Meschede. Wechsel beim Sauerland-Tourismus: Jürgen Fischbach ist Nachfolger von Geschäftsführer Thomas Weber. Ein Gespräch über das „neue Sauerland“.
Thomas Weber (64) hat auf einen großen Abschiedsbahnhof verzichtet. „Das passt nicht in diese für das Gastgewerbe so schwierige Zeit“, sagt der gebürtige Münsteraner und längst überzeugte Sauerländer. Zuletzt war er 13 Jahre Geschäftsführer des Sauerland-Tourismus. Ende September ist er nach 49 Jahren in Gastronomie und Tourismus in den Ruhestand gegangen. Für das Interview zusammen mit seinem Nachfolger Dr. Jürgen Fischbach holt er den Sauerland-Schriftzug aus Holz aus seiner Tasche und stellt ihn auf den Tisch. Den Ort des Treffens hat er bewusst gewählt: die Abtei-Gaststätte in Meschede. „Die Benediktiner haben bereits vor 1000 Jahren gastliche Kultur vorgelebt.“
Sie sind begeisterter Wanderer. Können Sie sich schon ohne den Blick des Touristikers im Sauerland bewegen?
Thomas Weber: Ich übe noch. Lerne loszulassen. Es gelingt mir sogar manchmal, ohne Notizbuch im Kopf unterwegs zu sein. Vorher fühlte ich mich für jedes schiefe Hinweisschild zuständig. Das soll aber nicht heißen, dass ich verkrampft durchs Berufsleben gegangen bin. Meine Arbeit hat mir immer viel Freude bereitet.
Ihr Nachfolger war zuvor Ihr Stellvertreter. Ein nahtloser Übergang, oder?
Weber: Ich habe mich riesig über die Entscheidung für Jürgen Fischbach gefreut. Für die Menschen im Hotel- und Gastgewerbe, die wegen der Pandemie ein Schleudertrauma hinter sich haben, ist es derzeit vor allem wichtig, mit einem bewährten Team zusammenarbeiten zu können, das für Zuverlässigkeit und Kontinuität steht.
Als sie im Januar 2009 Geschäftsführer des Sauerland-Tourismus wurden, hieß es in dieser Zeitung, dass die Erwartungen an Sie groß sind und die Vorbehalte tief sitzen. Gemeint war ein Kirchturmdenken. Spricht das Sauerland jetzt mit einer Stimme?
Weber: Das kann man mit Fug und Recht sagen. Wir haben nicht nur im Sauerland-Tourismus eine Art Evolution hinter uns, sie gilt für ganz Südwestfalen. Im Jahr 2000 hatte das Marktforschungsinstitut GIM dem Sauerland attestiert, dass es an Emanzipation und Selbstbewusstsein fehle. Wir haben immer gesagt, dass die eigene Bevölkerung die wichtigste Zielgruppe ist. Wenn sie sich mit ihrer Region identifiziert und sie als Lebens- und Arbeitsraum ins Herz schließt, dann kommen auch Gäste, die sich davon anstecken lassen. Heute muss sich das Sauerland gegenüber anderen Mittelgebirgs-Tourismusregionen wie dem Schwarzwald nicht mehr verstecken. Das Sauerland ist tief im Bewusstsein größerer Bevölkerungskreise verankert.
Jürgen Fischbach: Schauen Sie sich nur die Sauerland-Aufkleber an den Auto-Hecks an. Wir haben bereits weit über eine Million Aufkleber verteilt, die meisten davon kleben an Pkw mit HSK-, OE- und MK-Nummernschildern. Die größte Leistung in der Vergangenheit ist aber der Perspektivwechsel. Es herrscht ein neues, modernes Heimatgefühl. Es hat sich in Bezug auf Gasthäuser und Küche ein eigener regionaler Stil entwickelt: authentisch, innovativ, echt und ehrlich.
Weber: Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass in früheren Zeiten so mancher Autobesitzer gesagt hat, dass er keinen Aufkleber an seinem guten Wagen haben will. Heute sind Vertrauen und Selbstbewusstsein da, zu dieser Region zu stehen. Und es ist ein Gemeinschaftsgefühl bei den Bürgern, in der Wirtschaft, bei den vielen Ehrenamtlichen entwickelt worden. Man weiß: Im Land der tausend Berge zählt jeder Hügel, soll heißen: die gesamte Fläche.
Die Pandemie hat das Gastgewerbe auf eine harte Probe gestellt. Wie ist die aktuelle Situation?
Fischbach: Nach wie vor angespannt. Ein Teil der Rückgänge konnte aufgefangen werden, weil die Nachfrage im Sommer recht gut war. Die Buchungen für die Weihnachtsferien allerdings sind noch bei weitem nicht wie in Vor-Pandemie-Zeiten. Die Gäste fragen kurzfristiger an und orientieren sich mehr am Wetter-Trend. Für die Gastgeber wird es immer schwieriger zu planen. Hinzu kommt die Energiekrise. Wie soll man da die Preise für Übernachtung und Verpflegung kalkulieren? Wir können nur an die Gäste appellieren, der Region trotz notwendiger Preissteigerungen treu zu bleiben. Die Alternative wäre: Gasthäuser über die Wintermonate geschlossen zu halten. Das wollen wir doch alle nicht.
Der Inlandstourismus boomt. Wird das Sauerland wegen seiner Bodenständigkeit nicht sogar gestärkt aus der Pandemie hervorgehen?
Fischbach: Wir haben in der Pandemie eine Menge neue Gäste für die Region begeistern können, weil deren Bedürfnis nach Sicherheit und Natur bei uns gestillt wurde. Wer einmal hier war, kommt wieder. Das gilt auch für jüngere Gäste, die über Blogger und Influencer auf das Sauerland aufmerksam werden. Zudem haben wir die Situation im Gastgewerbe, dass die allermeisten Betriebe im Familienbesitz sind. Auch wenn es an die Reserven ging, haben viele durch Beharrlichkeit geschafft, einigermaßen gut durch die Pandemie zu kommen. Mehr noch: Viele Betriebe haben weiter in die Qualität investiert. Wir sind für den aktuellen Tourismus-Trend „näher, kürzer, nachhaltiger und wertiger“ gut aufgestellt.
Würde dem Sauerland ein zweites Fünf-Sterne-Hotel – wie in Winterberg-Hoheleye geplant – gut zu Gesicht stehen?
Fischbach: Ein solches Projekt bringt die Region weiter. Qualität wird definitiv mehr nachgefragt.
Weber: Ich weiß noch, als wir uns vom Sauerland-Tourismus mit Architekten zusammengesetzt haben. Da haben sich einige gefragt: „Spinnen die jetzt?“ Letztlich haben wir heute ein Gastgewerbe, das sich inhaltlich verjüngt hat – zwischen Traditionsgasthof und viel Zeitgeist made in Sauerland. Durch unser hartnäckiges „Sauerlandisieren“ haben wir einen eigenen Stil gefunden, eine sehr gute, moderne, aber nicht modische gastliche Kultur. Wir müssen im Sauerland nicht den Alpen-Look kopieren.
Neben der aktuellen Energiekrise und steigenden Lebensmittelpreise bleibt das Dauerthema Arbeitskräftemangel in der Branche. Wie kann gegengesteuert werden?
Fischbach: Das ist keine Sache kurzfristiger Lösungen. Die Branche hat in NRW 30 Prozent der Festangestellten verloren. Viele Betriebe müssen darauf mit mehr Schließungstagen und verkürzten Öffnungszeiten reagieren. Einiges an Dienstleistung kann durch Digitalisierung ausgeglichen werden. Online-Bestellsysteme sind immer noch besser als wegen Personalmangels geschlossene Gasthöfe. Aber die Arbeit am Gast kann ich nicht digitalisieren. Es muss ein Mix werden, aber da setze ich auf unsere innovativen Betriebe. Wenn wir es schaffen, das neue, moderne Sauerland zu transportieren, können für potenzielle Arbeitskräfte für einen Wechsel begeistern.
Müssen wir uns darauf einstellen, in Restaurants an jedem Tisch ein I-Pad vorzufinden, an dem Speisen und Getränke bestellt werden?
Weber: Es wird immer die Frage bleiben, bis wohin die Gäste mitgehen, wenn der Service weniger wird. Zudem: Die Sauerländerinnen und Sauerländer stehen für das individuelle Eingehen auf jeden ihrer Besucher.
Das Sauerland steht auch für Wintersport. Wie wollen Sie den Auswirkungen des Klimawandels begegnen?
Fischbach: Absehbar wird das Sauerland noch schneesicher sein. Aber wir sind längst als inspirierende Outdoorregion anerkannt, nicht nur wegen des Rothaarsteigs und des Ruhrtalradwegs. Wir erleben doch schon, dass fast ganzjährig Rad gefahren werden kann. Und wir werden den durch E-Bikes ausgelösten Rad-Boom mit attraktiven touristischen Angeboten begegnen. Übrigens wird Lippstadt 2023 Mitglied im Sauerland-Tourismus. Der Kreis Soest ist auf dem Weg zur Radreiseregion.
Was ist mit dem Gesundheitstourismus?
Fischbach: Das Sauerland mit seinen Outdoor-Angeboten ist geradezu prädestiniert als Gesund-Region. Alle Freizeitaktivitäten an der frischen Luft kommen der Gesundheit zugute.
Weber: Ich sage immer: Das Sauerland senkt den Blutdruck.