Hagen. Der Naturgarten der Klinik in Hagen-Ambrock hilft Patienten, wieder Struktur in ihren Alltag zu bringen und Lebensfreude zurück zu gewinnen.

Es geht nicht um Gartenarbeit, es geht um viel mehr. Um die Möglichkeit der (Wieder-)Teilhabe am Alltag, um das Rückgewinnen wichtiger Strukturen, die das Leben ordnen, und um das Zurückerlangen von Routine: Im Naturgarten der Klinik Ambrock in Hagen, der zur geschützten Station der Neurologie gehört.

Auf besagter „halb-offenen“ Station werden zum Beispiel Menschen mit schwerem Schädelhirntrauma oder Wiederbelebungspatienten medizinisch versorgt. „Da es sich in diesem Bereich um teils ,herausfordernde Patienten’ handelt, wird die Station auch gemeinsam von einem Arzt und einem Psychologen geleitet. Das ist schon etwas Besonderes“, erläutert Dr. med. Christoph Schäfer.

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Der gebürtige Gevelsberger ist seit Oktober 2021 Chefarzt der Neurologie und weiß, wie wichtig es ist, den Patienten Orientierung zurückzugeben. Und genau darum kümmert sich zum Beispiel Silvia Schwarz.

Die Heilpädagogin ist seit 29 Jahren in der Abteilung Ergotherapie beschäftigt und liebt nicht nur den Naturgarten der Klinik, sondern geht auch in der Arbeit mit ihren Patientinnen und Patienten voll auf. „Man sieht, wie unsere Patienten in der Natur und mit der Natur Fortschritte, wenn auch manchmal nur kleine, machen“, sagt Silvia Schwarz.

Nützliche Tipps von Patienten

Die Heilpädagogin lächelt: „Und zum Glück gibt es auch immer mal wieder einen Patienten, der sich mit Gärtnern richtig gut auskennt und uns nützliche Tipps gibt.“

Im Naturgarten erlernen Patienten Fähigkeiten, die sie früher beherrschten, neu. Patient Bernd war immer leidenschaftlicher Gärtner und hilft nun gern beim Beschneiden und der Pflege der Obstbäume.
Im Naturgarten erlernen Patienten Fähigkeiten, die sie früher beherrschten, neu. Patient Bernd war immer leidenschaftlicher Gärtner und hilft nun gern beim Beschneiden und der Pflege der Obstbäume. © WP | Michael Kleinrensing

Wie Bernd. Der 79-Jährige war früher Gärtner von Beruf; der Rentner ist aufgrund eines rechtshirnigen Schlaganfalls, der Wahrnehmungsstörungen auf der linken Seite sowie leicht depressive Züge mit sich gebracht hat, in der Klinik Ambrock.

Orientierung verloren

„Bernd hat uns die Obstbäume fachmännisch geschnitten“, lobt Silvia Schwarz, betont allerdings im gleichen Atemzug, dass es natürlich weit wichtigere Dinge hier gäbe: „Nach einem medizinischen Vorfall wissen manche Patienten nicht, wo sie sind, haben die Orientierung verloren. Wir bringen sie wieder mit ihnen früher ganz vertrauten Dingen wie zum Beispiel leichter Gartenarbeit in Kontakt.“

Um Struktur und Orientierung zurückzugewinnen, werden in dem Obst-, Gemüse- und Kräutergarten auch Schlüsselreize angesprochen.

Sinneswahrnehmung wird aktiviert

„Unsere Patienten riechen und schmecken, sehen und ertasten hier zum Beispiel Kräuter. Die Sinneswahrnehmung wird aktiviert und einige Patienten erinnern sich an früher und auch an frühere Tätigkeiten, die sie selbst ausgeführt haben, zurück“, veranschaulicht die Heilpädagogin.

„Wir simulieren den Alltag“, sagt Chefarzt Christoph Schäfer, „die Patienten werden mit der Tagesstruktur ,morgens, mittags, abends’ , aber auch mit Regen, Wind und Sonne wieder vertraut gemacht“.

Was der Experte unterstreicht? „Wir sind hier nicht in der Schule, alles ist freiwillig. Für jene, die mit der Natur nichts anzufangen wissen­, haben wir andere pädagogische Angebote, zum Beispiel aus dem Kunst- oder Musikbereich.“

Silvia Schwarz’ Blick schweift durch „ihren“ Garten: „Südlage, alles­ gedeiht hier bestens“, schwärmt die Hobbygärtnerin, die zuhause selbst einen großen Garten zu beackern hat und die Natur liebt.

500 Quadratmeter große Anlage

Etwa 500 Quadratmeter groß ist die Anlage, die Platz für Obstbäume, Sträucher, Hochbeete und ein Gewächshaus bietet. „Das Schöne ist, dass wir mit dem Patienten gemeinsam ernten, und aus den gewonnenen Früchten werden in unserem eigenen Küchenbereich zum Beispiel Marmelade und Kuchen­ hergestellt. Und auch geerntete Zucchini, Tomaten, Gurken und Kürbisse werden in unseren therapeutischen Haushaltsgruppen verwendet.“

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Das Ganze habe einen psychotherapeutischen Effekt, das Selbstwertgefühl und oftmals auch die Lebensfreude­ der Patienten werde gesteigert, erläutert Silvia Schwarz. „Und wir trainieren hier das Funktionieren für zuhause, wir sprechen von Haushaltstraining“, ergänzt Dr. Christoph Schäfer.

Immer mehr Menschen würden heutzutage alleine leben, und da sei das A und O, den Patienten ihre (wenn auch vielleicht nur in Teilen) Selbstständigkeit zurückzugeben.

Insektenhotels und Hochbeete

„Die Petersilie hat überlebt, das ist schön“, sagt Heilpädagogin Silvia­ Schwarz zufrieden und berichtet über Gartenprojekte, in die die Patienten involviert werden. „Wir bauen zum Beispiel Insektenhotels, haben Hochbeete errichtet, schließlich können sich einige Patienten kaum mehr bücken, und wir haben einen Erlebnispfad angelegt.“

Der aus verschiedenen Oberflächen gestaltete Pfad – u.a. Rindenmulch, Moos und Tannenzapfen – sei eine Art Gangschule, „wir sprechen von Weg-Erlebnissen, die unsere Patienten barfuß oder mit Schuhen machen.“ Worauf Silvia Schwarz ein wenig stolz ist? „Wir gärtnern hier das ganze Jahr über. Auch das ist gelebter Alltag. Und das spüren die Patienten.“

Die Fachklinik für neurologische und neurologische Rehabilitation hat Platz für 250 Patientinnen und Patienten in der stationären Rehabilitation. Ergänzt wird das Angebot durch 30 Therapieplätze in der Tagesklinik.