Hagen. Der Hagener Patrick Poralla ist Experte für legere Damenmode beim Teleshopping-Sender HSE. Früher fragte er sich selbst: „Wer guckt das?“
Ist vielleicht eine Berufskrankheit. Die Frage war eine völlig andere, aber Patrick Poralla hat angefangen zu reden und nicht mehr damit aufgehört und ist nun also in seinem Vortrag bei seiner Großmutter angekommen. „Lieber Haben als Brauchen“, lacht der 43-jährige Hagener: „Das hat die Ur-Oma immer schon gesagt.“ Und es klingt als schriebe man Oma mit zwei „m“.
Haben und Brauchen – darum geht es mehr denn je in seinem Leben, das ein öffentliches geworden ist. 30 Stunden im Monat ist er live im Fernsehen zu sehen. Auf Home Shopping Europe (HSE), einem von zwei Teleshopping-Kanälen, die den Millionenmarkt unter sich aufteilen. Er hat Sachen, die die Zuschauer brauchen – sie müssen es nur erfahren. Einst kaufte er die Ware für den Sender nur ein, machte Karriere bis direkt unterhalb des Vorstands. Heute steht er vor der Kamera. Niemand hätte weniger erwartet, dass das mal sein Beruf sein würde als: Patrick Poralla.
Begeisterung für einen Mopp
Er ist einer der Experten des Senders. Fachgebiet: legere Damenmode. Poralla ist einer von denen, die stundenlang, mit großer Begeisterung und heiligem Ernst reden können über Lederjacken mit Rüschenkante, Kleider im Tunikastil mit Blumenaufdruck, Oberteile mit Rundhalsausschnitt, Bandeinzug und asymmetrischem Saum.
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Einer von denen, die man im Fernsehen sieht und nicht mehr wegschaltet, weil man eine seltsame Mischung aus Bewunderung und Vergnüglichkeit verspürt und sich fragt, wie sie das machen – und warum zur Hölle es diesen Artikel-Countdown oben links am Bildrand gibt, der angeblich in Echtzeit anzeigt, wie oft das Produkt noch vorrätig ist. „Kein Quatsch, alles echt.“ Sagt Poralla.
Früher fragte er sich selbst: „Wer guckt das? Wer kauft das?“
„Ich gebe zu: Früher als Jugendliche haben Freunde und ich Teleshopping sogar gemeinsam angeschaut und uns gefragt: Wer guckt das?“, grinst Poralla aus einem Dreitagebart. Er trägt bunte Socken an den Füßen, eine hochwertige Ledertasche unter dem Arm und schreibt mit einem teuren Kugelschreiber. Damals war er ja noch jung und unerfahren und hatte als Schüler einen Aushilfsjob bei C&A. Danach: Abitur an der Kaufmannsschule in Hagen, Ausbildung bei Nordwest, einem Unternehmen, das in den Bereichen Werkzeuge, Industriebedarf und Bauelemente tätig ist. Das Studium Wirtschaftsrecht brach er ab, weil er als Trainee im Einkauf bei Strauss anfangen konnte. Dort war er erst für Herrenwäsche zuständig, dann Damenwäsche, später Strickwaren.
Poralla ist Verkäufer. „Der Kunde muss immer erfahren: Was ist das Besondere an diesem Produkt“, sagt er und fängt an, sich in Rage zu reden über Alleinstellungsmerkmale – oder USPs, wie das heute heißt.
Über die Kaffeemaschine, die von der erstmaligen Inbetriebnahme am Tag bis zum Kaffee am wenigsten Zeit braucht. „Das ist es“, sagt er.
Über ein Wischerset, dessen Eimer ein Zweikammersystem hat für schmutziges und sauberes Wasser. „Was haben wir diese Innovation gefeiert.“
Über die neue Fußmatte bei sich zu Hause, die so dick ist – er hält Daumen und Zeigefinger drei Zentimeter auseinander –, dass sie ihren Dienst sozusagen von alleine tut. „Mikrofaser. Drauftreten, trockene Schuhe, nichts nass im Haus. Mega!“
HSE: 40.000 Käufe am Tag
Dinge, die das Leben leichter oder schöner machen, die faszinieren ihn ganz offensichtlich, weil er dann noch etwas schneller und lauter spricht. Gutes Produkt, gute Vekaufe, „so kriegst du mich“.
Ein Headhunter brachte Poralla Anfang der 2000er zum großen HSE-Konkurrenten QVC. „Ich war skeptisch“, sagt er. Nach dem Vorstellungsgespräch wusste er, wer diese Sender guckt, wer da kauft: mittlerweile im Schnitt 40.000 Menschen am Tag bei HSE.
„Die bordeauxfarbene Jacke ist gleich ausverkauft“
„Jede Sendeminute ist teure Sendezeit“, sagt Poralla und meint: Da wird nichts verschenkt, da wird in Echtzeit alles optimiert. Das reizte ihn damals schon. „Ich habe während der Sendung einen Knopf im Ohr, auf dem mir jemand sagt: Pass auf, die bordeauxfarbene Jacke ist gleich ausverkauft, geh’ schonmal auf die nächste Farbe.“
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Wenn ein Produkt gerade online durch die Decke geht, ziehen sie es in der Sendung nach vorn. Die hauseigene Modemarke Helene Vera hat Poralla selbst mit aufgebaut, sie gehört zu den Flaggschiffen des Senders. 90 Prozent der Zuschauer sind Frauen, berufstätig, um die 50 Jahre alt. „Die haben keine Zeit, sich zehnmal irgendwo beraten zu lassen.“ Also lassen sich viele von Poralla im Fernsehen beraten, der dann an Renate oder Elisabeth, den Models im Studio, zeigt, wie gut die Hose sitzt, wie modisch die Taille der Jacke geschnitten ist.
Von Hagen nach München: Fünf mal am Tag live auf Sendung
„Als Experte hast du eine große Umsatzverantwortung“, sagt er. Sie sind es, die das Produkt präsentieren müssen, dessen Vorzüge kennen und verdeutlichen müssen. Sieben Jahre blieb er damals bei QVC, zehn ist er nun schon bei HSE, die letzten zwei erst vor der Kamera, weil er sich – erstens – in aller Bescheidenheit für einen guten Verkäufer hält und das vermutlich auch ist. Weil er – zweitens – weiterhin die Verantwortung für die Kollektionen hat: Er entscheide über das Futter der Jacke, den Aufdruck auf der Jeans, die Farben. Zweimal im Jahr, sagt er, reise er nach New York, Barcelona, London, Paris, um zu schauen, was da so die Trends sind.
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Außerdem verschafft ihm der neue Job mehr Zeit für seine Familie, seine Ehefrau, die beiden Kinder (11 und 8 Jahre): drei-, viermal im Monat reist er von Hagen nach München, um Sendungen abzudrehen. Dann ist er an einem Tag fünf Mal auf Sendung: 8 Uhr, 10 Uhr, 13 Uhr, 16 Uhr, 21 Uhr – alles live. Verkaufen, verkaufen, verkaufen – mit Gute-Laune-Garantie.
Aufgeregt sei er vor jeder Sendung, sagt er. Manchmal kriegt er sogar Fanpost. Zwei Exemplare hat er zum Termin mit der Zeitung mitgebracht und liest sie vor. „Schön, oder?“ Er lächelt, wie er es im Studio auch tut. Poralla ist irgendwie immer auf Sendung. „Früher schon in der Schule. Die Lehrer haben immer gesagt: ,Poralla, komm her, erste Reihe!‘“ Alleine, damit er nicht zu viel quatscht.