Olsberg. Was ist das Geheimnis langer Liebe? Welche Fehler machen wir? Paartherapeutin Martina Stuhldreher-Brockhoff über Alltag, Ansprüche und Affären.

Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Martina Stuhldreher-Brockhoff (57) als systemische Paartherapeutin – oder wie sie sagen würde: Paarberaterin. Wie heilt man die Wunden, die die Liebe hinterlassen kann? Wie überwindet man, was sich zwischen Zweien aufgebaut hat? Und wie hat sich Liebe in all den Jahren verändert? Ein Interview in ihrer Praxis in Olsberg.

Die Scheidungsraten sind in Deutschland in den vergangenen Jahren eher gesunken als gestiegen. Müssen wir uns also keine Sorge um die Liebe machen?

Bei Paartherapeuten herrscht weiterhin Hochkonjunktur, ich begleite sogar Paare aus Dortmund, Kassel und Dresden, mit denen ich online und hier in der Praxis arbeite. Aber die Sehnsucht vieler Menschen nach einer festen, dauerhaften Beziehung – auch in Form der Ehe - ist immer noch ungebrochen. Wobei zu den sinkenden Scheidungszahlen vielleicht auch beiträgt, dass es heutzutage nicht mehr die gesellschaftliche Erwartung der Heirat gibt. Nur diejenigen, die das auch wirklich wollen und überzeugt sind, ihre Partnerschaft damit auf eine neue Ebene zu hieven, werden diesen Schritt auch gehen.

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Sind Partnerschaften mit all den Singlebörsen und sonstigen Kontaktmöglichkeiten im Internet nicht viel größeren Gefahren ausgesetzt als vor 20 Jahren?

Es gibt nach wie vor zwei Seiten in uns, die bedient werden wollen. Da ist der Wunsch nach Sicherheit, nach einem Bollwerk, dem eigenen Nest, in dem man sich geschützt fühlt – gerade jetzt in diesen Krisenzeiten. Auf der anderen Seite ist die Sehnsucht nach Abenteuer, nach dem Fremden und Neuen. Auf Tinder und all den anderen Seiten, scheint das Upgrade nur einen Klick entfernt. Die Optimierungstendenzen, die unser ganzes Leben durchziehen, finden sich natürlich auch in den Ansprüchen an Partnerschaften wieder.

Sind die Ansprüche gestiegen?

Auf jeden Fall. Die Beziehung soll die Versorgung sicherstellen und der Ort der seelischen Wundheilung sein. Der Partner soll bester Freund sein – bei gleichzeitiger knisternder Erotik im Alltag und einem erfüllten Sexleben. Kein Mensch kann all das auf einmal sein. Viele scheitern an ihren Ansprüchen dem Partner gegenüber.

Wer scheitert daran: Männer oder Frauen?

Beide gleichermaßen – auch das hat sich verändert. Es sind bei weitem nicht mehr nur die Männer, die mit der Auslastung in Sachen Liebesleben unzufrieden sind. Viele Frauen sind es - und sagen das heute auch.

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Wann sind Partnerschaften in Gefahr?

Das ist total unterschiedlich. Jede Beziehung hat ihre Phasen, in denen unterschiedliche Bedürfnisse vorherrschen. Wenn aus Paaren Eltern werden, dann geht zumeist ein riesiger Wunsch in Erfüllung. Bei aller Freude aber wird die Paarbeziehung nunmal vorerst etwas aufs Eis gelegt. Irgendwann muss man sich darum kümmern, sie wieder vom Eis zu holen und Zeit zu zweit einplanen. Aber wichtig ist auch, eigenständig zu bleiben und sich zu fragen: Was brauche ich für mich? Wer will ich ohne meinen Partner sein?

Klingt kompliziert.

(lacht) Das war es ja noch nicht. Die Kinder sind oft die gemeinsame Lebensaufgabe. Sind die aus dem Haus, beginnt eine neue Phase, in der sich die Partnerschaft neu finden muss, in der sich zeigt, ob der Blick füreinander verloren gegangen sein könnte. Aber viele haben nach wie vor den Wunsch, das alles gemeinsam schaffen zu wollen – vor allem, wenn Kinder im Spiel sind.

Was ist das Geheimnis von langen Partnerschaften, die all das überdauern?

Eine gute Balance aus Autonomie und Bindung der Partner. Zudem ist es wichtig, sich weiterhin für den anderen zu interessieren und dessen Wünsche in das eigene Handeln einzubeziehen. Der Blick auf den Anfang der Beziehung und die damit verbundenen positiven Illusionen sollten nicht verloren gehen: Was hat den anderen für mich interessant gemacht? Apropos Illusionen: Verabschieden Sie sich von der Vorstellung, Ihren Partner ändern zu können.

Was machen die Menschen schon immer falsch in Beziehungen?

Manchmal ist es, nicht mehr miteinander zu sprechen. Aber auch: Den anderen abzuwerten, in dem man auf schlechte Angewohnheiten schaut und sich innerlich fragt: Wo kann ich ihn oder sie jetzt wieder packen? Und vor allem: Führen Sie kein Beziehungskonto!

Auf der Bank?

Nein, moralisch. Das bedeutet: Holen Sie alte Verfehlungen nicht immer wieder hervor.

Schwierig, wenn – zum Beispiel - der eine den anderen betrogen hat.

Das ist auch so etwas: Früher, ganz früher waren Affären fast reine Männersache. Sie waren in Beziehungen die Stärkeren, Unabhängigeren – und konnten im Zweifel noch beim Stammtisch damit prahlen. Heutzutage ist das Verhältnis ausgeglichen.

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Ist die Affäre für gewöhnlich das Ende der Beziehung?

Ist ein Partner vom anderen betrogen worden, dann ist das schmerzhaft und verletzend. Es zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Die alte Paarbeziehung ist damit beendet, keine Frage. So schwer das ist: Es gilt dann, gemeinsam zu schauen, was passiert ist. Warum hat er oder sie sich darauf eingelassen und was hat es ihm oder ihr bedeutet? Aber eine Affäre kann auch eine Chance sein.

Bitte?

Wenn es einen Seitensprung oder eine Affäre gegeben hat, heißt das nicht automatisch, dass die Beziehung nicht intakt war. Es kann sein, dass eigentlich alles rund läuft – bis es zu dieser einen Begegnung kommt, die Sehnsüchte weckt, die von deren Existenz man nichts ahnte. Klar ist, dass neue Entscheidungen getroffen werden müssen.

Und wie ist das alles nun eine Chance?

Wichtig ist, sehr behutsam vorzugehen. Oft will der betrogene Partner jedes Detail zu diesem Vertrauensbruch wissen. Wer? Wann? Was? Wo? Das ist der höchst verständliche und nachvollziehbare Versuch, die Kontrolle in einer kaum kontrollierbaren Situation zurückzuerlangen. Ich warne aber davor, wirklich alles wissen zu wollen.

Warum?

Die Bilder im Kopf wird man nicht mehr los. Das ist für eine mögliche gemeinsame Zukunft nicht immer hilfreich. Fest steht: Ab dem Moment ist nichts mehr selbstverständlich. Grundlegende Fragen müssen gestellt und beantwortet werden: Hat vielleicht doch etwas gefehlt? Was für ein Paar wollen wir in Zukunft sein? Das bedeutet für beide Seiten viel Arbeit. Dann kann es eine Chance sein.