Lüdenscheid/Hagen. Mit einem vereinfachten Verfahren soll die Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid schnell neu gebaut werden. Aber eine Klage könnte das Projekt stoppen.
An der maroden und deswegen seit mehr als einem Jahr gesperrten Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid ist Baurecht auf den Weg gebracht. Die Entscheidung des Fernstraßenbundesamt wurde zuletzt als Meilenstein gefeiert. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisiert aber, dass der Beschluss ohne Planfeststellungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfung nicht rechtssicher sei. Droht dem Projekt eine Klage? Wird da zu hoch gepokert? Der Jurist Dr. Stefan Kracht, Experte für öffentliches Recht und Baurecht an der Fernuniversität Hagen, klärt auf.
Was bedeutet der Neubau der Brücke ohne vorheriges Planfeststellungsverfahren?
Ein gewisses rechtliches Risiko. Denn: Wer als Anwohner vom neuen Bauwerk negative Auswirkungen für sich befürchtet, der könnte gegen den Neubau klagen. Kommt es zu einem Verfahren, kann das Projekt um Jahre zurückgeworfen werden. Das wäre nach abgeschlossenem Planfeststellungsverfahren mit öffentlicher Beteiligung anders, weil die Einwendungen der Anwohner bereits im Verwaltungsverfahren berücksichtigt und gegebenenfalls ausgeräumt werden könnten.
Warum ist es überhaupt möglich, eine fast 500 Meter lange Brücke, die einige Meter breiter sein wird als die alte und später mal über sechs statt fünf Spuren verfügen soll, ohne Planfeststellungsverfahren zu bauen?
Zugegeben, das klingt erstmal erstaunlich, wenn man weiß, dass man in Deutschland sofort Theater hat, wenn die Firsthöhe des eigenen Hauses beim Bau einen halben Meter höher gerät. Das ist dann baurechtswidrig. Das Bundesfernstraßengesetz, das hier betroffen ist, legt im Unterschied dazu fest, dass eine Planfeststellung nur dann nötig ist, wenn beim Neubau eine Änderung vorgenommen wird.
Das ist die A45-Talbrücke Rahmede
Die Verbreiterung einer Brücke ist nicht per se eine Änderung?
Nein. Die negativen Auswirkungen des neuen Bauwerks auf Umwelt und Bürger gehen nach Einschätzung des Fernstraßenbundesamtes nicht über die des bisherigen Bauwerks hinaus. Die Trasse wird unverändert bleiben, anders als zum Beispiel bei der Siegtalbrücke, die um 20 Meter versetzt wird. Und: Die neue Brücke wird sinnvoller entwässert sowie nach den aktuellsten Schallschutzbestimmungen gebaut. Das dürfte sogar geringere Belastungen für Umwelt und Anwohner bedeuten.
Und was ist mit der sechsten Spur?
Die sechste Spur, für die Platz geschaffen wird, wird ja erst zu einem späteren Zeitpunkt freigegeben. Bevor das geschieht, wird es aber auch laut Fernstraßenbundesamt ein Planfeststellungsverfahren zu dieser Nutzung geben, weil davon auszugehen ist, dass das mehr Verkehr, mehr Lärm und mehr Schmutz bedeutet. Die reine Verbreiterung einer Brücke ohne Änderung der Anzahl der Fahrspuren kann auch den Verkehrsbedürfnissen beziehungsweise der Sicherheit dienen. Der sichere Betrieb ist der Zweck einer Brücke. Damit könnte man es auch als Instandsetzungsmaßnahme einordnen.
Ein juristischer Trick?
Eine Feinheit. Aber genau an der Stelle liegt die rechtliche Unsicherheit: Änderung oder Instandsetzung? Das ist die Frage, die ein Gericht abschließend klären müsste, wenn es eine Klage gäbe. Die bisherige Rechtsprechung ist aber eindeutig instandsetzungsfreundlich. Das heißt: Der Ersatzneubau einer Brücke kann unter diesem Aspekt rechtlich mitunter fast genauso betrachtet werden, wie eine neue Teerdecke.
Ist das rechtliches Harakiri, was die Autobahn GmbH da macht?
Ich bin gern behördenkritisch, aber in diesem Fall sage ich: Nein, ist es nicht. Der Ablauf ist ganz vernünftig bislang. Der Neubau kann ohne Planfeststellungsverfahren zügig begonnen werden, danach erst wird über die sechste Spur entschieden. Und die Gefahr einer Klage sehe ich bei der Rahmedetalbrücke als eher gering an, obwohl man es natürlich nicht genau wissen kann.
Warum?
Es können ja nur die Anwohner klagen, die konkret betroffen sind, sowie Umweltverbände, die, stark vereinfacht, die Rechte „der Natur“ vertreten sollen. Viele Anwohner unterhalb der Brücke haben Verträge mit der Autobahn GmbH über die teilweise Nutzung ihrer Grundstücke geschlossen, womit sie sozusagen dem Projekt vertraglich zustimmen. Die, die keine Einigung mit der Autobahn GmbH erzielt haben, dürften auch aus Gründen des sozialen Miteinanders kein Interesse haben, das Projekt vor ihrer Haustür zu verzögern.
Was heißt das?
Sagen wir so: Selbst der BUND, der eigentlich auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung pochte, wird nach eigener Aussage nicht klagen. Dafür gibt es ja einen Grund. Und der könnte sein, dass es vielen, vielen Menschen ein dringendes Anliegen ist, diese Brücke so schnell wie möglich zu bauen, damit der Verkehr wieder fließen kann – und zwar nicht mitten durch Lüdenscheid.
<<< HINTERGRUND >>>
Der Bund für Umwelt und Naturschutz in NRW (BUND) hält das Vorgehen ohne Planfeststellungsverfahren weiterhin für einen Fehler. „Wir interpretieren die Gesetzeslage so, dass es sich nicht um das gleiche Bauwerk handelt, da es verbreitert und für sechs Spuren ausgelegt wird“, sagt Verkehrsreferent Stephan Baur. Es habe einen Grund, warum es im deutschen Baurecht so etwas wie ein Planfeststellungsverfahren gebe. „Der Clou daran ist, dass alle Unterlagen – einem roten Faden folgend – gesammelt und bei nur einer, nämlich der genehmigenden Behörde eingereicht werden. Zudem werden Träger öffentlicher Belange und die Bürger einbezogen“, sagt Baur und moniert die fehlende Rechtssicherheit. Der BUND wird aber keine Klage einreichen. „Zwar wurden noch nicht alle unsere Belange bislang aufgenommen, aber das Thema Umweltschutz wurde im Dialog gemeinsam schnell abgearbeitet.“