Hagen. Emil Schumacher, Maler aus Hagen, schafft den Durchbruch, seine Bilder werden zu Wegmarken der jungen Bundesrepublik. Wie konnte das passieren?
Der Maler Emil Schumacher (1912-1999) gehört zu den seltenen Künstlern, deren Werk nicht altert, sondern den Betrachtern aus unterschiedlichen Generationen immer wieder neue überraschende Erkenntnisse schenkt. Schumachers Lebensspanne umfasst fast ein Jahrhundert, und auch in seinem umfangreichen Schaffen erweist er sich als Jahrhundertkünstler. Das Hagener Emil-Schumacher-Museum präsentiert daher jetzt die Sammlung neu, um neue Blickwinkel auf das Oeuvre zu ermöglichen. „14 Jahre lang haben wir den Kreisschluss zwischen Frühwerk und Spätwerk gezeigt. Jetzt wollen wir Schumacher einmal anders erzählen, von dem Moment an, wo er nicht nur seine ersten internationalen Erfolge erlebte, sondern auch manifestierte“, sagt Museumsdirektor Rouven Lotz.
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Unter dem Titel „Durchbruch“ stellt Lotz jene Werke an den Beginn des Rundgangs, mit denen der noch gänzlich unbekannte Hagener Künstler in den späten 1950er Jahren die Welt eroberte - und die zu künstlerischen Wegmarken der jungen Bundesrepublik werden: Der Hungerleider aus der Provinz wird 1958 mit dem Guggenheim-Award geehrt, zur 29. Biennale von Venedig eingeladen und im Jahr darauf zur II. Documenta in Kassel, dazu kommt die erste Einzelausstellung in New York. „Emil Schumacher wird international als einer der bedeutendsten Maler der jungen Bundesrepublik wahrgenommen“, bilanziert Rouven Lotz. „Das verändert alles.“ Auch privat in dem Elternhaus in der Bleichstraße in Hagen Wehringhausen, wo Emil Schumacher mit seiner Familie bis zu seinem Tod lebt. Denn jetzt sind die Hungerjahre vorbei.
Farbe wie eine Urgewalt
Nach all den blonden Kraftprotzen, welche die Nazimaler hinter Pflüge oder an Maschinenräder gestellt hatten, bricht „Sodom“ von Emil Schumacher 1957 wie eine Urgewalt in die überkommenen Sehgewohnheiten ein. Die Farbe wird hier fast dreidimensional, eine schrundige Landschaft in düsterem Rot, das Farbmaterial wirft sich auf, speit seine Pein regelrecht aus dem Bildträger, schwarze Risse durchziehen das Gemälde wir abgestorbene Adern, ab und an flackert ein Höllenfeuer. Das biblische „Sodom und Gomorrha“ beschreibt, wie Städte wegen des sündhaften Verhaltens ihrer Bewohner untergehen. Es ist nicht zu weit hergeholt, in diesem Bild Schumachers Reflexion der Nazijahre zu lesen. Seine Heimatstadt Hagen war noch zerstört, als es erstand, er selbst durfte unter den Nazis seine Bilder nicht malen.
Bilder von Zeitgenossen
Rouven Lotz stellt daneben Bilder von Zeitgenossen wie Fritz Winter, Gerhard Hoehme und Roswitha Lüder, welche die ungeheure Aufbruchstimmung jener Jahre visualisieren, die Freiheit einer Malerei, die nicht mehr der Zensur unterliegt. Die moderne Kunst wird als abstrakt wahrgenommen, aber es zeigt sich schnell, dass Emil Schumachers Abstraktion mehr ist als das Experiment mit Flächen, Linien und Farbfeldern. Die Kunstkritik bemüht sich, dieses Neue in Begriffe zu fassen: Informel, gestische Malerei, später dann abstrakter Expressionismus. Heute verzichtet man eher auf solche Etiketten, zumal sie alle das Werk von Emil Schumacher nicht in seiner Fülle greifen. Daher fällt es heute leichter zu erkennen, dass Schumachers Gemälde mehr sind als nur „abstrakt“. In seinen Bildern steckt Leben, das herauswill. Es handelt sich um die Essenz des Lebens, um verdichtetes Leben, auch um zerstörtes Leben, wie in den Hammerbildern, Türblätter, die für Schumacher erst bemalbar werden, nachdem er ihnen mit dem Hammer Verletzungen zufügt. Schumachers großes und umfangreiches Werk ist ein Resultat jenes lebenslangen Fleißes, zu dem der Handwerkersohn erzogen wurde. Morgens aufstehen, schaffen, „seine ganze Kunst ist aus den Händen geschaffen“, so Rouven Lotz.
Wild und frei
Es ist vor allem aber eine unerschöpfliche Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Lebens: der Erde, den Tieren auf der Erde, dem Urgrund der Zivilisation. Die wild und frei mit schrundiger Farbe modellierten und geritzten Riesenleinwände sind Landschaften, sie werden zur Folie für Ursymbole der Kultur wie Rad und Dach und Pflug. Denn alle Kultur hat ihren Ursprung in dem befruchtenden Kontakt zwischen Erde und Sonne, was Emil Schumacher in seinem Bild des Sonnenwagens , „Helios“, veranschaulicht. „Barbaros“ wiederum geht weit in die Tiefe, wo das Herz der Erde als pulsierendes Magma glüht. Mit diesem Gemälde hat Schumacher den Guggenheim-Preis gewonnen, heute ist es Teil der Sammlung Lambrecht-Schadeberg und hängt im Museum für Gegenwartskunst Siegen.
Obwohl man so viel über Emil Schumacher weiß, und gerade die Hagener ihn als Nachbarn und Mitbürger persönlich erlebt haben, bleibt der private Emil Schumacher immer noch schwer greifbar. Auch hier gibt die Ausstellung einige Einblicke. Zum Beispiel die Sache mit dem Fenster. Schumacher baut sich den Dachboden des Elternhauses zum Atelier aus und setzt ein wandhohes Glasfenster ein. Die großen Formate lassen sich nicht mehr durchs Treppenhaus transportieren, sie werden mit einem Kran aus dem Dachfenster über das Dach des Nachbarn gehoben. Davon fühlt sich der Nachbar gestört, er klagt wegen Verletzung seines Luftraumes, die Sache geht bis vor das Landgericht. Die Einigung: Emil Schumacher darf seine Bilder aus dem Fenster heraus heben; brächte er sie auf diesem Wege zurück, würde eine Gebühr fällig.
Künstler-Untergrund
Die meisten Hagener kennen Emil Schumacher als wortkargen, in sich gekehrten Mann, seine Frau Ulla, die er in Hagen auf der Kirmes kennenlernte und 1941 heiratet, ist der fröhliche, lachende Part der Beziehung. Doch Zeitzeugen berichten, dass Schumacher in seiner Jugend in Wehringhausen als Fetenkracher galt, damals, als der Hagener Künstler-Untergrund während der NS-Zeit seine Ateliers rund um den Wilhelmplatz hat. Wie hart die Kriegs- und Nachkriegsjahre für die jungen Maler waren, ist heute kaum noch zu ermessen. Emil Schumacher und sein Bauhaus-Künstlerfreund Heinrich Brocksieper sammeln am Volmeufer Pfaffenhütchen-Holz, um daraus Zeichenkohle herzustellen.
Die Hutzelbirnen
Man kann sich an Schumachers Bildern nicht sattsehen, weil soviel darin passiert, und sie auf so vielen Ebenen lesbar sind, manches erkennt man erst beim vierten oder fünften Besuch. Eine Neuentdeckung in der Neupräsentation sind sicherlich jene Arbeiten, die Schumachers Sinn für Humor dokumentieren. Da werden getrocknete Hutzelbirnen zu einem Stillleben angeordnet, gegenüber ist „Haleb“ platziert, in dem Bitumen auf Papier brodelt. Bitumen ist Erdpech, es wurde bereits vor 12.000 Jahren in der Landwirtschaft eingesetzt, also wieder ein Urstoff. Kocht man nun Hutzelbirnen, bevorzugt mit Rübenkraut, entsteht ein schwarzes, zähes Mus, das aussieht wie Erdpech: Und wieder sind wir bei Emil Schumachers Thema: Dem verdichteten Leben.