Hagen. Eine Expertengruppe um Lungen-Fachmann Köhler aus Schmallenberg hat Lehren aus der Corona-Pandemie gezogen. Was ihrer Meinung nach schief lief.

Die letzten Corona-Maßnahmen sind mit Beginn des Monats März ausgelaufen. Aber wie hilfreich waren die eigentlich? Eine 13-köpfige Expertenrunde (siehe Hintergrund unten) hat sich kritisch mit dieser Frage auseinandergesetzt und die Lehren aus der Pandemie gezogen. Einer dieser Experten ist Prof. Dieter Köhler (74), ehemaliger Direktor des Lungenfachklinikums Kloster Grafschaft in Schmallenberg sowie früherer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (2005-2007) und des Verbandes Pneumologischer Kliniken (1989-2014). Vor allem in der Debatte um Feinstaubgrenzwerte 2019 war Köhler ein bundesweit gefragter Experte.

Abstands- und 3G-Regeln, Quarantäne, Lockdown, Kontaktnachverfolgung – alles Unsinn, sagen Sie und Ihre Kollegen. Haben wir in Deutschland in der Pandemie alles verkehrt gemacht?

Jein. Bis Mitte 2020 war unklar, wohin die Reise geht. Die getroffenen Maßnahmen bis dahin waren in Ordnung. Da ist niemandem politisch ein Vorwurf zu machen.

Professor Dieter Köhler in seinem Büro in seinem Privathaus in Schmallenberg.
Professor Dieter Köhler in seinem Büro in seinem Privathaus in Schmallenberg. © WP | Ute Tolksdorf

Und danach?

Nach der ersten Aufregung, so im April 2020, hätte ich erwartet, dass altbekannte Erkenntnisse zur pandemischen Infektionsausbreitung berücksichtigt werden. Studien dazu liegen seit mindestens zehn Jahren vor, eher noch länger. Man hätte sie nur lesen müssen.

Welche meinen Sie?

Corona wird über die Luft übertragen. Diese Art von Infektion – das wissen wir längst - ist nahezu nicht zu vermeiden, da die abgeatmeten kleinen Partikel lange in Räumen verbleiben können – auch über den Aufenthalt der infizierten Person in dem Raum hinaus. Die Aerosolpartikel mit den Viren sind so groß wie Zigarettenrauch, der ja auch in ungelüfteten Räumen stundenlang stehen kann.

Daraus folgt?

Zum Beispiel, dass die Kontaktnachverfolgung damit sinnlos ist, weil sich Virenträger und der später Infizierte nicht einmal begegnen müssen. Ebenso sinnlos waren Quarantänemaßnahmen, weil das Virus – ähnlich wie Herpes-Viren an der Lippe – bei manchen im Körper verbleiben kann. Jeder Versuch der Viruselimination – zum Beispiel Null-Covid-Politik – war zum Scheitern verurteilt. Natürlich war auch die Flächendesinfektion sinnlos, da abgeschiedene Viruspartikel nicht in die Luft zurückkönnen.

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Hätte man einfach alles geschehen lassen sollen?

Rapper Smudo demonstriert im Dezember 2020 auf seinem Smartphone die Funktionsweise der App ·Luca.
Rapper Smudo demonstriert im Dezember 2020 auf seinem Smartphone die Funktionsweise der App ·Luca. © dpa | Axel Heimken

Nein, wichtig ist aber: Es hätte nicht darum gehen sollen, die Ansteckung an sich zu vermeiden, die ist nicht das Problem.

Sondern?

Man hätte auf die eingeatmete Viruslast achten müssen. Die entscheidet über den Krankheitsverlauf. Wenn ich in kurzer Zeit so viele Viren aufnehme, dass mein Körper vom ihnen überrannt wird, sind schwere Verläufe und Todesfälle wahrscheinlicher. Ist die Viruslast geringer, kann der Körper die Abwehrsysteme rechtzeitig hochfahren. Ich erkranke, aber eben nicht so schwer.

Ging es mit den Quarantänemaßnahmen nicht auch darum, die Verbreitung auszubremsen, damit das Gesundheitssystem nicht überlastet?

Schon im zweiten Halbjahr 2020 war erkennbar, dass keine bundesweite Überfüllung der Kliniken insbesondere der Intensivstationen vorlag. Nur dann wären Lockdownmaßnahmen mit Grenz-, Schul-, Universitäts- und Kitaschließungen zu rechtfertigen gewesen.

Was war richtig in der Pandemie?

Die Impfungen gegen das Corona-Virus starteten im Dezember 2020. Im Bild: Heimbewohnerin Edith Kwoizalla wird gegen Corona geimpft.
Die Impfungen gegen das Corona-Virus starteten im Dezember 2020. Im Bild: Heimbewohnerin Edith Kwoizalla wird gegen Corona geimpft. © dpa | Matthias Bein

Die Impfung hat die Ausbreitung sicherlich ausgebremst, zumindest die erste. Bei allen weiteren muss man sich fragen, ob sie wirklich notwendig waren. Richtig war sicherlich auch, Orte wie Bars und Restaurants zu schließen, geschlossene Räume also, in denen sich viele Menschen auf wenig Fläche bewegen.

War es ein Fehler, sie wieder zu öffnen?

Ein Schild mit der Aufschrift
Ein Schild mit der Aufschrift "Eintritt nur mit Maske“ im Dezember 2021. © dpa | Soeren Stache

Zumindest das Wie war ein massiver Fehler: Am Tisch durfte die Maske abgenommen werden. Das heißt: Stundenlang saßen die Menschen in schlecht belüfteten Innenräumen mit zumeist niedrigen Decken zusammen. Das hat vermutlich die Zahl der schweren Verläufe und Todesfälle erhöht, da bei einer hohen Viruslast im Raum die inhalierte Dosis deutlich höher war.

Das heißt aber: die Maskenpflicht war sinnvoll?

Die Maskenpflicht hat keinen relevanten Einfluss auf die Infektionshäufigkeit gehabt. An der frischen Luft war sie völliger Unsinn, weil es dort so gut wie keine Ansteckungen gegeben hat. Ich erinnere mich an Maskenpflicht in Innenstädten und ja sogar ganze Ausgangsverbote. Das ist ja eher Science-Fiction als effektive Pandemiebekämpfung. Zum Eigenschutz aber war die Maske effizient, weil sie die eingeatmete Viruslast reduzierte.

Es hieß immer, die Maske diene vor allem dem Fremdschutz. Ihr Nachfolger am Lungenfach-Klinikum Kloster-Grafschaft in Schmallenberg und Mitunterzeichner des aktuellen Schreibens, Prof. Dominic Dellweg, sagte dieser Redaktion im Mai 2021, dass die Masken effektiv seien „und zwar für den Selbstschutz wie auch für den Schutz anderer“.

Das sieht er mittlerweile auch etwas differenzierter, auch weil viele neue Daten vorliegen. Im Einzelfall schützen natürlich Masken auch andere, wenn zum Beispiel die Pflegekraft im Altenheim eine Patientin pflegt, die wegen Demenz keine Maske aufzieht. Allerdings sind in solchen Fällen mobile Luftreiniger im Zimmer sicherer.

Machen Sie es sich nun zu einfach, im Nachhinein schlauer zu sein?

Erstens: Die anderen Kollegen und ich haben unser Wissen zur Ausbreitung des Virus rechtzeitig den verantwortlichen Stellen vorgetragen. Wir waren überrascht, was das vermeintliche Expertengremien darüber nicht wusste. Gleichzeitig schien es sie nicht sehr zu interessieren. Professor Drosten zum Beispiel analysiert im Labor, wie sich das Virus zusammensetzt und verändert, eher nicht, wie es sich überträgt.

Zweitens?

Es geht uns nicht darum nachzukarten. Wir wollen nur, dass wir auf die nächste Pandemie, die sicher kommt, besser vorbereitet sind.

Wie gelingt das?

Der größte Fehler, der in der Pandemie gemacht wurde, war, dass der ergebnisoffene Dialog der Wissenschaft abgewürgt wurde. Daraus entstanden die weiteren Fehler. Wissenschaftlich waren wir in der Pandemie ein Dritte-Welt-Land. Es war kaum möglich, öffentlich eine andere Meinung als die des Expertenrates der Regierung zu äußern, ohne in eine Ecke gestellt zu werden, in der niemand stehen möchte.

Was noch?

Weniger Hysterie wäre gut. Zudem wäre es jetzt schon wichtig, die richtige Erfassung von Gesundheitsdaten zu forcieren.

Was meinen Sie damit?

Permanent anfallende Rohdaten zur Gesundheitsversorgung – wie sie bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, den Krankenkassen, den Krankenhäusern und Standesämtern bei Tod vorliegen - sollten in miteinander vernetzten Datenbanken erfasst werden. Das fehlt bisher. Zudem wäre es sinnvoll, schon jetzt ausreichend große, repräsentative Kontrollgruppen, sogenannte Kohorten, zu planen. Am besten je 10.000 Menschen aus dem Norden, Süden, Westen und Osten des Landes, an denen bei Beginn einer Pandemie permanent Daten erhoben werden zu Schweregrad, Krankheitsverlauf, Virusmutationen,Kontaktwege, Immunitätsentwicklung, Impfwirkungen und Mortalitätsursache. Solche Kohortenuntersuchungen sind nicht nur weniger kostenintensiv, sondern auch der einzige Weg, um belastbare Daten zu erzeugen.

<<< HINTERGRUND >>>

Das Papier der Experten ist öffentlich einsehbar unter: https://www.sokrates-rationalisten-forum.de/

Mitunterzeichner des Papiers sind neben Köhler:

Dr. Thomas Voshaar (Chefarzt, Lungen- und Thoraxzentrum Moers; Vorsitzender des Verbandes Pneumologischer Kliniken)
Dr. Patrick Stais (Pneumologe, Lungen- und Thoraxzentrum Moers)
Dr. Thomas Hausen (Hausarzt im Ruhestand)
Priv. Doz. Dr. Andreas Edmüller (Philosophie, LMU München)
Prof. Dominic Dellweg (Direktorder Klinik für Innere Medizin, Pneumologie und Gastroenterologie, Pius-Hospital Oldenburg)
Prof. Peter Nawroth, emeritierter Direktor Innere Medizin I und Klinische Chemie, Universitätsklinikum Heidelberg
Prof. Matthias Schrappe (Internist, Universität Köln)
Prof. Gerd Antes (Mathematiker und Medizinstatistiker, Universität Freiburg)
Dr. Gerhard Scheuch (Physiker mit Schwerpunkt Aerosolmedizin)
Norbert Paland (Ministerialdirigent a. D.)
Dr. Andreas F. Rothenberger, Fürstenfeldbruck
Oliver Keymis (Landtagsvizepräsident a. D.)