Die Fernuni Hagen kann ein Aktbild von Hans Slavos nicht ertragen. Also soll es auch kein anderer sehen. Über einen beschämenden Kunst-Skandal.
Erst im März schüttelte Europas Kulturwelt den Kopf über Eltern in den USA, die eine Schulleiterin entließen, weil sie den Kindern ein Foto des nackten David von Michelangelo zeigte. Der aktuelle Eklat um Kunstzensur kommt nicht aus dem puritanischen Amerika, sondern von der Fernuniversität Hagen. Es geht um nackte Brüste, wie sie in den Museen und Kirchen dieser Welt zu Abertausenden zu sehen sind. Und auch auf der Glasmalerei „Die Kaffeepflückerinnen“ des Malers Hans Slavos, die sich in der Fernuni befindet. Das Werk sei rassistisch und sexistisch, heißt es von der Universität. Um künftigen Besuchern ein eigenes Urteil zu ersparen, verhüllte man die Brüste mit einer Plexiglasscheibe.
Das heißt: Man überschrieb ein dem Urheberrecht unterliegendes Werk an einem Ort, der dem geistigen Eigentum gewidmet ist.
Ungeliebte Bilder
Die Welt ist voll mit Bildern, die ihre Verwahrer nicht mehr sehen wollen. Dann kommen sie eben ins Depot. Oder man kontextualisiert sie mit einer Hinweistafel. Unbeschädigt. Kunstwerke zu überschreiben, ist Sache der Bilderstürmer radikaler Sekten. Selbst die katholische Kirche tut es nicht mehr.
- Lesen Sie auch:
- Standpunkt: Verharmlosung der Hamas muss endlich aufhören
- Missbrauch: Paderborner Betroffene wollen keine Rache
- Priester: Wenn ein Tier stirbt, trauern wir wie bei Oma
- Wie der Hagener Maler Emil Schumacher weltberühmt wurde
Dass eine Bildungseinrichtung in einem demokratischen Land einem Kunstwerk solche Verachtung zukommen lässt, dass sie es verschleiert, ist ein Skandal erster Güte und sollte auch das NRW-Wissenschaftsministerium beschäftigen. Schließlich unterrichten die Beamten, die für die Überschreibung verantwortlich sind. Wie wollen sie Werte wie Toleranz und kritische Hinterfragung stereotyper Denkmuster vermitteln, wenn sie selbst Denkverbote durchsetzen?
Das verlorene Paradies
Ein Gemälde zeigt selten auf den ersten Blick, was in ihm steckt, es will gelesen werden. Nacktheit in der Kunst hat komplexe Bezüge, sie geht auf die Bibel zurück. Die „Kaffeepflückerinnen“ von 1952 sind als Abgesang auf eine paradiesische Welt zu interpretieren, die es nie gegeben hat. Die Pflückerinnen, eine bekleidet, eine barbusig, haben ihr Vorbild in den freien Südseefrauen Paul Gauguins, sie strahlen Würde und Selbstbewusstsein aus. Aber natürlich ist das Glasgemälde auch als Beispiel für den Kolonialismus zu bewerten. Kunst ist vielschichtig und funktioniert auf vielen Interpretationsebenen.
Das Skandalöse an dem Hagener Bildersturm ist jedoch die gewollte Bevormundung. Man traut den Betrachtern nicht zu, sich selbst ein Bild zu machen. Noch mehr: Man will mit aller Gewalt verhindern, dass sie sich ein anderes Bild machen als das eigene. Das ist erbärmlich. Zum Fremdschämen.