Brilon. Richterin Nicole Heitzig wird die erste Frau, die einen Landesjagdverband führt. Welche Zweifel sie hatte und warum sie im Wald schon weinte.

Es ist nur eine Kleinigkeit, aber sie sagt etwas aus über Nicole Heitzig. Sie steht zwischen regentropfenbehangenen Tannen in den Waldbergen Brilons im Hochsauerland. Der Hochsitz in Wurfweite. Ihr Lieblingsplatz, der ruhigste im ganzen Revier, sagt sie. Wenn man ihr an diesem einsamen Ort nun aus einem irrwitzigen Zufall heraus begegnete, was würde man dann sagen: Weidfrausheil? „Das finde ich eher albern“, sagt die 48-Jährige. Richterin von Beruf, Jägerin in der Freizeit. Und bald schon die erste Frau überhaupt in Deutschland, die einen Landesjagdverband führt. „Jeder wie er mag“, sagt Nicole Heitzig, „aber wenn das jemand zu mir sagt, dann erwidere ich: Weidmannsdank.“

Sie sagt, das sei ein feststehender Begriff, etwas, das man kenne. Dieses Zwanghafte an dem Männer-Frauen-Thema sei es, das sie stört. Und womöglich gereicht ihr diese Art von Traditionalismus zum Vorteil beim Versuch, der Jägerschaft in Nordrhein-Westfalen zu mehr Moderne zu verhelfen, sie in die Zukunft zu führen. „Manchmal sage ich auch: Ich bin Jäger.“ Einer, der auch schon geweint hat, wenn er ein Tier erlegt hat.

Sie heiratete den Mann, deren Scheidung sie verhandelte

Nicole Heitzig sitzt bei sich zu Hause an einem rustikalen Holztisch und erzählt wie alles gekommen ist. Der Blick aus dem Fenster geht hinaus auf einen bewaldeten Hang. Über ihr an den hohen Wänden hängen unzählige Geweihe – Erinnerungsstücke ihres Mannes. 2010 zog sie zu ihm ins Sauerland. Am Rande einer Jagd hatten sie sich kennengelernt. Er sagte damals, er kenne sie, wisse aber nicht woher. Am nächsten Tag fiel es ihm ein: Sie hatte Jahre zuvor seine Scheidungssache vor Gericht verhandelt. „Lustig, wie das Leben manchmal spielt“, sagt sie – und meint nicht nur diese Begebenheit. Schließlich sei sie gar kein Vereinsmeier.

Längst sollte sie Oberhaupt der mehr als 80.000 NRW-Jäger sein. Doch die Jahreshauptversammlung, bei der die Wahl anstand, musste wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden. Einen Gegenkandidaten gibt es bislang nicht – und die Wahrscheinlichkeit, dass noch einer auftaucht, ist gering. Der amtierende Präsident Ralph Müller-Schallenberg hatte im vergangenen Jahr an genau jenem Holztisch im Hause Heitzig gesessen und gefragt, ob die Sauerländerin nicht seine Nachfolge antreten wolle. Sie erbat Bedenkzeit.

Die Liebe zur Jagd begann – vor Gericht

So lange, dachte sie, sei sie ja noch gar keine Jägerin. Diese Beziehung begann auch erst vor etwas mehr als zehn Jahren – ebenfalls vor Gericht, wenn man so will. Nicole Heitzig hatte am Amtsgericht Paderborn einen Fall zu verhandeln, in dem es um Wilderei ging. Nach Prozessende kam ein Jäger aus der Zuschauerschaft auf sie zu und fragte, ob sie denn Jägerin sei und falls nicht, ob sie es nicht werden wolle. War sie nicht. Aber es sprach nichts dagegen, es zu probieren.

Im Mai 2008 hatte sie ihren Jagdschein in der Hand. Zwei Tage später schon schoss sie ihren ersten Rehbock in Marsberg im Revier eines Freundes. „Ich wusste vorher nicht, ob ich es emotional schaffen würde, ein Tier zu erlegen“, erinnert sie sich zurück. „Als es soweit war, habe ich erst einmal geweint. Ich fand das irgendwie erschreckend und fragte mich: Darf man das?“ Das Gehörn hängt mit ein paar anderen neben der Eingangstür. An einem hängt der Autoschlüssel.

Wie kannst du Tiere totschießen?

Die meisten Menschen, denen sie erzählt, dass sie Jägerin ist, seien überrascht, sagt sie. Manche positiv, andere nicht. Den Vorwurf in der Frage überhört sie nicht: Wie kannst du Tiere totschießen?

„Ich habe zugesagt, weil ich hinter der Sache stehe und ich Sorge habe, dass Jagd irgendwann nur noch ,Schädlingsbekämpfung’ sein soll“, sagt Heitzig. Bei Gericht hat sie eine halbe Stelle. Viel Zeit wird sie das Amt kosten, viele Nerven, viel Kraft auch. „Ich werde kämpfen für die Jagd und für das Wild.“

Jäger sind die, die viele nicht mögen. Die einen, die Förster, halten sie mitunter für überfordert mit der Aufgabe, Wildbestände zu regulieren, damit die Tiere nicht die jungen Bäume kaputtbeißen. „Es ist ein Problem, dass die Forstseite nur uns in der Pflicht sieht. Wir können doch den Kampf gegen den Klimawandel nicht ausschließlich auf dem Rücken des Wildes austragen“, sagt Heitzig. Die Tiere bräuchten geschützte Rückzugsorte, gerade jetzt in der Pandemie, wenn zu fast jeder Tages- und Nachtzeit im Wald Spaziergänger, Jogger und Fahrradfahrer unterwegs seien.

Die anderen, Tierschützer, halten Jäger für schießwütige Mörder. Jüngst musste eine Drückjagd in Siegen wegen Protesten abgebrochen werden. Heitzig schüttelt den Kopf, „naturentfremdet“ seien diese Menschen, „sinnfrei“ die Aktion. „Mit diesen Leuten kann man oft nicht diskutieren, weil sie immer auf Konfrontation aus sind. Vermutlich ist ihr Ziel, dass wir die Freude verlieren an der Jagd.“

Männliche Dominanz und Revolution

Ob sie all den Konflikten gewachsen ist? Als Richterin sei sie es gewohnt, erst alle Seiten zu hören, bevor sie sich eine Meinung bilde. Vielleicht helfe das. Die Rückmeldungen aus dem Verband seien jedenfalls positiv. Selbst Mitglieder, die sie gar nicht kenne, schrieben ihr, dass sie sich freuten, wenn sie zur Oberjägerin wird. „Die Führungspositionen in den Jagd-Verbänden sind oft von männlichen Kollegen im fortgeschrittenen Alter belegt. Verjüngung ergibt sicherlich Sinn“, sagt sie. Die erste Frau an der Spitze der männlichen Domäne Jagd wäre eine kleine Revolution.

„Mir ist bewusst, dass es etwas Besonderes ist, wobei ich hoffe, dass es nichts Besonderes bleibt“, sagt sie. „Es gibt wahrscheinlich auch Leute, die skeptisch sind, dass das jetzt eine Frau wird, dass ich jetzt die Quotenfrau bin.“ Sie mag den Ausdruck nicht, gar nicht. Sie denkt nicht in Geschlechtern, auch nicht in Quoten. „Ich mache mir da keinen Kopf. Es geht einzig um die Frage, ob jemand das, was er tut, gut kann.“ In diesem Sinne: Weidmannsheil.

<<< HINTERGRUND >>>

Nicole Heitzig wurde 1972 in Münster geboren, wuchs in Köln auf und kehrte für das Studium der Rechtswissenschaften nach Münster zurück.

1999 trat sie die Richterstelle in Paderborn an und zog im Jahre 2010 der Liebe wegen nach Brilon ins Sauerland. Sie ist verheiratet, hat zwei Stiefkinder und sechs Enkelkinder. Seit 2017 ist Nicole Heitzig Vorsitzende der Kreisjägerschaft Hochsauerland.

LJV-Präsident Ralph Müller-Schallenberg führt den Verband seit acht Jahren. Seine Nachfolge wähnt er seit Herbst 2019 geregelt. „Wir haben frühzeitig einen überzeugenden Vorschlag für meine Nachfolge gemacht.“

Die Mitgliederversammlung des LJV im Oktober musste ausfallen. Sie soll online im ersten Quartal 2021 nachgeholt werden.

Von 52 Kreisjägerschaften in NRW werden nur sechs von einer Frau geführt. Knapp ein Viertel aller Teilnehmer der Jägerausbildung sind in Deutschland laut Statistik des Deutschen Jagd-Verbandes Frauen. Der Anteil von Jägerinnen in Deutschland liegt bei 7 Prozent.

41 Prozent der Jägerschaft engagieren sich ehrenamtlich im Umwelt- und Naturschutz, dabei Frauen öfters als Männer.