Bad Berleburg. Fiesen Gegenwind? Gibt’s für Robert Habeck in Berlin, nicht in Südwestfalen. Dort relativiert er bei einer Windpark-Eröffnung den Vogelschutz.

Er hat zuletzt viel Gegenwind aushalten müssen, gar von „fiesem“ Gegenwind hat seine Parteifreundin und Außenministerin Annalena Baerbock gesprochen. Insofern ist der Empfang hier, auf den Wittgensteiner Höhen, mal eine nette Abwechslung für den zweiten Mann in der Hierarchie der Bundesregierung.

Annabelle und Salentin, Kinder von Karl Prinz zu Sayn-Wittgenstein, stürmten bei der Ankunft von Robert Habeck im Windpark ihrer Unternehmer-Familie in den Weiten Wittgensteins auf den Vize-Kanzler und Bundeswirtschaftsminister zu. Diese Begrüßung sah das Protokoll wohl so nicht vor, aber unverfänglicher konnte der Start seiner Südwestfalenreise für Habeck nicht laufen – auch wenn ihm der Wind wieder ins Gesicht blies, hier, auf knapp 600 Metern Höhe. Es war aber nur eine leichte Brise.

Vier Windkraftwerke in Betrieb genommen

Dienstagnachmittag, Einweihung des Windparks „Prenzenberger Kopf“ bei Bad Berleburg-Arfeld (Kreis Siegen-Wittgenstein). Hier sind vier Windkraftwerke mit je 3,6 Megawatt Leistung in Betrieb gegangen – auf Kalamitätsflächen, und von denen gibt es durch Trockenheit, Sturm und Borkenkäfer einige in der Region.

Es dürfte ein willkommener Termin, eine willkommene Abwechslung für den Bundeswirtschaftsminister sein, der seit Wochen unter Dauerbeschuss steht und in mancher Umfrage aktuell ähnlich beliebt ist wie die Chefs von AfD und Linkspartei, also: ziemlich unbeliebt. Das Image des Vize-Kanzlers hat spektakulär Schaden genommen. Von einem „Absturz“ ist vielfach geschrieben worden, und zwar „in die Wirklichkeit“ (Welt).

Gelandet ist Habeck also an diesem Dienstag in Südwestfalen, erst im Windpark, später am Tage in Attendorn bei Autozulieferer Kirchhoff Automotive, wo Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur auch ein nicht öffentliches Gespräch mit heimischen Wirtschaftsvertretern um den gastgebenden NRW-Arbeitgeberpräsidenten Arndt G. Kirchhoff führten.

Die Führung durch die Produktionshallen, vorbei an Pressen für Radkästen, an der Schweißerei oder der Schlosserei, nutzten die beiden Minister für einen Plausch in der Lehrwerkstatt mit zwei Azubis. Habeck fragte Lehrling Jannik Schneider, wie es um die Übernahmechancen bei Kirchhoff bestellt sei. Das Gespräch mit dem prominenten Besucher fand Azubi Schneider „ganz in Ordnung“. Habeck umgekehrt nannte den Rundgang durch die Firmenhallen des Automobilzulieferers „beeindruckend“ und scherzte in Richtung von Arndt Kirchhoff: „Wir haben uns in Berlin mehrfach getroffen. Es war höchste Zeit, dass ich mir mal angucke, wo Sie wohnen.“

Keine Grünen-Hochburg, aber trotzdem ein freundlicher Empfang

Der Empfang für Habeck in der Region, die alles andere als eine Hochburg der Grünen ist, fiel überwiegend freundlich aus, abgesehen von einer kleinen Gruppe lokaler Windkraft-Kritiker aus Bad Berleburg und Umgebung, die sich am Rande des Zufahrtsweges in den Windpark in Wittgenstein postiert hatte, aber keinen Zugang zu dem Areal erhielt.

+++ Lesen Sie auch: Land kippt 1000-Meter-Abstandsregel für Windräder komplett +++

Ansonsten aber zeigte sich große Einigkeit, zwischen Habeck und den Windkraft-Unternehmern der Familie zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Sie verbindet das Ziel, den Ausbau der Erneuerbaren Energie voranzutreiben. „Was wir heute hier sehen und feierlich begehen, ist ein neues Befriedungsprojekt. Da der Wald zerstört ist, können Windkraftanlagen errichtet werden, ohne einen großen ökologischen Schaden auszulösen“, sagte Habeck.

Wie ein persönliches Befreidungsprojekt für Habeck

Politisch angeschlagener Robert Habeck in Südwestfalen

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zusammen mit seiner NRW-Amtskollegin Mona Neubaur im Windpark in Berleburg Arfeld und anschließend bei Kirchhoff Automotive in Attendorn. 
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zusammen mit seiner NRW-Amtskollegin Mona Neubaur im Windpark in Berleburg Arfeld und anschließend bei Kirchhoff Automotive in Attendorn.  © Unbekannt | Unbekannt
1/1

Er kenne die Kritik am Ausbau der Windkraft, die Sorgen vor der Entstellung der Natur, die Gefahr für Tiere, etwa Vögel, Umweltbedenken. Aber der leidgeplagte Wald werde durch die Erlöse aus Windkraftanlagen aufgeforstet, so hatte es auch Karl Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg erklärt. „Der Wald profitiert, der Klimaschutz profitiert. Das ist die große Bedeutung, die wir hier noch mal sehen können. Sie“, sagte Habeck an die Adresse der Sayn-Wittgensteins, „leben das hier vor, Sie zeigen, wie es gehen kann.“

Habeck zeigte sich bei seinem Auftritt in den Weiten Wittgensteins, der wie sein persönliches Befriedungsprojekt wirkte, entspannt. Selbst Kritik der Sayn-Wittgensteins, jovial bis charmant vorgetragen, nahm er mit einem Lächeln auf – konnte er doch inhaltlich zustimmen. Ludwig Ferdinand Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, der mit seinem Sohn Karl Gesellschafter der Wittgenstein Gruppe ist, die den Windpark in Betrieb genommen hat, prangerte die langen Genehmigungsverfahren und rechtliche Auseinandersetzungen mit Kommunen oder Bundeswehr an. Acht Jahre habe die Umsetzung des Projekts gedauert, das Habeck am Dienstag besuchte. „Absolut unhaltbar“ sei das. Sein Sohn gab Habeck und Neubaur zudem konkrete Verbesserungsvorschläge zur Beschleunigung von Windkraftprojekten mit auf den Weg, etwa den Verzicht auf ornithologische Gutachten. Drei Jahre Planungszeit – und viele Tonnen CO2 – könnten so insgesamt eingespart werden.

Vogelschutz: Habeck wertet die Rechtslage als „veraltet“

Habeck signalisierte Zustimmung. „Ich“, sagte der 53-Jährige, „habe verstanden, was Sie gesagt haben.“ Der Grünen-Politiker, der den Sayn-Wittgensteins für ihr Engagement und ihre Geduld bei dem Windkraft-Projekt ausdrücklich dankte, erklärte sogar, das Thema Vogelschutz auf EU-Ebene angehen zu wollen. Die entsprechende Rechtslage sei „veraltet“. Vor 30 Jahren sei es darum gegangen, einzelne Tiere einer bedrohten Art zu schützen, heute aber müsse es darum gehen, eine Population zu schützen. Klang nach: einzelne Tiere sind Kollateralschäden, die dem großen Ganzen, der Energiewende, zum Opfer fallen können. Das dürfte nicht jedem Grünen und Naturschützer gefallen.

Der Weg aber für den beschleunigten Ausbau der Windkraft soll frei sein. Daran ließ Habeck keinen Zweifel bei seiner Rede vor etwa 70 Gästen. Mehrfach blickte und zeigte er auf die kahlen, vom Fichtesterben heimgesuchten Wittgensteiner Höhen.

Die Windkraftanlage, unter der Habeck und Neubaur am Dienstagnachmittag für etwa eineinhalb Stunden zu Gast waren, stand übrigens für die Zeit des Besuchs der Minister aus Sicherheitsgründen still. Wie ein Moment der Ruhe. Die turbulente Zeit dürfte für Habeck bald weitergehen.