Hochsauerland. Die Polizei im Sauerland ermittelt gegen eine Prostituierte, die einen Kunden um viel Geld gebracht haben soll. Wie es dazu kam: eine Recherche.

Es ist nicht so als würde es an Informationen zu dieser Dame mangeln. Auf bestimmten Internetseiten findet man Bilder von ihr, ihre Körbchengröße, die Konfektionsgröße, ihre sexuellen Vorlieben und anderes Intimes. Wie sorgfältig aufgelistete Produktinformationen. Direkt daneben: ihre Telefonnummer. Doch gibt es auch Dinge, die über sie nicht bekannt sind. Zum Beispiel: ihr Aufenthaltsort. „Die Tatverdächtige ist verschwunden und wir wissen nicht, wo sie ist“, teilt die Polizei im Hochsauerlandkreis auf Nachfrage dieser Zeitung Ende Oktober mit.

Das polizeiliche Ermittlungsverfahren läuft, Zeugen sind verhört

Es liegt eine Strafanzeige gegen die Frau – um die 30 Jahre alt, bulgarische Herkunft – vor. Der Vorwurf lautet: Betrug. Es geht um 12.000 Euro – und um viele offene Fragen, die sich in diesem oft sichtgeschützten Randbereich der Gesellschaft auftürmen. Das polizeiliche Ermittlungsverfahren läuft, Zeugen sind bereits verhört.

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Der Mann, der die Anzeige erstattet hat, ist Mitte 50, lebt im Sauerland, Single-Einrichtung, Aschenbecher auf dem Tisch, ein Bild von Paris an der Wand. Die Stadt der Liebe. „Ich war blind“, sagt er. Blind vor Liebe – oder der Illusion davon. Er weiß, dass es Betrugsmaschen gibt, die so funktionieren. Liest man ja oft genug in der Zeitung, sagt er.

Einen, der blind vor Liebe ist, nennen sie Liebeskasper

„Ich bin sauer auf sie, aber auch auf mich. Ich habe immer gedacht, dass mir so etwas nicht passieren kann.“ In den Internet-Foren, in denen er noch immer nach Leidensgenossen sucht und immer wieder fündig wird, werden Typen wie er Liebeskasper genannt, sagt er. Das Wort schmerzt, weil es irgendwie wahr ist. Aber es bedeutet für ihn auch, nicht allein zu sein. Nicht so allein wie er gerade wieder ist.

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Die Telefonnummer der Dame aus dem Internet führt geradewegs zu ihr. Es klingelt kurz, dann ist sie dran. Sie arbeite heute nicht, lässt sie als erstes in gebrochenem Deutsch wissen. Nach Recherchen dieser Zeitung ist sie zu diesem Zeitpunkt in Bulgarien.

Nach zwei Treffen soll sie zu ihm ziehen – das geht nur wenige Tage gut

Höchstens zweimal im Jahr, sagt der Mann, suche er die Dienste von Prostituierten auf. In diesem Fall bei einer, die sich – außerhalb des Sauerlandes – zur Erbringung ihrer Dienste ein Zimmer in einem Etablissement angemietet hatte. Tagesgeschäft, sagt man im Milieu dazu.

Zweimal sei er bei ihr gewesen, sie hätten sich sofort gut verstanden. Er schlug ihr vor, ihrer Arbeit nicht mehr länger nachzugehen und zu ihm zu ziehen.

Aus Liebe?

Oder gegen Bezahlung?

Geld für das kranke Kind, dringend benötigte Papiere, nicht bediente Kredite?

Vier Tage sei sie bei ihm gewesen, ehe sie in die Heimat gemusst hätte: das Kind sei krank. Er habe Flüge gezahlt, mehrfach in nur drei Monaten. Und habe über Western Union weiteres Geld für angeblich dringend benötigte Papiere und nicht bediente Kredite überwiesen. Für das Kind in Bulgarien, sagt er, hätte er sich um einen Kindergartenplatz in Deutschland gekümmert.

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Der Mann scrollt durch den Chatverlauf im Handy. Eintrag vom 8. Juli 2022: „Du denkst nicht an uns“, schreibt sie. 500 Euro hätte sie da gerade erhalten, sagt er. Zu wenig offenbar. „Ich habe zu der Zeit richtig Stunden gekloppt und ganz gutes Geld verdient. Aber teilweise konnte ich meine eigenen Rechnungen nicht bezahlen.“ Er schüttelt den Kopf als rede er über jemand anderen.

Erst Streit, dann Anzeige

Als ihm die Sache immer merkwürdiger vorkommt, als die Geschichten immer abenteuerlicher werden, gibt es erst Streit. Dann erstattet der Mann im Spätsommer Anzeige. „Hoffnung auf mein Geld mache ich mir nicht, aber ich will Frauen wie ihr das Handwerk legen“, sagt er.

Die Polizei erinnert das Vorgehen an ein Delikt, das „Romance Scamming“ genannt wird. Es beschreibt ein Phänomen, bei dem auf Dating-Portalen oder sozialen Netzwerken „unter Vortäuschung von Liebesgefühlen, Freundschaft oder auch einer beabsichtigten Partnerschaft“ die Opfer dazu gebracht werden, „dass sie den Tätern mindestens vierstellige Geldsummen zur Verfügung stellen“, wie das Landeskriminalamt auf Nachfrage ausführt. Ob das in diesem Fall auch so war?

LKA fürchtet „hohe Dunkelziffer“ an Straftaten

Der Betrug funktioniere „über die Darstellung einer emotional bewegenden, unwahren Notlage“. Abweichung in diesem möglichen Betrugsfall: Die Kontaktaufnahme erfolgte nicht im Internet, sondern im realen Leben. Belastbare Fallzahlen zu dieser Art Vergehen lägen nicht vor, teilt das Landeskriminalamt mit. Weil die Taten häufig den höchst privaten Lebensbereich der Opfer berührten, sei aber „von einer hohen Dunkelziffer nicht angezeigter Straftaten auszugehen“.

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Nach Erkenntnissen dieser Redaktion befindet sich die Dame seit wenigen Tagen wieder in Deutschland. Sie will, sagt sie und man ahnt, dass sie eine andere Sichtweise auf die Geschehnisse hat, erst mit der Polizei sprechen.

80 Euro koste die halbe Stunde, sagt der Mann aus dem Sauerland. Die Frauen müssten 40 oder 50 Euro am Tag für das Zimmer bezahlen. Ein offenbar gängiges Geschäftsmodell, das auch auf jene abzielt, die den Markt der käuflichen Liebe längst dominieren: Frauen aus Osteuropa, viele aus Bulgarien und Rumänien.

70 bis 80 Prozent der Frauen kommen aus Osteuropa

„Die Einnahmen aus der Prostitution sind seit Corona nicht mehr so wie sie mal waren. Kaum eine Frau hat ein Sparvermögen, die meisten leben von der Hand in den Mund“, sagt Stephanie Klee, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Sexuelle Dienstleistungen. „Seit über zehn Jahren haben wir einen Anteil von 70 bis 80 Prozent an Frauen aus Osteuropa. Das hat was mit der Branche gemacht.“

Die Frauen seien oft nur für wenige Monate in Deutschland und gingen dann zurück in die Heimat. Sie haben nicht selten Ehemänner und Kinder. „Oft steckt da eine Familie in der Heimat hinter, die mitfinanziert wird.“ Ihren Angehörigen sagten sie, berichtet Klee, dass sie in der Pflege arbeiten oder im Restaurant. Oder – den Fall gebe es mindestens genauso oft, sagt ein Insider – die Familien seien gleich die Drahtzieher hinter dem Geschäft und lebten auskömmlich davon.

„Bezahlter Sex hat viel mit Illusion zu tun“

„Viele der Kolleginnen mieten für die kurze Zeit auch keine Wohnung an, sondern leben in einem Zimmer neben dem Bordell, das keine Heimeligkeit und Wohnatmosphäre bietet“, sagt Klee. Sie kennt den speziellen Fall aus dem Sauerland nicht, sie weiß nicht, wer Opfer und wer Täter ist. Vielleicht ist das manchmal auch nicht so leicht zu erkennen.

Sie hat schon gesehen, wie Kolleginnen Kunden abgezockt haben. „Andererseits muss man klar festhalten: Die Männer geben ihr Geld in der Regel freiwillig.“ Aber auch Heirat und Familiengründung habe sie schon erlebt. „Ich habe lang genug im Bordell gearbeitet, um zu wissen, dass die Grenzen in dem Verhältnis zwischen Kunde und Sexarbeiterin manchmal fließend sind“, sagt sie. „Bezahlter Sex hat viel mit Illusion zu tun.“