Winterberg. Was man aus den Alpen oder dem Fernsehen kennt, gibt es auch in Südwestfalen: Bergretter, die sich mitunter sogar aus Helikoptern abseilen.

An den ersten Einsatz kann er sich erinnern als wäre er gestern gewesen. Es war schließlich der erste in ganz NRW. „Man funktioniert dann einfach und hat keine Zeit für Nervosität“, sagt Marc Ramspott. Erst wenn das Adrenalin aus den Blutbahnen gewichen ist, „wenn man den Körper wieder runterfährt, wird einem bewusst, was da gerade passiert ist“. Wie er da in 60 Metern Höhe auf den Kufen eines Helikopters gestanden hat, sich zusammen mit dem Notarzt abgeseilt hat, um einer verletzten Person zu helfen.

Verletzter Waldarbeiter: ein Fall für die Bergretter

Im konkreten Beispiel: einem Waldarbeiter, der bei Fällarbeiten in Meschede von einem Baum getroffen worden war. Schwere Verletzung am Bein. Hochsauerlandkreis, unwegsames Gelände, Steilhang. Ein Fall für die Bergrettung. Ein Fall für Marc Ramspott und sein Team.

Der 43-Jährige ist Technischer Leiter der Bergwacht in Winterberg, eine ehrenamtliche Einrichtung des Deutschen Roten Kreuzes, die man eher mit den Alpen in Verbindung bringen würde. Aber es gibt sie eben auch im Mittelgebirge. Wenn im Winter die Skipisten geöffnet sind, dann ist die Bergwacht vor Ort besetzt. 450 Einsätze waren es im vergangenen Winter. Aber die Bergretter werden auch im Sommer gebraucht – und zwar mehr denn je.

Rettungshubschrauber ist in Dortmund stationiert

Grund dafür: Seit Mai 2022 ist der Rettungshubschrauber der DRF Flugrettung, der in Dortmund am Flughafen stationiert ist und von den Leitstellen in Südwestfalen (Sauer- und Siegerland, Wittgensteiner Land) angefordert werden kann, mit einer 90 Meter langen Seilwinde ausgestattet – von denen gibt es deutschlandweit nur knapp 20 Stück: zum Beispiel in Freiburg, Straubing, Traunstein, Bautzen. Und jetzt auch in Dortmund: wegen des nahen Mittelgebirges im Sauerland. Ein weiterer Grund: die Flutkatastrophe 2021 und die Befürchtung, dass Einsätze wie im Ahrtal häufiger zu befürchten sind und dafür auch ein gutes Luftrettungsnetz von Bedeutung sein könnte.

Millimeterarbeit: Beim Training in Winterberg üben der Winden-Operator sowie der Notarzt und der Bergretter, die zu Boden gelassen werden, ihren Einsatz.  
Millimeterarbeit: Beim Training in Winterberg üben der Winden-Operator sowie der Notarzt und der Bergretter, die zu Boden gelassen werden, ihren Einsatz.   © Rita Maurer | Rita Maurer

10 bis 15 Einsätze, schätzt Ramspott, seien es in den Sommermonaten für die Bergretter. Nichts im Vergleich zum Winter, aber deswegen nicht weniger wichtig. Immer wieder hängen Paraglider in den Fichten des Sauerlands und müssen gerettet werden.

Insgesamt dreimal hat Ramspott sich schon zu Verletzten abgeseilt. Einmal war ein Mountainbiker in Winterberg verunfallt und musste in die Klinik gebracht werden. Bei einem anderen Einsatz war ein Paraglider in Höxter bei der Landung verunfallt. Es bestand der Verdacht auf eine Rückenverletzung. Der Heli mit Ramspott an Bord flog heran.

Von zehn Luftrettern in NRW kommen fünf aus dem Sauerland

Aus Dortmund startend, braucht der Rettungshubschrauber 18 bis 20 Minuten nach Winterberg. Unterwegs hat er den verfügbaren Luftretter an einem der vorgeschriebenen Pick-up-Punkte eingesammelt. „Ich habe einen quasi direkt vor der Tür: Dann landet der Heli auf einer Wiese des Bauern nebenan, keine 75 Meter entfernt“, sagt Ramspott, der in Bestwig mit seiner Frau und zwei Kindern (4 und 7 Jahre alt) wohnt und in Meschede als Notfallsanitäter arbeitet. Im Sauerland gibt es neben Ramspott vier weitere Luftretter, die im Fachjargon „Rettungsspezialist Helikopter“ heißen.

Insgesamt sind es zehn in ganz NRW, sie alle sind speziell für den Einsatz an der Seilwinde ausgebildet worden, weil jeder Handgriff sitzen muss, weil jeder im Team seine Aufgabe hat: Der Pilot hält den Hubschrauber ruhig, der Winden-Operator navigiert ihn an die richtige Stelle und seilt im Optimalfall den Notarzt und den Luftretter mitsamt eines Rettungssacks ab. Millimeterarbeit, die ständig trainiert werden muss.

Schnelle Bergung: Seilwinde kann Leben retten

Die Rettung per Seilwinde ist die Champions League der Luftrettung, daher ist sie ausbildungs- und trainingsintensiv. 38 Stunden Pflichtfortbildung sind im Jahr angesetzt, hinzu kommen drei Trainings in Winterberg oder Bad Tölz. Der Aufwand ist ein Grund, warum es die Seilwinde nicht überall gibt. In Südwestfalen aber kann sie Leben retten.

Technischen Leiter der Bergwacht Winterberg und Luftretter: Marc Ramspott.
Technischen Leiter der Bergwacht Winterberg und Luftretter: Marc Ramspott. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

„Es geht darum, dem Patienten auch in unwegsamem Gelände so schnell wie möglich Hilfe zu leisten. Das ist mit der Luftrettung gewährleistet“, sagt Ramspott. Golden Hour wird die erste Stunde nach einem schweren Unfall genannt, weil sich in ihr viel entscheidet. Ist der Patient rechtzeitig in der Klinik, steigt die Wahrscheinlichkeit auf Gesundung.

Luftretter sorgt für Sicherheit im steilen Gelände

Drei mal drei Meter muss das Nadelöhr durch die Baumwipfel groß sein, manchmal reichen auch zwei mal zwei Meter. Und alle Beteiligten wissen: Kommt es in diesem Moment zum unwahrscheinlichen, aber möglichen Triebwerksausfall beim Heli, muss der durchstarten. Vorher aber wird das Seil gesprengt, damit sich die Winde nicht verfängt und der Hubschrauber abstürzt. Die, die an der Winde hängen, rauschen dann in die Tiefe. Berufsrisiko, wenn man so will.

Die medizinische Versorgung am Boden übernimmt der Notarzt. Der Luftretter ist vor allem für dessen Sicherheit und die des Patienten zuständig: Es besteht im unwegsamen Gelände Absturz- oder Steinschlaggefahr. Mit Seilen und Karabinern können Ramspott und die Kollegen während des Einsatzes Halt und Sicherheit geben. Ein Karabiner hält die Drahtseile des Rettungssacks zusammen, wenn es wieder nach oben geht. Oft ohne den Bergretter, weil dessen Arbeit getan ist. „Dann muss ich mir ein Taxi rufen“, scherzt Ramspott. Tatsächlich sorgt das DRK in diesen Fällen für seine Rückkehr.

Warum tun sich Marc Ramspott und die anderen das ehrenamtlich an? Er zuckt mit den Schultern. Er ist es von Berufs wegen gewohnt, anderen Menschen zu helfen. „Und wann kommt man schonmal in einen Helikopter? Das ist was Besonderes“, sagt er und lächelt.

<<< Hintergrund: Bergwacht >>>

Die DRK-Bergwacht Westfalen-Lippe zählt aktuell 35 aktive Bergretter (28 Männer, 7 Frauen). Neben der bestehenden Bergwacht Winterberg (DRK-Kreisverband Brilon) befinden sich zurzeit die Bergwacht Attendorn (DRK-Kreisverband Olpe) und die Bergwacht Kaan Marienborn (DRK-Kreisverband Siegen-Wittgenstein) im Aufbau.