Schalksmühle. Evelyn Schröder (87) leidet darunter, dass ihr Mann weit weg in einem Pflegeheim wohnt. Nun zieht sie nach nebenan, in ein Dorf mit Tiny-Houses.
Die Distanz ist schlimm. „Das Getrenntsein macht uns unglücklich“, sagt Evelyn Schröder (87). Zwei Mal in der Woche besucht sie ihren Mann, 40 Minuten mit dem Auto, 70 Euro kostet das Taxi, wenn sie mal darauf angewiesen ist. „Und dann, wenn der Zeitpunkt des Abschieds gekommen ist, mag ich gar nicht mehr gehen.“ Aber sie muss, zurück in das Haus in Altena, in dem die beiden bis Mai zusammen gewohnt haben.
Evelyn Schröder will ihrem Mann im Pflegeheim so nah wie möglich sein
Sie schaffte es nicht, ihren Mann dort so zu umsorgen, wie es aufgrund seines Gesundheitszustands nötig ist. Er hat nun einen Platz im Seniorenpark Reeswinkel in Schalksmühle. Aber weil dort vor der Tür an einem innovativen Projekt gebaut wird, ist sie ihm bald wieder nah. „Wir wollen uns zu unserem letzten Stündchen so nah wie möglich sein. Das ist der Riesenvorteil, den das Projekt bietet“, sagt sie.
Tiny-House-Siedlung für Senioren im Sauerland
In Wurfweite des Seniorenparks wird in diesen Tagen ein kleines Dorf aus Tiny-Houses fertiggestellt: Acht Häuschen, die mit ihrer roten Holzfassade jeden einsamen Fjord in Schweden schmücken würden, jedes knapp 50 Quadratmeter groß, barrierefrei, seniorengerecht, auf Stelzen stehend und damit am Hag schwebend. Häuser für ältere oder hilfsbedürftige Menschen, die dort selbstbestimmt leben können, aber Anbindung an den Seniorenpark und seine Dienstleistungen haben. Häuser für Menschen wie Evelyn Schröder.
Selbstbestimmtes Wohnen mit Anbindung an den Seniorenpark
Sie ist die erste, die als Bewohnerin feststeht. Anfang August zieht sie ein – und kann es kaum erwarten. „Dann hole ich meinen Mann jeden Tag zu mir und kann ihn bei mir haben, ohne ihn pflegen zu müssen“, sagt sie. „Das ist die Lösung, die wir brauchten. Mit mir an seiner Seite wird er wieder aufleben.“
Ersonnen hat das Tiny-Dorf Andreas Mischnick (68), der zusammen mit seinen Söhnen Steffen (35) und Bastian (39) ein breites Portfolio zur Gesundheitsversorgung in Schalksmühle anbietet: neben den 76 Plätzen im Seniorenpark gibt es die ambulante Pflege, die eigene Küche, die eigene Waschküche, ein Sanitätshaus, eine eigene Ergotherapiepraxis. Dienstleistungen, auf die die Bewohner der Tiny Houses zurückgreifen können und sollen.
Tiny-House-Siedlung kostet 1,6 Millionen Euro
„Mit der Miete bedienen wir die Kredite. Mit den Angeboten darüber hinaus stärken wir unsere Dienstleister“, sagt Andreas Mischnick. Die Miete wird voraussichtlich 760 Euro betragen – plus Nebenkosten, die aber gering sein werden, weil es sich bei den Häusern um moderne kfw-40-Plus-Häuser handelt – also solche, die sehr gut gedämmt und energiesparend sind. 1,6 Millionen Euro hat das Projekt gekostet, 300.000 Euro Förderung gab es von der kfw-Bank.
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Klassische Fertighausbauweise verbot sich, weil zum Schutze der Natur kein schweres Gerät wie Lkw oder Kräne in das Gelände durften. Die Tischlermeisterfirma Kukatsch aus Breckerfeld ließ sich eine neuartige Modulbauweise einfallen: Die Holz-Häuser sind zusammengesetzt wie eines aus Legosteinen.
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Je selbstbestimmter ältere Menschen wohnen, desto weniger krank sind sie
„Ich hatte immer die Idee, dass es da etwas geben müsste zwischen der Pflege und dem betreuten Wohnen. Soweit uns bekannt ist, hat dieses Angebot in Deutschland Alleinstellungsmerkmal“, sagt Andreas Mischnick. Das Projekt sei ein Schritt in die richtige Richtung, kein betreutes Wohnen, sondern ein privates Mietmodell.
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Als Ferienhäuser dürften die Tiny Houses aber nicht vermietet werden, „die Bewohner müssen einen Bezug zur Pflege“ haben, wie Mischnick sagt. Das Modell sei ein Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems: „Erwiesen ist: Je selbstbestimmter ältere Menschen leben, je weniger externe Hilfe sie brauchen, desto weniger Medikamente und Arztbesuche benötigen sie.“
Nachfrage nach den kleinen Häuschen ist explodiert
n dieser oder der nächsten Woche wollen die Mischnicks mit der Akquise von Mietern beginnen. „Die Nachfrage ist zuletzt explodiert“, sagt Steffen Mischnick. Es habe Mut gebraucht, dieses Projekt anzugehen, weil die Kosten schwer zu kalkulieren gewesen seien. Nun aber würden sie mit den positiven Reaktionen belohnt. Anfragen kämen sogar aus Baden-Württemberg. Sie könnten weitere Dörfer bauen, sagen sie.
Die Dächer der Häuser sind begrünt, zu 80 Prozent sei man wegen einer Photovoltaikanlage auf dem Gelände und dem Speicher dafür unabhängig, die Haustür öffnet sich per Fingerabdruck, vom zentralen Wohnraum mit Küchenzeile geht es ins Bad mit ebenerdiger Dusche und ins Schlafzimmer. Über ein seniorengerechtes Touch-Display kann der Bewohner den Speiseplan einsehen und im Bedarfsfall bestellen. Es gibt ein Lautsprechersystem, über das die Einrichtung sich aufschalten kann, wenn der Mieter dazu vorab sein Einverständnis gegeben hat.
Konzeptionell sei das noch nicht ausgearbeitet, aber wenn im Seniorenpark Gottesdienste, Gesprächsrunden oder Grillfeste seien, dann sei es gut vorstellbar, dass die Tiny-Dorf-Bewohner dazustoßen können.
„Nicht nur mein Mann, auch ich bin in Sicherheit“
Evelyn Schröder freut sich auf den 1. August. Harte Jahre seien das mit ihrem Mann zuletzt gewesen. Nicht mehr im alten Haus wohnen zu können, kostete sie einige Tränen. Aber ein neuer Anfang steht an. „Zur Wahrheit gehört ja auch, dass nicht nur mein Mann in guten Händen ist, sondern auch ich in Sicherheit bin, wenn ich mal in Nöten bin“, sagt sie.
47 Jahre lang hätten sie und ihr Mann gearbeitet und immer eifrig gespart. Den Komfort will sie sich nun gönnen. Vielleicht bald nicht mehr kochen, waschen und putzen zu müssen, sei eine Vorstellung wie „ein Himmel auf Erden“, sagt sie. Was davon sie in Anspruch nimmt und ab wann, weiß sie noch nicht. „Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen in Deutschland fast wie unter einer depressiven Glocke hängen“, sagt Andreas Mischnick, „das hier ist ein Mutmacher-Projekt“. Für Evelyn Schröder auf jeden Fall.