Siegen/Hagen. Immer mehr Veranstaltungen im Land wollen „klimaneutral“ sein. Siegen warb beim Stadtfest 2022 mit diesem Begriff. Mode oder Mogelpackung?

Als die britische Popband Coldplay im vergangenen Sommer in den Fußball-Arenen in Frankfurt und in Berlin auftrat, wurde Ökostrom verbraucht und eine kinetische Tanzfläche genutzt, auf der das Konzertpublikum Elektrizität erzeugte. Und für jedes Ticket, so versprach die Gruppe um Sänger Chris Martin, sollte ein Baum gepflanzt werden.

Mit dem Öko-Anspruch steht Coldplay nicht allein. Nach dem Willen kommerzieller und kommunaler Organisatoren sollen in Deutschland immer mehr Veranstaltungen klimaneutral werden.

Deutsche Umwelthilfe sieht „Riesentrend“

Beispiel Siegen: Im vergangenen August wurde in der Kommune im Siegerland das erste „klimaneutrale“ Stadtfest veranstaltet. „Unser Stadtfest“, sagt Lars Ole Daub, Leiter der Stabsstelle Klimaschutz im Rathaus, war „meines Wissens das einzige seiner Art unter der Bezeichnung ,klimaneutral‘.“

Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, erkennt einen „Riesentrend“ bei Veranstaltern, Wirtschaftsunternehmen und Organisationen, sich Gedanken über eine Verringerung der CO2-Emissionen zu machen. Was den Umwelt- und Verbraucherschützern allerdings sauer aufstößt: „offensichtliche Mogelpackungen“.

Treibhausgas-Emissionen bei Stadtfesten nicht vollständig zu vermeiden

Müller-Kraenner: „Wir haben schon angeblich ‚klimaneutrale‘ Fluggesellschaften und ein Mineralölunternehmen abgemahnt, dass ‚klimaneutrales‘ Motoröl verkauft hat.“ Die Siegener Stadtfest-Aktivitäten freilich würde er „nicht verdammen – aber mich immer fragen, welche ernsthaften Anstrengungen dahinterstehen“. Per se finde er den Begriff „klimaneutral irreführend. Klimafreundlich wäre besser“.

Zahlen zum Siegener Stadtfest im vergangenen August.
Zahlen zum Siegener Stadtfest im vergangenen August. © Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW

„Natürlich ist mir klar“, betont Lars Ole Daub von der Stadt Siegen, dass Treibhausgas-Emissionen bei Veranstaltungen wie eben Stadtfesten nicht vollständig zu vermeiden seien. Beim dreitägigen Stadtfest im August 2022 mit 106.000 Besuchern wurden nach Stadtangaben 441,6 Tonnen Kohlendioxid erzeugt – alleine 263,7 Tonnen durch das Essen und seine Zubereitung; der Verkehr verursachte 177,3 Tonnen.

Kostenlose Sonderbusse eingesetzt

Und doch sollte bei dem Volksfest die CO2-Bilanz auf vielfältige Weise verbessert werden: unter anderem durch kostenlose Sonderbusse, grünen Strom, Verzicht auf Plastik- und Einweggeschirr sowie Müllvermeidung und -trennung. Der Deutschen Umwelthilfe zufolge können bei einer eintägigen Veranstaltung mit 50.000 Besuchern allein durch einen Umstieg von Einweg- auf Mehrweggeschirr etwa vier Tonnen CO2 eingespart werden.

In Siegen sollen die Anstrengungen zum Klimaschutz auch auf dem Stadtfest 2023 weitergeführt werden. Nach teils heftiger Kritik wirbt man nicht mehr mit dem Begriff „klimaneutral“. Nach den bisherigen Planungen soll es aber beispielsweise 30 Prozent mehr Stände mit vegetarischem Essen geben.

Keine Verbote geplant

Lars Ole Daub von der Stabsstelle Klimaschutz stellt klar, dass Stadtfeste „Spaßveranstaltungen“ bleiben sollen: „Es geht nicht darum, etwas zu verbieten und darüber hinaus den pandemie-geplagten Standbetreibern Hindernisse in den Weg zu stellen.“

Man werde keinem Besucher vorschreiben, dass er statt seiner Rostbratwurst eine vegane Speise essen müsse, sagt er. „Aber“, so Daub weiter, „wir können ihn doch zum Nachdenken anregen. Müssen es fünf Bratwürste sein, die womöglich nicht aus regionaler Herstellung sind? Oder auch: Muss er unbedingt mit dem Auto anreisen?“

Kompensationszahlungen

Die beim Stadtfest 2022 verursachten CO2-Emissionen mussten Klimaexperte Daub zufolge „schlussendlich kompensiert“ werden. Mit einer Geldzahlung: Die Stadt Siegen überwies gut 10.000 Euro für Klimaschutzprojekte an eine zertifizierte Agentur.

Dass bei Kompensationszahlungen schnell von einer Mogelpackung die Rede ist, weiß Lars Ole Daub. Und dass schnell über die Definition von Klimaneutralität debattiert wird. Für ihn ist aber wichtiger, das „Positive herauszustellen: Die Menschen setzen sich damit auseinander, wie sich ihr Handeln im Kleinen auf das Klima auswirkt. Wir schaffen ein Bewusstsein dafür, wie man Energie und Wasser sparen, Abfall vermeiden und bei den Themen Mobilität, Essen und Trinken nachhaltiger unterwegs sein kann.“

Der Umwelt Gutes tun

Man wolle auch Menschen erreichen, die Vorbehalte hätten, die sich angesichts der Komplexität des Themas Klimaschutz abgehängt fühlten. Lars Ole Daub: „Es wäre doch schön, wenn sie Energie sparen, weil sie der Umwelt Gutes tun wollen und nicht, weil es an ihr Geld geht.“

Alexander Bonde, Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), sagte unlängst der Frankfurter Rundschau: „Die Veranstaltungsbranche muss viel stärker als bisher in den Blick genommen werden, wenn wir auf Bundes- und EU-Ebene die Klimaziele erreichen wollen. Er regte unter anderem „klimaschonende Anreisen“ der Besucher und „Catering mit regionalen und saisonalen Produkten“ an.