Berlin Lüdenscheid. Ein Jahr ist schon die marode A-45-Brücke bei Lüdenscheid gesperrt: Verkehrsminister Volker Wissing weist im Exklusiv-Interview Vorwürfe zurück.
Vorwürfe, es gehe alles nicht schnell genug beim Neubau der kaputten A-45-Brücke, lässt Bundesverkehrsminister Volker Wissing abprallen. Wir haben mit ihm das einzige Interview geführt, dass der FDP-Politiker zum Jahrestag der Autobahnsperrung gibt.
Wird der Ersatzneubau der Rahmedetalbrücke mit dem maximal möglichen Tempo vorangetrieben?
Ja, das wird er. Wir gehen die wichtigsten Schritte parallel: Planung, Vorbereitung der Sprengung, Ausschreibung für die neue Brücke. Unser Ziel ist es, die Region schnellstmöglich durch den Neubau zu entlasten. Daran arbeiten wir mit vollem Einsatz.
Aber dass Sie den von Ihnen angekündigten Sprengungs-Termin im Dezember nicht halten können, hat Sie schon gewurmt, oder?
Der Zeitpunkt der Sprengung hat keinerlei Auswirkung auf die Fertigstellung des Gesamtprojekts. Man muss bedenken: Hier geht es um ein Unikat. Jede Brücke ist einzigartig. Im Rahmedetal befindet sich zum Beispiel ein Galvanikbetrieb in unmittelbarer Nähe, was zu ganz anderen Herausforderungen führt als bei anderen Brücken.
Bürger und Wirtschaft hätten gerne einen Zeitplan, also eine Perspektive.
Das kann ich gut verstehen. Aber einen Termin für die Fertigstellung der neuen Brücke kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand nennen. Ich versichere Ihnen: Alles wird unternommen, damit wir so schnell wie möglich fertig werden.
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Sie sagen: Es geht schnell. Die Region sagt: Es geht langsam. Wie wollen Sie diesen Konflikt lösen?
Indem wir transparent kommunizieren. Diejenigen, die diese Brücke planen und bauen, verfügen über einen enormen Erfahrungsschatz. Sie sind mit solchen Herausforderungen ihr gesamtes berufliches Leben konfrontiert. Auf der anderen Seite steht die Bevölkerung, die unter der Situation leidet. Da hilft nur: reden und informieren. Deswegen habe ich den Bürgerbeauftragten eingesetzt. Gleichwohl müssen wir hier jeden Tag gigantische Probleme lösen. 4000 Kubikmeter Oberboden müssen an Nord- und Südhang abgetragen und zwischengelagert werden, Baustraßen müssen im Hang errichtet werden, die Hänge müssen wiederum mit Fangzäunen gesichert werden. Für das Fallbett müssen 60.000 Kubikmeter Erde bewegt werden, Entwässerungsleitungen müssen verlegt werden, wir müssen 55 mit Erde gefüllte Seecontainer als Schutzwall aufstellen. Insgesamt müssen hier 85.000 Tonnen Erde angeliefert und aufgeschüttet werden, nur um die Sprengung vorzubereiten.
Also sind Sie mit dem Tempo zufrieden?
Es kommt darauf an, dass jede denkbare Beschleunigungsmaßnahme umgesetzt wird. Wenn jemand eine Idee hat, wie 85.000 Tonnen Erde schneller bewegt werden können, dann her damit. Ich freue mich über jeden Vorschlag – und wenn er technisch und rechtlich umsetzbar ist, dann machen wir das.
Ist der Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung ein guter Vorschlag?
Nur wenn er rechtssicher ist. Wenn wir auf Umweltverträglichkeitsprüfungen verzichten, darf nicht das Risiko bestehen, dass wir damit vor Gericht landen und das Gesamtverfahren um die Dauer des Prozesses verlängert wird.
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Der Verzicht ist also kein guter Vorschlag?
Wir planen die schnellste Variante und prüfen permanent, ob wir damit rechtlich auf der sicheren Seite sind. So mancher fordert mich auf, die Rechtsvorschriften doch einfach zu umgehen. Aber dass am Ende nach zeitaufwendigen Verfahren die Richter entscheiden, kann doch nicht die Lösung sein. Ich will ganz klar sagen: Die Verantwortung für den Zustand dieser Brücke trage ich in keiner Weise. Dieser Ersatzneubau hätte niemals so lange verzögert werden dürfen. Deswegen bügele ich jetzt die Fehler anderer Leute aus. Zu verantworten haben diese Situation diejenigen, die entschieden haben, dass diese Brücke nicht dringend saniert werden muss.
Sie meinen die damalige Landesregierung von NRW?
Die hatte die Verantwortung.
Und damit den ehemaligen Verkehrsminister Hendrik Wüst?
Wer das damals konkret entschieden hat, weiß ich nicht. Fest steht, dass man diese Brücke schon früher sanieren wollte, wofür es viele gute Gründe gab. Schon damals war doch klar, dass es keine alternative Route geben würde, falls die Autobahn gesperrt werden müsste. Trotzdem wurde der Neubau zurückgestellt. Die Phase bis Ende 2021 wäre selbstverständlich eine wertvolle Zeit gewesen, um einen Ersatz zu errichten. Diese wertvollen Jahre fehlen jetzt.
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Sie sind FDP-Politiker und setzen sich für den Bürokratieabbau ein. Kann die A 45 ein Prototyp für die Beschleunigung von Infrastrukturmaßnahmen werden?
Wir sind auf einem guten Weg und machen Tempo, etwa mit einer funktionalen Ausschreibung, die demjenigen den Zuschlag gibt, der unter anderem die kürzeste Bauzeit garantiert. Die Industrie hat gesagt, sie schafft das in zwei Jahren, was toll wäre. Gegenwärtig planen wir zudem ein Genehmigungsbeschleunigungsgesetz. Die Vorgängerregierung hat zwar die Regelung geschaffen, dass Ersatzneubauten keiner Genehmigung bedürfen, aber nur, wenn kein Fahrstreifen hinzugefügt wird und das Bauwerk auch nicht erheblich baulich umgestaltet wird. Niemand baut im Jahr 2022 eine Brücke in Form und Gestalt einer Brücke aus den 60er Jahren. Die Rahmedetalbrücke war damals für eine ganz andere Verkehrssituation ausgelegt. Wenn ein Brückenbauwerk erneuert wird, dann sollte es schon jetzt den zukünftigen Verkehrsanforderungen genügen. Insofern passt diese Regelung nicht zur Realität. Wir beabsichtigen, das mit dem neuen Gesetz rechtssicher so zu verankern, dass bei Ersatzneubauten Abweichungen in bestimmtem Maße erlaubt sind.
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Kommt das für die A 45 nicht zu spät?
Nein, das glaube ich nicht. Das Gesetz schafft mehr Rechtssicherheit, auch schon für sämtliche noch anstehende Maßnahmen entlang der A 45. Für den Neubau der Talbrücke Rahmede werden alle Register gezogen, um eine maximale Beschleunigung zu erreichen.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz sagt, ein vierspuriger Ausbau der A 45 sei völlig ausreichend. Das habe eine Verkehrszählung ergeben.
Wir planen Infrastruktur auf der Grundlage wissenschaftlicher Verkehrsprognosen. Daher geben wir regelmäßig Verkehrsgutachten in Auftrag, um zu erheben, wie sich Verkehre entwickeln. Aktuelle Zählungen geben den Ist-Zustand wider und sagen nichts darüber aus, was in fünf oder in zehn Jahren sein wird. Im Augenblick bewegen wir in Deutschland etwa 3,7 Milliarden Tonnen Güter pro Jahr auf der Straße, und die Tendenz ist deutlich steigend. Es macht doch keinen Sinn, dass wir jetzt eine Autobahn bauen, von der wir schon heute wissen, dass sie den zukünftigen Belastungen nicht standhalten kann. Der gesetzliche Auftrag des Deutschen Bundestages, die A 45 auf insgesamt sechs Fahrstreifen auszubauen, soll daher zügig umgesetzt werden.
Egal, ob der Neubau nun drei, vier oder fünf Jahre dauern wird: Die Region braucht Unterstützung, um diese Durststrecke zu überstehen. Ein breites Bündnis gesellschaftlicher Gruppen aus der Region hat deshalb vor kurzem einen Maßnahmen- und Forderungskatalog erstellt. Unterstützen Sie die Vorschläge?
Ich bin sehr dankbar für diese Liste. Denn sie macht Mut, gibt Hoffnung und ist Ausdruck einer starken Zivilgesellschaft vor Ort. Der Katalog enthält eine ganze Reihe von Dingen, die wir schon im Blick haben. Beispielsweise den Ausbau des Radwegenetzes, dafür stehen im Haushalt 2022 in verschiedenen Programmen mehr als 750 Millionen Euro bereit, allein im Finanzhilfe-Sonderprogramm Stadt und Land für das Land NRW rund 78 Millionen Euro, insgesamt bis 2023 ca. 150 Millionen Euro. Zudem sieht der Haushaltsentwurf 2023 eine weitere Verstetigung bis 2028 vor. Davon kann auch diese Region profitieren. Die Dinge liegen aber auch in der Zuständigkeit des Landes NRW.
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Vor einem Jahr haben Sie gesagt: Am Geld wird das Projekt nicht scheitern. Gilt das noch?
Das versichere ich. Nichts wird sich aus finanziellen Gründen verzögern. Wir haben genügend Geld im Bundeshaushalt, um dieses Projekt zu finanzieren.
Es gibt Unternehmer, die mit einem Lkw-Konvoi nach Berlin ihrem Protest Ausdruck verleihen wollen.
Aber was soll das bringen? Damit wird die Brücke keinen Tag schneller gebaut. Wer sich konstruktiv für dieses wichtige Projekt einsetzen möchte, sollte konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Situation machen.
Die Stadt Lüdenscheid hat einen solchen Vorschlag: Fahrverbote für den Schwerlastverkehr, der die Region nicht als Ziel hat.
Wir unternehmen gemeinsam mit der Stadt und dem Land alles, um die Belastung der Anwohner so gering wie möglich zu halten. Und hier gibt es auch gute Nachrichten: Mit Unterstützung des Bundes haben sich Stadt und Land auf ein Fahrverbot für den Lkw-Transitverkehr und eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h geeinigt. Wir sind als Bund startbereit, die dafür erforderliche Hinweisbeschilderung auch auf der Autobahn zügig umzusetzen. Nun gilt es noch, den Märkischen Kreis für diese Vorschläge für eine baldige Entlastung der Menschen in Lüdenscheid zu gewinnen. Dessen Zustimmung für die verkehrslenkenden Maßnahmen steht derzeit leider noch aus.