl sensible und ihre Bravour-Arie vorzüglich bewältigende Musetta dar. Dong-Won Seo als Schaunard trifft mit seinem voluminösen Bass den richtigen Ton, während der Bariton von Kenneth Mattice in der Rolle des Collines etwas unausgeglichen wirkt. Das Weihnachtstreiben im zweiten Akt lassen Chor und Extrachor sowie der Kinderchor des Theaters Hagen effektvoll ertönen.
Insgesamt eine szenisch sorgfältige und musikalisch hervorragende Produktion des populären Werks. Der Beifall des Premieren-Publikums sprach für sich.
La Bohème im Theater Hagen
- Dauer: ca. 2 Std. 30 Minuten, eine Pause.
- Die nächsten Aufführungen im Hagener Theater: am 24. November, am 6., 13., 21. und 26. Dezember sowie am 20. und 28. Januar
- Alle Informationen: www.theaterhagen.de.