Hagen. Eine Hagenerin sagte stets, dass sie auf den Enkeltrick niemals hereinfallen würde. Nun sind 30.000 Euro weg – und ein Stück ihrer Leichtigkeit.

Brigitte Bellstedt versteht es nicht. Wie die Täter zu so gemeinen Menschen werden konnten, die andere um ihr mühsam Erspartes bringen. „Wie finden diese Leute in den Schlaf?“, fragt sie. Aber sie versteht auch nicht, wie sie auf deren Betrugsmasche hereinfallen konnte.

Ihre Augen füllen sich mit Feuchtigkeit.

Nicht nur das Geld ist weg, sondern auch ein Teil des Selbstwertgefühls

Es ist nicht nur das Geld, das weg ist, sondern auch ein bisschen von ihrem Selbstwertgefühl, von der Leichtigkeit, mit der sie durchs Leben ging. „Ich werde mit dem Gedanken an die Tat wach – und gehe abends mit dem Gedanken daran ins Bett“, sagt die 74-Jährige aus Hagen. Und immer wieder die eine Frage: Wie konnte mir das nur passieren?

+++ Lesen Sie auch: Trickbetrug - Rentner überweist Tausende Euro +++

Zwischen 2019 und 2022 ist die Zahl der bekannt gewordenen Fälle mit der Masche „Enkeltrick“ in NRW um 50 Prozent gestiegen, wie Zahlen des Landeskriminalamtes belegen. Zahlen zum laufenden Jahr gibt es noch nicht. Aber Polizeibehörden in ganz NRW warnen auch derzeit wieder vor den dreisten Dieben.

Der fiese Trick funktioniert. Brigitte Bellstedt, die aus Scham ihren richtigen Namen nicht veröffentlicht wissen will, weiß das. Sie hat es in der Zeitung gelesen, sie hat es im Fernsehen gesehen. Dutzende Male. Sie steht mitten im Leben, sie kocht und backt, hat Kinder, Enkel, ein Haus und einen Garten. „Ich habe immer am lautesten geschrien, dass mir so etwas niemals passieren würde“, sagt sie. Jetzt sind 30.000 Euro weg. Und der Teil von ihr, der an das Gute in allen Menschen glaubte. „Ich habe noch nie jemandem was Schlechtes gewünscht, aber…“ Sie spricht den Satz nicht zu Ende.

+++ Lesen Sie auch: Immer mehr Schockanrufe im Kreis Olpe +++

Ein paar Wochen ist es erst her, als vormittags gegen 10 Uhr das Festnetztelefon bei ihr klingelt. Am anderen Ende der Leitung: eine Frau, aufgelöst, weinend, brüchige Stimme. „Mama, mir ist was Schreckliches passiert! Du musst mir helfen.“ Schluchzen in der Leitung. „Antje, um Himmels Willen, was ist los?“

Perfides Theater nimmt die Opfer emotional gefangen

So erinnert Brigitte Bellstedt den Beginn des Gesprächs. Sie weiß heute, dass das schon der erste Fehler war: den Namen der Tochter preiszugeben. „Aber ich war mir sicher, dass ich mit meinem Kind spreche.“ Die vermeintliche Tochter schluchzt, dass sie nicht mehr könne, dass sie den Hörer nun weitergebe: an die Polizei. Das perfide Theater beginnt – und hat sein Opfer längst emotional gefangen. „Ich habe die ganze Zeit an meine Tochter gedacht und gebetet: Lieber Gott, lass es nicht wahr sein.“ Das Paradoxe daran: Es ist ja wirklich nicht wahr.

„Betrüger nutzen gezielt Mechanismen der menschlichen Psyche aus, um ihre Opfer zu manipulieren“, erklärt das Landeskriminalamt die Wirkungsweise des Enkeltricks. „Insbesondere Angst und die Sorge um Angehörige sind mächtige Emotionen, die den nüchternen Blick auf die Realität verstellen.“

Verkehrsunfall verursacht: Mutter zweier Kinder angeblich tot

Die vermeintliche Polizistin am Telefon sagt, dass Frau Bellstedts Tochter einen Verkehrsunfall gehabt hätte, dass sie eine junge Mutter zweier Kinder tödlich verletzt habe. Im Hintergrund ist deren Weinen zu vernehmen. „Ich habe am ganzen Körper gezittert“, erinnert sich die Hagenerin. Sie möge nun bitte ihre Handynummer durchgeben, der Staatsanwalt wolle sich auf dem Mobiltelefon melden. Sie solle aber bitte in der Festnetzleitung bleiben. „Damit das Protokoll fortgeführt werden kann“, sagt die Betrügerin. Ja, fürs Protokoll, kann ja sein, denkt Brigitte Bellstedt. In Wahrheit sollen nur die Leitungen blockiert werden, damit die Täter keine unliebsamen Überraschungen erleben.

Brigitte Bellstedt ist so nervös, dass es ihr mit ihren zittrigen Fingern mehrfach misslingt, den Anruf des vermeintlichen Staatsanwalts anzunehmen. Das macht ihn wütend, Brigitte Bellstedt merkt es, als es dann doch endlich klappt. Er habe nicht viel Zeit, bis 12 Uhr müsse die Sache erledigt sein. 40.000 Euro Kaution soll Frau Bellstedt bezahlen, damit ihre Tochter wieder auf freien Fuß komme.

„So viel habe ich nicht.“

„Wie viel haben Sie denn?“

„30.000 Euro vielleicht.“

Schmuck?

„Nein.“

„Ok, dann 30.000.“

Über Jahre Geld zur Seite gelegt und im Haus deponiert

Der Staatsanwalt lässt sich herunterhandeln. „Spätestens da hätte ich ja auch wach werden müssen“, sagt Brigitte Bellstedt und fasst sich an die Stirn. Sie kann es immer noch nicht fassen. Immerzu denkt sie auch Wochen später daran. In den vergangenen Jahren hat sie immer wieder Geld zur Seite gelegt und im Haus deponiert.

+++ Lesen Sie auch: Gefährliche Trickbetrüger schlagen in Wittgenstein zu +++

Mittlerweile hat Brigitte Bellstedt die Polizistin in der Handyleitung. Auf dem Festnetz soll sie dranbleiben, wegen des Protokolls. Das Geld solle Frau Bellstedt in eine Tüte packen für die Übergabe. Sie solle zum Bahnhof kommen. „Wieso zum Bahnhof? Ich dachte, dass ich zum Gericht muss wegen des Staatsanwalts.“ Ist der Polizistin letztlich auch recht.

„Bei den Tätern handelt es sich um professionell und straff organisierte Tätergruppen, die meist aus dem Ausland agieren“, erklärt das Landeskriminalamt. Ihre Opfer werden zufällig ausgewählt – über das Telefonbuch zum Beispiel. „In einigen Fällen wird vorher hinsichtlich des Vornamens eine Eingrenzung vorgenommen.“ Vornamen der älteren Generation sind gefragt. Denn die Älteren sind zu Hause anzutreffen, leben bisweilen allein und können sich nicht unmittelbar mit jemandem beraten. Wie Brigitte Bellstedt.

Betrügerin berät beim Kauf eines Adapters zum Laden des Handys

Sie gibt durch, dass sie jetzt losfahre zum Gericht. Die vermeintliche Polizistin sagt, dass sie in der Leitung bleiben solle. „Aber der Akku ist bald alle“, sagt Brigitte Bellstedt. Die Frau am anderen Ende der Leitung empfiehlt ihr, zur Tankstelle zu fahren und einen Lade-Adapter fürs Auto zu kaufen. Sie berät sie, damit sie auch den richtigen kauft und das Gespräch nicht abreißt.

Brigitte Bellstedt parkt. Sie gibt durch, wo genau. Die vermeintliche Polizistin fragt, ob da irgendwo ein Geschäft ist. „Nein“, sagt sie. Heute weiß Brigitte Bellstedt, dass Geschäfte schlecht fürs krumme Geschäft sind, denn die verfügen oft über Kameras.

Einige Minuten sitzt Brigitte Bellstedt in ihrem Auto. Nichts passiert. Dann: Eine Frau mit Mütze und hoch abschließender Kleidung kommt auf sie zu, nähert sich der Fahrerseite, reißt Brigitte Bellstedt die Tasche durchs halb geöffnete Fenster mehr oder weniger aus der Hand – und verschwindet wieder. Später wird Brigitte Bellstedt von der richtigen Polizei gefragt, wie die Frau aussah, in welche Richtung sie ging. Sie erinnert sich an kaum etwas.

Anzeige erstattet - aber die Chancen stehen schlecht

„Fahren Sie nach Hause, legen Sie nicht auf“, sagt die falsche Polizistin am Telefon. Erst als Brigitte Bellstedt angibt, wieder zu Hause zu sein, endet das Gespräch abrupt. Sie begreift noch immer nicht, was passiert ist. Sie braucht erst noch, sie weint, ist verzweifelt, fährt zum Friedhof, um sich jemandem anzuvertrauen. Dann erst, Stunden später, ruft sie ihre Tochter an. Es geht ihr gut. Sie fahren zur Polizei, erstatten Anzeige. Aber die Chancen auf Aufklärung stehen schlecht.

„Ich schäme mich. Ich bin wütend auf mich“, sagt Brigitte Bellstedt. Die Frage, wie ihr das passieren konnte, lässt sie nicht los. „Ich ersticke fast daran.“ Im nächsten Moment ringt sie sich ein Lächeln ab. Sie sucht das Gute an der Geschichte. „Schlimmer wäre“, sagt sie, „schlimmer wäre, wenn meine Tochter den Unfall wirklich gehabt hätte.“

<<< ENKELTRICK VERHINDERN: TIPPS VON DER POLIZEI >>>

1. Folgen Sie nicht den Aufforderungen der Anrufer. Lassen Sie sich nicht in ein Gespräch verwickeln oder unter Druck setzen. Legen Sie einfach auf.

2. Geben Sie am Telefon keine Details zu persönlichen oder finanziellen Verhältnissen preis.

3. Rufen Sie Ihre tatsächlichen Angehörigen unter der Ihnen bekannten Nummer an.

4. Denken Sie daran: Die Polizei oder vergleichbare Amtspersonen werden Sie niemals telefonisch um die Aushändigung von Bargeldbeträgen oder Wertsachen bitten.

5. Übergeben Sie niemals Geld oder Wertgegenstände an Personen, die Sie nicht kennen.

6. Lassen Sie grundsätzlich keine Unbekannten in ihre Wohnung oder Ihr Haus.

7. Falls Sie einen solchen Anruf bereits erhalten haben, wenden Sie sich bitte umgehend an Ihre örtlich zuständige Polizeidienststelle, um den Vorfall zur Anzeige zu bringen.