Attendorn. Den Gefängnissen in NRW fehlen hunderte Mitarbeiter. Grund genug für einen Besuch im Knast. Unterwegs mit zwei Wärtern in der JVA Attendorn.
Sie sind jetzt am Ende des Flurs angelangt, und damit auch am Ende ihrer Möglichkeiten.
Justizvollzugsanstalt Attendorn, geschlossener Vollzug, erster Stock. Ein kahler Raum, keine Ecken, keine Kanten, keine Möbel, theoretisch keine Möglichkeit, sich zu verletzen. Nur eine blaue Matratze stattet den weiß-grauen Raum aus. Dazu Überwachungskamera, Gegensprechanlage und ein Plumpsklo in der Ecke. Wenn nichts mehr geht, geht’s in den BGH, den „besonders gesicherten Haftraum“, wie er offiziell heißt.
Die Knackis sprechen vom „Bunker“. Der ist die Endstation, auch bei den Sanktionsmöglichkeiten. Wer Probleme macht, wem nicht anders zu helfen ist, wer sich psychisch auffällig verhält, sich selbst verletzt, der landet hier, kann am Boden fixiert werden. Und dann? „In der Regel“, sagt Christian Holderberg, „kommen die Gefangenen hier drin nach zwei, drei Tagen runter.“
Einblicke in das Gefängnis in Attendorn
Holderberg, 45 Jahre alt, grau-schwarzer Bart, Brille, war mal Bankkaufmann. 2002 landete er im Knast – als Justizvollzugsbeamter. Ein Berufs-Leben hinter Gittern. Für viele unvorstellbar. Fast 900 Mitarbeiter fehlten zuletzt in den Gefängnissen in NRW. Dabei sagt Holderbergs Kollegin Heike Wehr: „Die Leute glauben das nicht, aber der Job macht Spaß.“
Anlass genug für einen Besuch im Knast.
Mehr als nur Wärter: In der JVA Attendorn gibt’s sogar einen Imker
Heike Wehr, 37, hat einst eine Ausbildung zur Pferdewirtin begonnen, seit 2005 ist sie im Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD) tätig. Wenn sie und ihre Kollegen beim Rundgang durch die JVA Attendorn (183 Bedienstete) über ihre Arbeit sprechen, dann norden sie die Besucher bei den Begrifflichkeiten erst mal ein. Wärter oder Schließer, die Bezeichnung gehe gar nicht, finden sie. „Der Job ist nicht nur Tür auf und Tür zu“, sagt Wehr, bevor sie wieder mal eine Tür aufschließt, die Holderberg später hinter den Besuchern wieder abschließt. „Die Tür ist stets geschlossen zu halten“, mahnt ein Schild in dem alten Klostergebäude, in dem ein Teil des offenen Vollzugs, eine Schreinerei und Tischlerei sowie die Küche untergebracht sind. Es geht dann eben doch viel um Sicherheit, ist nun mal ein Knast. Doch eine JVA bietet mehr.
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Der Allgemeine Vollzugsdienst stellt die größte Berufsgruppe in den Gefängnissen dar. Die AVDler, wie sie sich nennen, kümmern sich rund um die Uhr um die Gefangenen. In einem Knast arbeiten aber auch Handwerker, Ärzte, Köche, Lehrer, Krankenpfleger, Seelsorger und viele mehr. In Attendorn gibt’s sogar einen Imker, der mit den Häftlingen für den Gefängnisshop den „Original Attendorner Knasthonig“ produziert. Auch die Bienen sitzen hier ein. Bestseller im Gefängnisshop ist aber ein hölzerner Bier-Zapfbock. Er soll für zwei Drittel des Umsatzes sorgen. Nicht zuletzt stellen sie Holz-Spielzeug für Kinder her.
Viele Kollegen, berichtet Christian Holderberg, seien Quereinsteiger, etwa Handwerker, die nun in den Werkstätten die Gefangenen anleiten. Sie alle müssen die zweijährige AVD-Ausbildung machen, sind dann beispielsweise Wärter und Schreiner. Duale Ausbildung mal anders.
Die RTL-Sendung „Der Frauenknast“ ist tabu
Christian Holderberg und Heike Wehr finden, dass die Arbeit im Knast vielfältige Möglichkeiten biete. Holderberg ist etwa als Ausbildungsleiter tätig und für Neueinstellungen zuständig. Wehr arbeitet auch als Pressesprecherin. Kernaufgabe aber ist die Gefangenen-Beaufsichtigung, und die wirkt auf viele aus der normalen Arbeitswelt wenig reizvoll. Das mag auch daran liegen, dass ein Knast schlecht einen Tag der offenen Tür als Anwerbe-Maßnahmen anbieten kann, viele Kandidaten scheitern außerdem am zweitägigen Einstellungstest.
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Holderberg und Wehr glauben zudem, dass viele da draußen auch aufgrund von Filmen und Serien ein falsches Bild von den Zuständen im Knast hätten. Die RTL-Produktion „Hinter Gittern – Der Frauenknast“, die mögen sie so gerne wie die Bezeichnung als Schließer. „Diese ganzen Serien“, sagt Heike Wehr, „die sind so weit weg von der Realität.“
Wie aber sieht die Realität hier drin aus? Darauf gibt es in Attendorn zwei Antworten.
Im geschlossenen Vollzug gehen die Uhren anders, einige auch falsch
Die JVA verfügt seit 2011 nicht mehr nur über einen offenen, sondern auch über einen geschlossenen Vollzug. Es sind zwei Welten, nebeneinander und doch getrennt.
Im offenen Vollzug mit seinen an diesem Tag 167 Insassen wirkt der Umgang entspannt. Die Gefangenen hier haben etwas zu verlieren. Privilegien, die ihnen relative Freiheit innerhalb der Gefängnismauern bescheren, mitunter sogar Freigang in die Außenwelt. Sie sind untergebracht in vier Wohnhäusern, die wie Jugendherbergen aus den 1960ern wirken. Sie tragen ihre eigene Kleidung, stehen an diesem sonnigen März-Tag in Gruppen auf dem Hof vor dem Klostergebäude von 1726, plaudern.
Ganz anders sieht das wenige Meter weiter aus, in dem Bereich, in dem auch der Bunker liegt. Im geschlossenen Vollzug gehen die Uhren schon anders, einige, die auf den Fluren unter der Decke hängen und in roten Ziffern die Uhrzeit anzeigen, auch falsch.
Pfefferspray-Zielübungen auf ein Schauspieler-Foto
Hohe Mauern, Stacheldraht, Gitterstäbe an den Fenstern: Im geschlossenen Vollzug geht’s sichtbar um den Ernst des Lebens für aktuell 99 Gefangene.
Die Türen sind massiv, viel Stahl, viele Gitter. Die Zellen, Einzel- und Gemeinschaftszellen, liegen im ersten Stock, hinter Brandschutztüren mit Guckloch. Aus Zelle 156 ist Musik zu hören, Männerstimmen, Gelächter. Raus kommt sonst nichts heute.
Im Erdgeschoss finden sich Bücherei, Schulräume (etwa für Sprachkurse), Kleiderkammer, eine Kapelle. Auch einen Kraftraum gibt’s. Gegenüber sitzt René Müller, 44, schwarze Sportkleidung, zackiger Ton, direkte Ansprache, könnte Feldwebel beim Bund sein. Müller ist als Sportkoordinator Herr über Kraftraum und Turnhalle, in der sie an eine Wand ein Foto des Schauspielers Riccardo Pizzuti geklebt haben. Der Italiener brachte es in den 1970er und 80er Jahren zu einiger Berühmtheit, weil er von Bud Spencer und Terence Hill viel aufs Maul bekam und viele Zähne verlor. In der JVA Attendorn dient sein Foto als Zielscheibe für Pfefferspray-Übungen.
Sonntags und montags sind Kraftraum und Halle für die Beamten reserviert, unter anderem für das „Deeskalations- und Sicherungstechniken-Training“, mit dem sie sich für den Fall vorbereiten, dass „da jemand seine Hütte kommen lässt“, wie Müller im Knastjargon erläutert. Übersetzung: Wenn ein Gefangener seine Zelle auseinandernimmt, rücken die Beamten an. Müller drückt auch das recht salopp aus, formuliert dann aber mit Heike Wehrs Hilfe neu: „Jede Maßnahme ist verhältnismäßig.“
Romantik im Knast: Unter dem Personal gibt’s „ziemlich viele Pärchen“
Verhältnismäßig selten soll es zur Anwendung von „unmittelbarem Zwang“ kommen, wie das im Justizdeutsch heißt. „Da draußen glauben alle, wir machen den ganzen Tag nix anderes, aber es ist Gott sei Dank die Ausnahme“, sagt Heike Wehr. Sie räumt aber auch ein: „Es gibt auch Schattenseiten hier drin.“ Übergriffe von Häftlingen auf Beamte zum Beispiel, die „hin und wieder“ vorkämen.
Auch aus Sicherheitsgründen reden sie im Knast wenig über Privates, Häftlinge sollen etwa nicht wissen, wo ihre Aufpasser wohnen. Christian Holderberg spricht Kollegen nicht mit Vor- und Nachnamen an. Die drei Beamten betonen aber, dass sie sich sicher fühlen in und mit diesem „schönen Beruf“ (René Müller).
Welchem Interessenten ein krisensicherer Job mit Beamtenstatus nicht reicht, den spricht vielleicht etwas anderes an: die Liebe. Holderbergs Frau und Wehrs Mann arbeiten ebenfalls in der JVA Attendorn. „Wir haben hier tatsächlich ziemlich viele Pärchen“, sagt Holderberg.
Tür auf für die Liebe.