Hagen. Jörg A. Hoppe hat das Selbsthilfenetzwerk yeswecan!cer für Krebs-Betroffene gegründet. Warum Information lebenswichtig ist, schildert er in Hagen
Was am schlimmsten war im Krankenhaus? Jörg A. Hoppe muss nicht lange überlegen. Das eklige Essen, das er nicht mal an seinen Hund verfüttern würde. Die Berge von Tabletten, die den Hals nicht runtergehen wollten. „Aber das Allerschlimmste war die Bürokratie, das stundenlange Warten, und wenn ich dann endlich dran war, hieß es meistens: Herr Hoppe, es geht sofort los, wir suchen nur noch Ihre Akte.“ Jörg A. Hoppe war ein erfolgreicher Medienunternehmer, Grimmepreisträger, als die Diagnose kam. Leukämie. Weil er die Selbsthilfegruppen, die er suchte, nicht fand, weder im Telefonbuch noch im Internet, hat er selbst eine gegründet, das digitale Selbsthilfenetzwerk „yeswecan!cer“ mit der entsprechenden App. Darüber hat Hoppe am Donnerstag auf Einladung der WESTFALENPOST im Gespräch mit Chefredakteur Dr. Jost Lübben berichtet, im Emil-Schumacher-Museum in Hagen.
Mit dem Notarzt in die Klinik
Die Gäste sind hochkonzentriert. Patienten sind gekommen, Angehörige, aber auch Ärzte – und Freunde von Hoppe, der in Hagen aufgewachsen ist, und mit denen er in den 80er Jahren in der legendären Musikszene der Stadt unterwegs war. Manchmal hört man ein leises Kichern, mal ein Bravo-Ruf, denn viele von Hoppes Erfahrungen teilen die Besucher. Manchmal auch Zwischenbeifall, denn was der Mann sagt, das wünschen sich Patienten und Angehörige gleichermaßen. „Wir haben in Deutschland das teuerste Gesundheitswesen in Europa, 13 Prozent geben wir für Gesundheit aus. Aber wir navigieren noch mit Falk-Plänen, nicht mit GPS.“
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Hoppe kämpft für die digitale Patientenakte, er hat eine Petition gestartet, er findet es unmöglich, dass es in Deutschland keinen schnellen Zugriff für Ärzte auf überlebenswichtige Patienten-Informationen gibt. „Als ich mit allen Therapien durch war, kam ein Magendurchbruch als Folgeschaden. Ich musste mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden. Meine Frau hat dann dafür gesorgt, dass ich in die Klinik kam, wo ich auch behandelt worden war, wo man die Vorgeschichte kannte und wusste, dass mein Immunsystem nach der Chemo noch unten war. In Finnland, Dänemark Holland, Israel hätte sie einfach meine digitale Gesundheitskarte vorlegen können, und da wären alle Informationen enthalten gewesen.“
Prominente Unterstützer
Hoppe streitet energisch für sein Thema, und er hat prominente Unterstützer an seiner Seite, Joko Winterscheidt, Tim Mälzer, Julia Becker, die Verlegerin der Funke-Mediengruppe, zu der auch die Westfalenpost gehört. Diese Prominenten treten nicht für yeswecan!cer ein, weil Hoppe sie einmal entdeckt und gefördert hat oder weil sie mit ihm befreundet sind, sondern weil sie persönlich, in der Familie, im Freundeskreis selbst erleben, wovon er spricht. „Finnland, Dänemark, Holland, die machen das mit der elektronischen Gesundheitskarte seit 20 Jahren. Das wird bei uns nie kommen, weil wir 18 Datenschutzbehörden haben, jedes Bundesland hat eine eigene, und darüber hinaus gibt es noch zwei übergeordnete. Wenn man die Daten nutzen würde, die jetzt bereits erhoben werden, könnte man Mithilfe von künstlicher Intelligenz zum Beispiel die Früherkennung optimieren. Aber die Daten werden nicht genutzt. Ich bin dafür, dass jeder die elektronische Patientenakte bekommt, aber auch jeder sagen kann, das möchte ich nicht.“
Die Angst, die Ungewissheit, die Hilflosigkeit, das kennen alle, die als Patienten oder Angehörige mit der Krankheit Krebs konfrontiert werden. Krebs ist immer noch ein Tabu. Die Yes!App setzt Solidarität und Information gegen die Angst. Jörg A. Hoppe: „Es gibt ein Leben mit dem Krebs und es gibt ein Leben nach dem Krebs. Krebs ist heute kein Todesurteil mehr.“ Hoppe will ermöglichen, dass die Betroffenen für alle Bereiche Hilfe finden, also auch bei kosmetischen Fragen oder oder Depressionen. „Als ich mit der Krankheit schon fast durch war, begannen die ganzen Kollateralschäden. Und dann hast Du plötzlich was an der Haut, hast aber keinen Ansprechpartner. So bin ich auf die Idee mit der Selbsthilfegruppe gekommen. Ich wollte etwas, das so einfach funktioniert wie Tinder und das lebensbejahend ist.“
Betroffene sind nicht allein
Das Netzwerk soll zeigen, dass die Betroffenen nicht allein sind. „Warum ich? Wieso habe ich die Arschkarte? Was habe ich falsch gemacht? Hätte ich früher mit dem Rauchen aufhören sollen? Das sind so die Dinge, die einem nach der Diagnose durch den Kopf gehen.“ Über die Yes!App stehen immer Ansprechpartner bereit, eine Gruppe von Experten unterstützt yeswecan!cer als medizinischer Beirat.
Dass Wissen ein Schlüssel zum Überleben ist, weiß auch Carmen Brinker, Bildungsreferentin für katholische Krankenhäuser/Senioreneinrichtungen bei der Katholischen Erwachsenen- und Familienbildung in Südwestfalen. Sie ist aus Lennestadt zur Veranstaltung gekommen. „Krebs braucht Bildung“, ergänzt sie die Aussagen von Jörg A. Hoppe. Die Yes!App findet sie hilfreich, einfach zu bedienen.
Jörg A. Hoppe beobachtet, dass die Menschen ganz unterschiedlich mit der Krankheit umgehen. „75 Prozent der Nutzer unserer App sind Frauen. Männer sterben ja lieber an Prostatakrebs, als zur Vorsorge zu gehen.“ Das Leben nach dem Krebs ist hart erkämpft. Es will bewusst gelebt werden. Hoppe malt und bereitet gerade eine Ausstellung in Seoul vor, zu der er eingeladen wurde. „Manchmal ist das Leben nach dem Krebs es auch das bessere. Krebs ist auch Empowerment. Wenn ich das überstanden habe, was soll ich dann noch fürchten.“