Iserlohn/Meschede/Hagen. Im Herbst noch mit großer Mehrheit gewählt, jetzt wieder abgewählt: Warum die Fachhochschule Südwestfalen Dr. Ulrike Senger nicht haben will.

Die monatelange Hängepartie an der Fachhochschule Südwestfalen mit Standorten in Hagen, Iserlohn, Meschede, Soest und Lüdenscheid hat ein vorläufiges Ende: Die gewählte neue Rektorin, Dr. Ulrike Senger, die in ihrem Amt noch gar nicht offiziell ernannt worden war, ist wieder abgewählt worden. Etwa 88 Prozent der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer stimmten für die Abwahl der erst im vergangenen Oktober von der Hochschulversammlung mit großer Mehrheit gewählten Wissenschaftlerin.

Das wurde am Donnerstag bekannt: Eine Zwei-Drittel-Mehrheit wäre für den Schritt nötig gewesen, letztlich stimmten 157 von 178 wahlberechtigten Hochschullehrern dafür. Die Mehrheit sei zudem in acht von neun Fachbereichen erzielt worden, so Fachhochschul-Sprecher Christian Klett auf Anfrage. Erforderlich gewesen wäre eine Mehrheit in der Hälfte der Fachbereiche.

Der Grund für die Abwahl? Es gibt unterschiedliche Sichtweisen

Das Abwahlverfahren erfolgte in der Zeit, in der sich Hochschulen bundesweit von ihrer besten Seite zeigen sollten, um möglichst viele neue Studierende in ihre Hörsäle zu locken. Gerade haben viele junge Menschen ihr Abitur in der Tasche und suchen nach dem bestmöglichen Weg ins weitere Leben. Es könnte ein Studienplatz an der Fachhochschule (FH) Südwestfalen mit ihren mittlerweile fünf Standorten Iserlohn, Hagen, Meschede, Soest und Lüdenscheid sein. Die FH macht allerdings seit Monaten vor allem durch einen eskalierenden Streit um die Besetzung des Rektorenpostens auf sich aufmerksam. Der Grund dafür? Soviel kann man sagen: Es gibt sehr unterschiedliche Sichtweisen.

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Zur Vorgeschichte: Die Wissenschaftsmanagerin Dr. Ulrike Senger, die bis zum Frühjahr für die Bundeswehr zum Thema Innere Führung tätig war, blieb im vergangenen Jahr nach einem aufwendigen Verfahren mit Assessment Center als einzige Kandidatin für das Rektorenamt übrig. Ihrem Vorgänger, Professor Dr.-Ing. Claus Schuster, war zuvor bereits deutlich gemacht worden, dass man einen neuen Kopf an der Spitze sehen wolle. Das Assessment Center durchlief der 61-Jährige, der eine weitere Amtszeit angestrebt hatte, schon gar nicht mehr. Im Oktober 2022 wurde Senger auf Vorschlag der zuständigen Findungskommission von der Hochschulwahlversammlung, die sich aus Studierenden, Mitarbeitern und Professorenschaft der Hochschule zusammensetzt, mit großer Mehrheit gewählt.

„Passt nicht zu Leitung des Wissenschaftsbetriebes“

Die Neue besuchte die einzelnen Standorte, machte sich ein Bild und sah, dass die FH Südwestfalen „hervorragendes Zukunftspotenziale hat, wenn es gelingt, die verschiedenen Standorte zu einer ,Hochschule als Ganzes‘ zusammenzuführen. Standort- und Sonderinteressen müssen zurücktreten.“ So sagt es Ulrike Senger auf Anfrage der Westfalenpost heute. Und so hat sie es auf ihren Standortreisen bereits vor Monaten wohl auch gesagt – möglicherweise unmissverständlich. Sie wollte, so lässt sie erkennen, alte Zöpfe abschneiden, einen Neuanfang, Aufbruch, Veränderung. Stattdessen zogen Monate ins Land, ohne dass Senger von der NRW-Ministerin für Kultur und Wissenschaft (MKW), Ina Brandes (CDU), rechtskräftig ernannt wurde.

Das Gebäude der Fachhochschule Südwestfalen in Iserlon.
Das Gebäude der Fachhochschule Südwestfalen in Iserlon. © IKZ | Michael May

Zeit, in der sich an der Fachhochschule in der Professorenschaft Widerstand gegen die Neue von außen formierte. „In Vorbereitung der Amtsübergabe an die designierte Rektorin Dr. Ulrike Senger hat die Professorenschaft der Fachhochschule Südwestfalen mehrheitlich festgestellt, dass die Person der designierten Rektorin nicht zur Leitung des Wissenschaftsbetriebes der Hochschule passt“, heißt es dazu etwas förmlich von der Fachhochschule. 144 von 178 Professorinnen und Professoren hätten aus diesem Grund das Abwahlbegehren im April beantragt - ein Verfahren, das auf der grundgesetzlich basierten Wissenschaftsfreiheit basiert.

NRW-Ministerium zeigt sich wortkarg

Ein Abwahlbegehren gegen die Rektorin, die noch gar nicht im Amt war und die nach eigenen Aussagen bis dato mit etlichen der 144 Unterzeichnenden noch gar nicht im Austausch gestanden habe. Das NRW-Wissenschaftsministerium, das die Ernennung Sengers formal hätte vollziehen müssen, teilt knapp mit, es begleite das Verfahren im Rahmen seiner Rechtsaufsicht. Abwahl von Rektoren seien in den vergangenen Jahren auch an anderen Hochschulen in NRW vorgekommen und fielen in die Hochschulautonomie, heißt es weiter. Neuwahlen gestalten sich bekanntlich auch an weiteren Hochschulstandorten in NRW mitunter schwierig, wie beispielsweise an der Universität Siegen gerade zu beobachten ist. Nichts Besonderes also in Iserlohn?

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Das sieht Ulrike Senger anders und kritisiert das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW (MKW). Nicht nur wegen des Zustandekommens des Abwahlverfahrens. Sie habe das Ministerium auch auf andere Missstände aufmerksam gemacht, etwa auf eine Finanzkrise der FH, auf die sie, Senger, von FH-Angehörigen bei ihren Besuchen hingewiesen worden sei.

Gegenüber unserer Redaktion berichtet Senger zudem von weiteren aus ihrer Sicht sehr kritischen Sachverhalten. Etwa, dass es hochschulrechtlich bedenkliche Studienmodelle mit privaten Bildungsanbietern gebe. Sie habe klar gemacht, dass sie sich als Rektorin „in meiner Amtszeit von jeglichen finanzbezogenen Missständen abgrenzen und Transparenz und Aufklärung einfordern würde“. Offenbar habe sich an der FH Südwestfalen über Jahre hinweg ein geschlossenes System entwickelt und zementiert. Von persönlichem Druck, Gerüchten und Ausgrenzung sei ihr berichtet worden, „um persönliche Interessen und Klientelinteressen durchzusetzen“.

Amtierender Rektor weist die Vorwürfe zurück

Prof.-Ing. Claus Schuster, der amtierende Rektor äußert sich am Donnerstag erst nach Bekanntgabe des Abwahlergebnisses, will sichtlich die „Kleiderordnung einhalten“. Auf die einzelnen Vorwürfe Sengers will er nicht eingehen, weist sie eher global zurück. Klar positioniert er sich allerdings zu angeblichen Finanznot der FH Südwestfalen: „Das kann ich ganz klar dementieren“, so Schuster. Die finanzielle Situation der FH Südwestfalen sei eine der besten in ganz NRW, das sei ihr jüngst noch bescheinigt worden. „Ich glaube, es gibt hier eine Missinterpretation: Wir haben die Jahre des so genannten Hochschulpakts hinter uns, in denen die Fachhochschulen finanziell sehr gut ausgestattet worden sind. Doch dieser ist ausgelaufen. Der neue Zukunftspakt Studium und Lehre ist weit weniger gut ausgestattet. Daher: Ja, die Fachhochschulen müssen mit weniger Geld auskommen als in den vergangenen 15 Jahren, daher planen wir nun aber auch sehr genau, wie wir mit der Situation umgehen.“

Weiter im Amt an der Spitze der Fachhochschule Südwestfalen: Prof. Dr.Claus Schuster
Weiter im Amt an der Spitze der Fachhochschule Südwestfalen: Prof. Dr.Claus Schuster © IKZ | Michael May

Aber wie kam es denn aus seiner Sicht zu dem Zerwürfnis zwischen Senger und der Mehrheit der Hochschullehrer? „Es gibt da keine Emotionen“, sagt Schuster. „Und aus meiner Sicht auch nicht den einen Kipppunkt, an dem klar war, das sich die Stimmung innerhalb der Fachhochschule gedreht hat. Es war vielmehr ein Prozess.“

Und trotzdem steht weiter im Raum, dass hier eine etablierte Gruppe von Hochschullehrern und das seit Jahre amtierende Rektorat keine Frau von außen haben wollte, die sich auf die Fahne geschrieben hatte, vieles anders zu machen. Claus Schuster winkt ab: „Die Abwahl einer externe Kandidatin bedeutet nicht, dass die Hochschullehrerinnen und -lehrer, dass wir alle hier an alten Zöpfen festhalten wollen. Und das alte Rektorat unter meiner Leitung klebt auch nicht an seinem Stuhl. Ganz im Gegenteil läuft derzeit ein sehr konzentrierter und konstruktiver Strategieprozess, wie wir uns auf die Zukunft und die Bedingungen des Zukunftspakts Studium und Lehre einstellen.“

Schuster will auch keine Lethargie an der FH erkennen, ganz im Gegenteil: „Für diesen Prozess erlebe ich im Moment eine Stimmung, einen Zusammenhalt und breite Unterstützung, wie ich sie in meiner fast 15 Jahre währenden Amtszeit an der Spitze der Fachhochschule noch nicht erlebt habe.“

Abgewählte Rektorin vermutet Netzwerk

Eine ganz andere Sichtweise bei Dr. Ulrike Senger. Dass das Wissenschaftsministerium im Fall FH Südwestfalen auf die Hochschulfreiheit bei der Auswahl eines Rektors oder einer Rektorin verweist, ist ihr viel zu wenig. Sie vermutet ein Netzwerk, das bis in das Düsseldorfer Ministerium reichen könnte. „Hochschulautonomie heißt nicht Rechtsfreiheit. Das MKW NRW muss deshalb seine Rechtsaufsicht ausüben. Wenn Rechtsaufsicht in einem zweifelhaft zustande gekommenen Abwahlverfahren bedeuten soll, dass das MKW den Amtsinhaber und unterlegenen Bewerber als Wächter des Verfahrens einsetzt, ist das doch höchst fragwürdig“, sieht Senger Versäumnisse in Düsseldorf, die zu einer Rufschädigung für sie führen könnten.

Dr. Ulrike Senger wäre die erste Frau an der Spitze in der 21-jährigen Geschichte der 2002 gegründeten Hochschule mit ingenieurwissenschaftlichem Schwerpunkt - gewesen. Ob sie es noch wird, sprich: ob sie rechtlich gegen das Abwahlverfahren vorgehen will, lässt sie nach dem Abwahlergebnis selbst offen. Das mache sie von den nächste Schritten abhängig. „Ein Neuanfang ist nur mit absoluter Ehrlichkeit und lückenloser Aufklärung möglich, auch wenn diese erst einmal weh tut. Es ist mir ein Anliegen, dass zunächst vollumfänglich aufgeklärt wird und dass die Aufsichtsbehörden ihrer Verantwortung nachkommen.“

Dass sie sich weiter für eine gute Kandidatin hält, macht Ulrike Senger deutlich: „Das Assessment Center kam zu dem Ergebnis, dass ich die ,Anti-These‘ zum langjährigen Amtsinhaber bin.“

Der bleibt nun bis auf Weiteres im Amt. Aber nur für eine begrenzte Zeit, das macht Claus Schuster im Gespräch mit der Redaktion deutlich. „Ich selbst werde mich auf gar keinen Fall noch einmal einem Auswahlverfahren als Rektor stellen - auch wenn ich derzeit öfter aufgefordert werde, noch einmal weiterzumachen. Das würde auch meinem Selbstverständnis widersprechen, nachdem schon einmal gesagt wurde: Wir wollen jemand Neues an der Spitze haben. Zudem würde immer der Eindruck im Raum stehen, dass ich aus persönlichen Gründen eine externe Bewerberin verhindert hätte.“

Der Zeithorizont: Wenn sich im Herbst eine neue Findungskommission gebildet hat, dann wird es einen neuen Auswahlprozess geben.