Hagen. Experten zufolge hat jede vierte Sportsbar aufgegeben, vor allem auf dem Land droht Fußball-Kneipen das Aus. Das sagen die Anbieter.
Immer wieder dienstags und mittwochs tut es besonders weh, bekennt Simon Hahn. Wenn die Champions League läuft, die Fußball-Königsklasse, Borussia Dortmund, der FC Bayern, Titelverteidiger Manchester City oder Weltklub Real Madrid spielen – und Simon Hahn mit seinen Mitstreitern meist in die Röhre guckt. Wie viele in der Region. In Südwestfalen tobt ein (Preis-)Kampf um ein Stück Kneipen- wie Fußballkultur.
Für die Kreisstadt Olpe etwa listet der Anbieter Sky keine Gaststätte mehr, die Live-Fußball zeigt. Bier, Fußball, Kneipe – diesem Dreiklang droht auch andernorts das Aus. „Die Anzahl der Kneipen, Hotels und Restaurants, die Sport-Streaming anbietet, ist in Deutschland seit 2019 um circa 25 bis 30 Prozent zurückgegangen“, sagt Timm Heeg, der bei dem Streaming-Anbieter DAZN für das Gastronomiegeschäft zuständig ist.
Die Frage, warum dieses Kulturgut bedroht ist, führt zu Vereinsfunktionär Simon Hahn und dem SC Zurstraße, zunächst aber nach Lennestadt, zu Maik Schröder, Geschäftsführer des Needles & Pins. Es geht ums Geld, aber nicht nur.
Verdoppelung der Preise
Sie haben sich hier mal als „Sportsbar“ verstanden – und auch so genannt. Dann, im September dieses Jahres, seien sie „ausgestiegen“, wie Maik Schröder formuliert. Klingt, als hätte er ein schmutziges Business hinter sich gelassen. Ein bisschen empfindet er es wohl auch so. Er kündigte Sky und DAZN. „Die hohen Preise und das nachlassende Interesse am Fußball waren ausschlaggebend, eine Rolle hat auch das Thema Moral/Ethik gespielt. Ich bin selber Fußball-Fan, aber einige Entwicklungen im Profifußball gehen nicht mehr“, sagt Schröder.
Zunächst zu den Preisen (siehe Infobox): Früher brauchte er ein Abo, den TV-Sender Sky, der übertrug alles. Das habe monatlich 450, 500 Euro gekostet. Heute benötigen Maik Schröder (und alle anderen) nicht mehr nur einen Sender, sondern auch den Internet-Streaming-Anbieter DAZN, der den Wettbewerber bei den Übertragungsrechten etwa der Champions League und von Teilen der Bundesliga ausstach. Es gibt Kombiabos für die Gastronomie. Kostenpunkt für das Needles & Pins, eine 120-m²-Bar in Lennestadt-Altenhundem mit 60 bis 80 Sitzplätzen: knapp 1000 Euro pro Monat, erzählt Inhaber Schröder.
Er spart sich diese Ausgabe nun. Und nicht nur er. „Wir sind kein Einzelfall. Ich kenne keine Kneipe im Umfeld, die noch Live-Fußball zeigt“, sagt der Schalke-Fan.
So viel kosten Sky und DAZN
Die Gastro-Preise für Sky und DAZN variieren, richten sich beispielsweise nach der Größe der Kneipe oder, bei Sky, auch nach der Lage (Postleitzahl). „Damit differenzieren wir unseren Preis nach dem Einnahmepotenzial des Kunden durch die Ausstrahlung von Live-Sport“, erklärt Sky. Eine Bar bis 35 m² auf dem Land bezahle 155 Euro pro Monat, eine Kneipe mit mehr als 150 m² Fläche in der Düsseldorfer Innenstadt hingegen 1.880 Euro. Anfang 2023 wurden die Preise erhöht. Beispielsweise bei 35 m² Fläche und Innenstadtlage werden nun 280 Euro fällig (zuvor 235 Euro). Das Topspiel eines Champions-League-Spieltags, das bei Amazon Prime läuft, ist im Gastro-Abo von Sky enthalten.
DAZN bietet einen Gastro-Einheitspreis an. Früher lag der bei 250 Euro pro Monat, seit dem 1. August sind es – auch bedingt durch ein größeres Sport-Angebot – für Neukunden 399 Euro (bei einer Mindestvertragslaufzeit von 12 Monaten). „Der Preis ist ambitioniert, aber wettbewerbsfähig“, sagt Manager Timm Heeg, der darauf hinweist, dass man neben den eigenen auch Inhalte von Kooperationspartner MagentaTV (z.B. Eishockey, Basketball) anbiete. Zudem subventioniere man jeden Gastro-Kunden, der Sky besitze und zusätzlich DAZN abschließe, mit 100 Euro Rabatt pro Monat. Für Kneipen mit weniger als 35 m² Fläche gibt es einen so genannten „Tiny Bar“-Preis: 199 Euro.
Beide Unternehmen bieten zudem Sonderkonditionen für Vereinsheime an (DAZN: 150 Euro, Sky: ab 155 Euro).
Nachfrage „unglaublich gesunken“
Da ist zum anderen eine offenbar nachlassende Nachfrage nach Fußballabenden in der Kneipe. Laut Schröder (und anderer Wirte) sei das Interesse „unglaublich gesunken“. Das Ausgehverhalten habe sich infolge der Pandemie verändert. Auch die Inflation spiele eine Rolle, ebenso, dass man bei Sky und DAZN Jahresabos abschließen müsse, keine einzelnen Top-Spiele buchen könne. Außerdem würden sich mehr und mehr Leute vom Profifußball abwenden. So wie Schröder.
„Fußballer wechseln für hunderte Millionen Euro nach Saudi-Arabien, irgendwelche Emirate kaufen sich Spieler und Vereine. Der FC Bayern kauft für 100 Millionen Harry Kane, Fernsehrechte werden immer teurer. Spieler verdienen Millionen, ein Kellner bekommt 12,50 Euro pro Stunde – und der arbeitet mehr als ein Profifußballer. All das möchte ich nicht mehr unterstützen“, sagt er.
Sky spricht von „Kneipensterben“
Sky macht auf Anfrage keine Angaben zur Zahl seiner Vertragspartner in der Gastronomie, bestätigt aber, dass man „die Auswirkungen der Covid-Pandemie und der Energiekrise und dem daraus folgenden Kneipensterben in den letzten Jahren gespürt“ habe. Man stelle allerdings ebenfalls fest, dass sich Live-Sport in der Gastronomie immer noch rechne und das Interesse der Fans nach wie vor groß sei. Ähnlich äußert sich DAZN, das ebenfalls keine Abonnentenzahlen liefert. Wirte müssten heutzutage im Kampf um Gäste „umdenken, mehr Werbung machen und sich überlegen, wie sie mehr Umsatz erzielen können. Sport-Streaming ist da ein Argument“, sagt DAZN-Manager Timm Heeg.
Für Maik Schröder ist dieses Argument kein Argument. Negative Auswirkungen seien seit dem Aus als Sportsbar nicht festzustellen, „weder beim Umsatz noch bei der Zahl der Gäste. Wir haben den Laden voll“, sagt er. Als Restaurant und Bar sei man aber auch nicht nur auf die Fußballklientel angewiesen. „Eine typische Kneipe aber, der wird das schon wehtun, wenn sie keinen Fußball mehr zeigt“, sagt Schröder.
Sport-Streaming als Werbemittel
In Zurstraße, im Ennepe-Ruhr-Kreis, leidet Simon Hahn als Fußball-Fan durchaus. Er ist 2. Geschäftsführer des Kreisligisten SC Zurstraße. Er vertritt die Basis, den harten Kern der Zielgruppe von Sky und DAZN.
In ihrem Vereinsheim zeigen sie die Sky-Übertragungen. Sie würden gerne auch alle Spiele der Champions League anbieten; dass sie es nicht können, „tut weh“, sagt Hahn. Nur: Das erforderliche, zusätzliche DAZN-Abo sei zu teuer, zumal sie Geld des Vereins einsetzen, der nicht nur aus der Fußball-Abteilung bestehe.
Ein nachlassendes Interesse am Fußball sieht Simon Hahn in Reihen des Vereins nicht. Durch den Verkauf von Getränken und Bockwürsten hole man die Ausgaben für das Sky-Abo rein. Solange die Bilanz ausgeglichen sei, bleibe man Sky-Kunde. Das Angebot sei Teil des Vereinslebens.
Möglich, dass auch sie noch mal von DAZN hören. Timm Heeg sagt, dass die Gastronomie auf dem Land stärker zu kämpfen habe, man daher im ländlichen Raum viel Marketing betreibe, auch auf die Sonderkonditionen für Vereinsheime hinweise. „Gemeinsam in der Kneipe Fußball zu gucken ist Kultur. Wir wollen nicht, dass diese Kneipenkultur stirbt, sondern helfen, diese am Leben zu halten“, sagt der DAZN-Manager. Außerdem: „Sport-Streaming in Kneipen hilft uns, die Bekanntheit unserer Marke zu steigern.“
Wenn denn jemand einschaltet.