Hagen/Iserlohn. Ein einfacher Ordnungsamtsmitarbeiter erhielt von der Stadt eine 250.000-Euro-Abfindung. Durfte er das? Das Gericht hat entschieden.

Ugur Ü. ringt mit den Tränen. Gerade ist das Urteil im Prozess um die sogenannte Iserlohner Abfindungsaffäre gesprochen worden. Der ehemalige Außendienstmitarbeiter des Ordnungsamtes, an den eine Abfindung in Höhe von 250.000 Euro brutto (177.000 Euro netto) geflossen war, hatte bis zuletzt auf einen Freispruch gehofft. Jetzt hat die 9. Strafkammer des Landgerichts Hagen den 41-Jährigen wegen Beihilfe zur Untreue zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen in Höhe von jeweils 10 Euro verurteilt.

Wegen der langen Verfahrensdauer sollen ihm 90 von 120 Tagessätzen erlassen werden. Das bedeutet: Ü. müsste 30 Tagessätze à 10 Euro zahlen, macht 300 Euro. Ein verschwindend geringer Betrag im Vergleich zur Abfindungssumme. Aber Ü. will dies nicht akzeptieren.

Revision in Karlsruhe angekündigt

Ganz im Sinne seines seines Verteidigers Dr. Holger Rostek. Noch im Gericht kündigt der erfahrene Jurist aus Bielefeld an, vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe in Revision gehen zu wollen. „Das Urteil ist falsch“, sagt er. Die Abfindungssumme bleibt übrigens laut Richterspruch weiter behördlich eingezogen.

Der mitangeklagte damalige städtische Personalreferent Christian G., der den Auflösungsvertrag mit Ü. ausgehandelt hatte, wurde wegen Untreue in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten auf Bewährung verurteilt. Damit verliert er nicht seine Beamtenrechte.

Abfindungsaffäre nahm im Januar 2019 ihren Ursprung

Mit dem angekündigten Schritt nach Karlsruhe geht ein langwieriges Verfahren in die nächste Runde. Ü. hatte im Januar 2019 den Auflösungsvertrag unterschrieben. Im Zuge der Affäre war vier Monate später der damalige Iserlohner Bürgermeister A. zurückgetreten. Im Dezember des Jahres hatte die Staatsanwaltschaft Hagen ihre Anklageschrift beim Landgericht eingereicht.

Erst vier Jahre nach dem Ursprung der Affäre begann der Strafprozess. Ohne den angeklagten Ex-Bürgermeister, der wegen einer Erkrankung dauerhaft verhandlungsunfähig ist. Ursprünglich wollte der Vorsitzende Richter, der am Mittwoch Ü. verurteilte, die Anklage gegen den ehemaligen Stadtmitarbeiter gar nicht zulassen. Das Oberlandesgericht Hamm kassierte die Entscheidung allerdings ein.

Richter: „Unglaublich hohe Abfindungssumme“

Der Fall aus Iserlohn habe viele Menschen interessiert, sagt Christian Hoppe, der Vorsitzende Richter, zu Beginn seiner Urteilsbegründung. Besonders die Frage, warum eine so „unglaublich hohe“ Abfindungssumme geflossen sei – 250.000 Euro für einen Außendienstmitarbeiter des Ordnungsamtes. „Wir haben bei der Beweisaufnahme keinen plausiblen Grund gefunden“, so Hoppe weiter. Mehr noch: „Es hat keinen legitimen Grund gegeben, dass Steuergelder so großzügig ausgeschüttet wurden, um sich von dem Mitarbeiter zu trennen.“

Die Arbeitsleistung von Ü., das hätten Zeugenaussagen ergeben, sei „nie zu beanstanden“ gewesen. Auch im persönlichen Umgang habe sich der Angeklagte nichts zu Schulden kommen lassen. Zwar habe es in der Verwaltung Versuche gegeben, „Material“ gegen Ü. zu finden. Doch, so Hoppe: „Es gab nichts.“ Sein Fazit: Der Angeklagte sei keinesfalls ein „untragbarer Mitarbeiter“ oder gar ein „Unruhestifter“ gewesen.

Bei Verhandlungen alleingelassen gefühlt

Und doch habe der damalige Bürgermeister eine „schnelle und diskrete Lösung“ gefordert, so der Vorsitzende Richter. Der damalige städtische Personalreferent G., der sich nach eigenem Bekunden bei den Verhandlungen zu einer Vertragsauflösung alleingelassen fühlte, sei daraufhin den „bequemen Weg“ gegangen, um sich „ein Problem vom Leibe zu schaffen“: Er habe sich Ü.’s Einverständnis „erkaufen wollen. Auf Kosten der Steuerzahler“.

Dabei sei G. bewusst gewesen, dass er aufgrund der Vermögensbetreuungspflicht zu sparsamem und wirtschaftlichem Handeln in der Verwaltung angehalten war. Auch der Angeklagte Ü. habe wissen müssen, dass die Verwaltungsspitze bei einer derartig hohen Abfindung strafbar handele.

Ü. verweist auf Urteil des Landesarbeitsgerichts in Hamm

Nach dem Urteil ringt Ü. auf dem Gerichtsflur nach Worten: „Wie soll das für mich klar gewesen sein, wenn selbst Gerichte zu unterschiedlichen Ansichten kommen?“, fragt er. Der 41-Jährige verweist auf die ursprüngliche Nicht-Zulassung der Klage gegen ihn durch das Landgericht Hagen und die Aufhebung der Entscheidung durch das Oberlandesgericht Hamm. Und auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts in Hamm vor einem guten Jahr. Das Gericht war der Auffassung, dass Ü. die ungewöhnlich hohe Summe habe annehmen dürfen.

Rechtsanwalt Rostek kann die jetzige Urteilsbegründung des Hagener Landgerichts nicht nachvollziehen: „Es gab sehrwohl einen Grund für die hohe Abfindung: Die Verwaltungsspitze wollte meinen Mandanten unbedingt loswerden. Koste es, was es wolle.“

Angeklagter will weiter kämpfen

Ü. will weiter einen Freispruch. „Ich kämpfe bis zum Ende“, sagt er und meint damit die Revision beim Bundesgerichtshof: „Die ganze Sache hat schon genug von meinem Privat- und Berufsleben zerstört. Ich will doch nur meinen Frieden haben.“