Woher kommen die Sympathien für die Hamas? die Verklärung der Palästinenser. Haben Sie mit Alltagsantisemitismus zu tun? Eine Spurensuche.

Als der schwedische Erfolgsautor Henning Mankell (1948-2015) im Jahr 2010 mit propalästinensischen Aktivisten, darunter bekennende Rechtsradikale, per Protestschiff zum Gaza-Streifen fuhr, regte sich in der europäischen Kultur-Szene niemand groß auf. Ja, der Mankell und seine kruden Ansichten über die Juden. Als auf der Weltkunstschau Documenta 2022 antisemitische Darstellungen ausgestellt wurden, gab es zwar Diskussionen, aber keine wirklichen Konsequenzen. Jetzt brüstet sich die Hamas mit abscheulichen Videos der Gräueltaten, die sie bei ihrem Angriff auf Israel am Wochenende begangen hat. Im Kulturbereich, in der alternativen Szene und auch in christlichen Kreisen beschäftigen sich die Reaktionen darauf erstaunlicherweise kaum mit den Opfern des Angriffs, sondern vor allem mit der Situation der Palästinenser. Warum gibt es in diesen Milieus so viel Sympathie für die Hamas und so wenig Herzenswärme für Israel? Die These lautet: In den Reaktionen auf den Hamas-Angriff leben antisemitische Klischees fort. Und zwar unbewusst, also sehr schwer greifbar.

Ganz persönliche Betrachtung

 Kultiviert - Die Kolumne von Monika Willer
Kultiviert - Die Kolumne von Monika Willer © WP | Sascha Kertzscher

Dieser Text handelt nicht von der Politik des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und der komplexen innenpolitischen Situation in Israel. Anlass ist allein eine Betrachtung der Reaktionen auf den Hamas-Angriff im Social-Media-Umfeld der Autorin. Dort publizierte ein deutscher Priester relativ schnell ein Statement, wonach die Hamas nicht die Mehrheit der Palästinenser repräsentiere, eine verbreitete Auffassung in christlichen Kreisen. In einem Interview argumentierte der Theologe weiter, dass Netanjahu das Feuer geschürt habe, das jetzt explodiert sei. Die Widersprüchlichkeit seiner Aussagen und die implizierte Täter-Opfer-Umkehr ist ihm offenbar nicht klar.

Wo sind denn die Demonstrationen der Mehrheit der Palästinenser gegen die Hamas-Gemetzel in den Kibbuzzen? Wo sind die Stimmen der arabischen Literaten und Intellektuellen? Stattdessen johlen palästinensische Flüchtlinge in Berlin vor Freude; es brauchte Polizeischutz, um am Rathaus des Stadtteils Neukölln die israelische Flagge aus Solidarität hissen zu können; Juden fühlen sich dort nicht mehr sicher. Und auch die von unserer Redaktion um eine Stellungnahme gebetenen südwestfälischen Juden hatten vielfach Sicherheitsbedenken, sich in Wort und Bild zu äußern. Haben wir zu lange weggesehen, während der muslimische Antisemitismus die Kontrolle über die Straßen in Deutschland übernommen hat?

Die Ziele der Hamas

Die Hamas hat zum Ziel, den Staat Israel auszulöschen. Sie ruft anlässlich des Überfalls auf Israel dazu auf, Juden überall auf der Welt zu töten. Frieden bedeutet für die Hamas, dass Israel nicht mehr existiert. Das ist ihre offizielle Politik. Die Hamas ist eine islamistische Terrorgruppe, strikt antidemokratisch, frauenfeindlich, queerfeindlich. Sie missbraucht palästinensische Kinder und Jugendliche als lebende Waffen für Selbstmordattentate. Seit die Hamas sich 2007 In Gaza an die Macht geputscht hat, ist die Situation für die Bevölkerung nicht besser geworden.

Und doch treffen die Vorwürfe, was die Lage der Palästinenser in Gaza angeht, hauptsächlich Israel. Es wird nicht gefragt, was die Hamas tut, um die Spannungen zu befrieden, um die Lebensverhältnisse der Bevölkerung zu verbessern, der Fokus liegt fast ritualhaft auf Israel. 340 Millionen Euro flossen allein aus Deutschland in den vergangenen zwei Jahren an die Palästinenser. Offenbar wurden sie nicht nur für humanitäre Zwecke verwendet. Was Israel bei dem verheerenden Angriff am Wochenende entgegenflog, war vermutlich deutsches Geld. Auch in den Stunden und Tagen nach dem Terrorangriff der Hamas kommentierten dennoch viele aus der sogenannten linken Szene die Vorgänge mit: Israel treffe eine Mitschuld. Man müsse relativieren.

Schreckliche Videos

Ein Video der Hamas zeigt, wie Palästinenser den leblosen Körper einer jungen Frau auf einem Transporter herumfahren und darauf spucken. Wo bleiben die Feministinnen, wo bleibt Alice Schwarzer, um solche Barbarei zu verurteilen? Die Forderung nach Differenzierung treibt seltsame Blüten. Wenn die Hamas nicht die Mehrheit der Palästinenser repräsentiert, warum sollten dann die von der Hamas abgeschlachteten Jugendlichen bei einem israelischen Musikfestival eine Folge von Netanjahus Agieren sein? Wieso soll man die Palästinenser nicht in Gruppenhaft nehmen für den Terror der Hamas, aber alle Israelis in Gruppenhaft nehmen für Netanjahus im eigenen Land höchst umstrittene Politik? Auf diesen Widerspruch haben die Palästinenser-Romantiker keine Antwort. Man darf vermuten, dass sie ihn noch nicht einmal als Widerspruch bemerken.

Der Schuld-Mythos

Denn: An allem sind die Juden schuld! Und deshalb haben sie sich auch die Gewalt, die gegen sie ausgeübt wird, selbst zuzuschreiben. Kommt Ihnen das Argument bekannt vor? So legitimierten die Nazis den Holocaust. Judenverfolgung war demnach vorauseilende Selbstverteidigung. Das Judentum soll Schuld gewesen sein am: Kreuzestod von Jesus Christus, an der Pest und weiteren Krisen des Mittelalters, am Ersten Weltkrieg, an der Russischen Revolution, an den Wirtschaftskrisen der Nachkriegszeit. Auch während der Corona-Pandemie blühten jüngst wieder antisemitische Verschwörungstheorien. Offenbar bis auf den heutigen Tag, dient der Schuld-Mythos zur Rechtfertigung von Gewalt und verhindert Mitgefühl mit jüdischen Gewaltopfern.

In meiner Studienzeit war das Palästinensertuch in Mode, und die politisch aktiven „linken“ Studenten erklärten uns, dass Israel der verlängerte Arm des amerikanisch-jüdischen Weltkapitalismus im Nahen Osten sei. Die braven Palästinenser hingegen würden nur ihre Scholle verteidigen. Diese romantische Glorifizierung hat mich damals ebenso wenig überzeugt wie heute. Es ist jedoch interessant, dass sich dieses Klischee in linken Kreisen bis heute hält.

Eine Gegenoffensive Israels wird bereits jetzt von der Weltöffentlichkeit kritisch beäugt. Wie soll Israel mit der palästinensischen Zivilbevölkerung umgehen? Die Frage ist bitter. Denn nach dem Völkerrecht hat niemand gefragt, als die Hamas Frauen, Kinder und Greise ermordete und ihre Leichen schändete. Die israelischen Opfer vom Wochenende sind im Prinzip schon vergessen angesichts der Sorge, was den Palästinensern drohen mag.

Endlich mit der Verharmlosung aufhören

Daher wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, endlich aufzuhören: Mit der Verharmlosung der Hamas. Mit der romantischen Zweiteilung in böse Hamas und gute Palästinenser, mit der naiven Annahme, Hilfsgelder für Krankenhäuser und Schulen gingen in Gaza auch an Krankenhäuser und Schulen. Die Bundesregierung argumentiert, ein Stopp der Hilfszahlungen würde noch mehr Palästinenser zu Terroristen machen. Ich bin dezidiert gegenteiliger Meinung. Jeder Euro Hilfsgeld legitimiert den palästinensischen Terror, nach dem Motto: Solange sie uns unterstützen, sind wir im Recht.

Stattdessen sollten wir andere Fragen stellen: Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Was macht es mit einer demokratischen Gesellschaft, wenn sie von allen Seiten jahrzehntelang derartigem Druck ausgesetzt wird?

Wenn die Hamas die Waffen niederlegt, kann es Frieden geben.

Wenn Israel die Waffen niederlegt, ist es weg.