Hagen. Wenn die Frauen die Macht übernehmen: Das Theater Hagen zeigt Lehárs Operetten-Klassiker in frischem Gewand. Warum das Publikum jubelt.

Wenn man ihr nicht begegnet wäre, der Lustigen Witwe im Theater Hagen, würde man sie suchen müssen. Es war, als hätte es just in diesen Tagen diesen Abend voller köstlicher Momente gebraucht, sich mit den Sängern und Musikern durch die zuckersüße Welt der Operette zu tanzen. Lustvoll wirbelnd und in rasantem Tempo führt das Theater Hagen sein Publikum durch Franz Lehárs berühmtes Bühnenwerk um Liebe und Laster, Gier und Geld und lässt es teilhaben an einem höchst amüsanten und doch tiefgründigen Verwirrspiel.

Kaum war der rote Vorhang im Großen Haus des Theaters am Samstag geöffnet, war klar: Diese Inszenierung von Annette Wolf macht die tausendfach gespielte, musikalisch höchst raffinierte Operette aus dem Jahr 1905 zu einem Gesamtkunstwerk, das neu zu entdecken eine Freude sein würde. Und so beginnt mit dem ersten Duett zwischen dem Buffopaar Valencienne (Anna Sophia Theil) und Camille de Rosillon (trotz angeschlagener Stimme hörenswert Anton Kuzenok) im symmetriebetonten, im Stil des Art Deco floral kühl dekorierten Palais (Bühne Jan Bammes) der pontevedrinischen Gesandtschaft in Paris ein wahrhaft rauschendes Fest für Augen und Ohren.

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Reichlich Champagner

Zu herrlich frischen, fein nuancierten Klängen aus dem Orchestergraben (Leitung Steffen Müller-Gabriel) vor erleuchteter Sacré Coeur hinterm Sprossenglas wird reichlich Champagner aufgefahren, tanzen die Geladenen in großer Robe (Kostüme Yvonne Forster), flirten, stolzieren, gurren und vertuschen, was das Zeug hält. Schließlich gilt es, den Geburtstag des Fürsten zu feiern, auch wenn die Kassen leer sind. Eine nur könnte jetzt noch den Staatsbankrott abwenden: Die schöne, vermögende Witwe Hanna Glawari, so der Notfallplan, soll im Auftrag Baron Zetas (herrlich in seiner Blasiertheit: Richard van Gemert) dem gräflichen Hallodri Danilo die Hand zur Ehe reichen, anstatt ihr unfassbar großes Erbe in Paris zu verjubeln.

Es kommt, wie es in der Operette kommen muss: Gierig umschwirren die kunstvoll pomadisierten Herren der Schöpfung die Neureiche wie die berühmten Motten das Licht, hauen, stechen sich ins Zentrum der Macht und sind dabei nur selbstgefällig-eitle, verführbare Objekte der Begierde – der Frauen. Jawohl! Im Theater Hagen sind die Frauen lustvolle Tänzerinnen, Verführerinnen, Gattinnen, die wissen, was sie vor allem nicht wollen: den aufgeblasenen, befrackten Herren zu Diensten sein. Und so wird ständig getanzt - auf dem Vulkan, als gäbe es kein Morgen: Nach dem Palais feiert die Gesellschaft (die großen Tableaus zeigen den Theaterchor – Einstudierung Wolfgang Müller-Salow und Julian Wolf – bestens intoniert, komödiantisch, textverständlich) im französisch manierierten Lustgarten die anrührende Folklore der Heimat, um zur Nacht im fein ausgeleuchteten Maxim (Licht Hans Joachim Köster) den Cancan auszukosten und sich sinnlichen Freuden vollends hinzugeben. Dazwischen gibt der schlaksige Kanzlist Njegus, den Thomas Weber-Schallauer herzerfrischend mimt, nicht nur dem Publikum kalauernd zu verstehen, was er von doppelzüngigen Hochwohlgeborenen hält.

Die Königskinder

Die Königskinder aber, die sich einst im heimatlichen Kleinstaat lieben wollten, aus Standesgründen indes nicht durften, drehen sich Akt um Akt um sich selbst und umeinander, zeigen sich schnoddrig die kalte Schulter, begegnen sich wortlos sehnsuchtsvoll, um sich nach gut zwei Stunden endlich ihre Liebe zu gestehen. Begleitet von zart geführten Melodiebögen, schmissigen Walzern und tänzerischen Weisen glaubt man den beiden trotzigen Schweigern jede Geste, selbst jedes unausgesprochene Wort – berührend innig gelingt der Walzer ohne Worte „Lippen schweigen“. Die Hanna der Angela Davis ist großartig, stimmlich in allen Lagen strahlend, willensstark und lebensfroh durchschaut sie jedes intrigante Lustspiel. Kenneth Mattice ist die Rolle des adligen Attachés Danilo auf den Leib geschneidert: Als leicht derangierter, bequem-verwöhnter ewiger Jüngling gelingen ihm großspurige Wehleidigkeit und sehnsuchtsvolle Geständnisse – was finge der auch an mit seinem Leben, wenn Hanna ihn nicht an die Hand nähme?

Das Publikum applaudiert im Stehen

Ob Lug und Trug, ob Schmerz und Herz - das Hagener Publikum genoss das temperamentvolle Geschehen auf der Bühne und im Orchester, feierte kultiviert-romantische Duette, überraschende Slapstick-Momente, erotisch-frivole Tänze (Choreographie Kerstin Zinser-Zwanzig) und belohnte das Ensemble für seine Lustige Witwe mit dankbarem Applaus im Stehen.

Weitere Vorstellungen: 18. 10., 2. und 12. 11., 22. + 31. 12. sowie in 2024. www.theaterhagen.de