Hagen. Im März erleidet Fabian Krefting (39) einen Herzinfarkt. Dass er die Geburt seines zweiten Kindes erleben wird, verdankt er einer jungen Frau.
Dort, wo er im März leblos lag, tickt auch ein halbes Jahr danach noch eine Uhr an der Wand. Wie ein Hinweis darauf, dass die Lebenszeit endlich ist, dass sie viel schneller vorbei sein kann als vorstellbar. 39 ist doch kein Alter, da fängt doch manches Leben erst an: Fabian Kreftings Tochter Johanna ist fünf und kommt bald in die Schule, seine Partnerin ist schwanger. Geburtstermin: September.
+++ Eine Mama auf der Suche nach etwas, das ihren Tod überdauert +++
„Ich werde den Tag der Geburt erleben – und noch viele weitere“, sagt Fabian Krefting und lächelt. Es ist erst ein paar Wochen her, da hätte er bei dem Satz zu weinen begonnen, sagt er. Dass er noch da ist, verdankt er einer jungen Frau, die im richtigen Augenblick das Richtige zu tun wusste. Die Frau, die er gerade zum ersten Mal trifft: Jennifer Kopejkina (21). Sie umarmen einander. Er groß und kräftig, sie klein und zierlich. Sie setzen sich in ein Lokal, bestellen Pfefferminz-Ingwer-Tee.
Erinnerung an den Tag des Infarkts ist verblasst
Ein Donnerstag ist das damals, das weiß er noch. 31. März 2022. Wie könnte er oder seine Familie das Datum vergessen? Fabian Krefting kommt von der Arbeit in Mettmann, wo er Projektleiter bei einem Automobilzulieferer ist, fährt direkt weiter ins Fitnessstudio in der Hagener Innenstadt. Dann verblasst die Erinnerung. War er noch an den Geräten vorher? Oder ist er direkt in die Sauna? „Es ist alles weg“, sagt er. Kein Schmerz vorher, keine Enge in der Brust, kein Vorbote des Unheils. In der Umkleidekabine, direkt unter der Uhr, sackt er zusammen, liegt reglos auf den kalten Fliesen.
Die Zeit läuft.
„Die Ärzte haben gesagt: Wenn ich nicht so gut erstversorgt worden wäre, dann wäre es das gewesen“, sagt er. Deswegen sollen alle seine Geschichte hören, das ist ihm wichtig. Jeder soll von seiner Dankbarkeit wissen. Und davon, wie wichtig es für jedermann ist, im Ernstfall vorbereitet zu sein.
Hinterwandinfarkt: Kein Puls, keine Vitalfunktionen
Ein Mitarbeiter findet Fabian in der Umkleide und rennt zur Anmeldung zurück, ruft den Notarzt. Jennifer Kopejkina ist zum Trainieren da – und schaltet am schnellsten. Sie schickt alle, die in der Umkleide sind und nicht wissen, was zu tun ist, hinaus. Sie denkt, der Mann sei kollabiert und komme jeden Augenblick wieder zu sich. Doch sie irrt.
Fabian Kreftings Körper krampft.
Das Gesicht läuft blau an.
Kein Puls.
Keine Vitalfunktionen.
Manche dieser Details hört er jetzt gerade zum ersten Mal aus dem Munde seiner Retterin. Was er von damals weiß, hat er zumeist aus dem medizinischen Einsatzbericht. Darin steht, was passiert ist: Eine Arterie an der Herzhinterwand war durch Ablagerungen verschlossen worden. Möglich, dass der Saunagang mit diesem Prozess zu tun hat, weil sich die Gefäße in der Hitze erst weiten und dann wieder zusammenziehen.
Hinterwandinfarkt.
Kammerflimmern.
Lebensgefahr.
Schon nach drei Minuten ohne Sauerstoff sind schwere Schäden möglich
„Ich habe an gar nichts gedacht, ich habe einfach gemacht, wie ein Roboter“, sagt die Retterin. Herzdruckmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung. Zu einer Zeit, in der die Menschen Masken tragen, um sich nicht mit dem Coronavirus zu infizieren, bringt sie ihre Lippen auf seine, pumpt ihm so dringend benötigten Sauerstoff in den Körper.
+++ Prüfen, rufen, drücken: Basiswissen zur Wiederbelebung +++
„Wenn ein Mensch drei Minuten lang ohne Sauerstoff bleibt, dann sind schwere Schäden sehr wahrscheinlich“, sagt Jennifer Kopejkina. Im Mai 2021 hat sie noch freiwillig an einem Erste-Hilfe-Kurs teilgenommen. „Man muss immer damit rechnen, dass so etwas passieren kann. Ich wollte vorbereitet sein.“
„Hier zählte jemand nur auf mich“
Fabian Kreftings Glück ist auch, dass sich seine Retterin für Medizin interessiert. Sie strebt ein Studium an. Im vergangenen Oktober hat sie eine Ausbildung zur Krankenschwester an der Uni-Klinik Bochum angefangen. „Reanimation hat man fast wöchentlich“, sagt sie. „Aber in der Klinik hat man Unterstützung und ist nicht allein dieser Situation ausgesetzt. Das ist ein völlig anderer Stress. Hier zählte jemand nur auf mich.“ Derjenige sitzt ihr nun gegenüber und weiß fast nicht, wie man einem Menschen danken soll, der einem das Leben gerettet hat. „Wenn sie nicht gewesen wäre, wäre ich nicht mehr hier.“
+++ „Ihr könnt nichts falsch machen, außer ihr tut nichts!“
Nach knapp fünf Minuten ist der Rettungswagen da. Der Defibrillator holt Fabian Krefting zurück ins Leben. Ein Leben, das er nun bewusster lebt. Und in dem er sich fragt, welche Risikofaktoren er hatte. Er war ja beschwerdefrei. Vielleicht war es der Stress oder das Rauchen. Das erhöhte Gewicht. Vielleicht auch von allem ein bisschen. Er achtet jetzt mehr auf sich.
Aus dem Vorraum der Pathologie geholt
Die Geburt seines Sohnes ist für den kommenden Samstag errechnet. Dann spielt sein Lieblingsfußballklub Borussia Dortmund im großen Derby gegen den FC Schalke. „Wir nennen den Jungen nach dem ersten Dortmunder Torschützen“, sagt er. Ein Spaß. Der BVB stand einmal kurz vor der Insolvenz, fast 20 Jahre her. Das Bild, das Klub-Chef Hans-Joachim Watzke damals entwarf, übernimmt Fabian Krefting. „Ich war auch im Vorraum der Pathologie.“ Kein Spaß.
Vier Tage liegt er in der Klinik Lüdenscheid im Koma und erholt sich danach nur langsam. „Es fühlte sich an als hätte mir jemand die Systeme heruntergefahren und die Festplatte gelöscht“, sagt er. Die ärztliche Diagnose lautet: Delir, ein Zustand der Verwirrtheit und Wahrnehmungseinschränkung. „Alles Matsche“, sagt er, wenn er die Kurzform wählt. In dem Zustand rief er seine Lebensretterin erstmals an. „Da ist es mir heiß und kalt geworden“, sagt sie. Hoffnung, Zuversicht, Sorge – alles mischt sich zusammen.
Jeder kann etwas tun: Und zwar Menschen die Hand reichen
Dieses halbe Jahr bis zu ihrem ersten Treffen dauert es, bis er sich einigermaßen wieder fühlt wie der alte. Die vierwöchige Reha hilft ihm dabei. Arbeiten wird er bald wieder können. Die psychologische Verarbeitung dauert an, aber klar ist, dass er anders auf die Welt und seine Bewohner blickt. „Oft schauen die Menschen nur auf sich und ihren Vorteil“, sagt er. „Dabei ist doch nichts dabei, sich umzuschauen und jemandem eine helfende Hand zu reichen, der sie braucht - und wenn der noch so fremd ist.“
Manchmal vergisst er die Geschehnisse. Wenn es aber ruhig um ihn wird, dann kommt er ins Grübeln. „Ich denke an meine Partnerin, an Johanna und den Kleinen. Irgendwann wäre er alt genug gewesen, um zu erfahren, dass er seinen Vater nie kennengelernt hat...“
<<< ERSTE HILFE: WAS IST ZU TUN? >>>
Laut Stiftung Gesundheitswissen werden in Deutschland nur in 40 Prozent der Fälle von Laien Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen. Dabei zählt jede Sekunde. Was ist zu tun?
1. Gefahren für sich und andere ausschließen (zum Beispiel beim Verkehrsunfall).
2. Notrufnummer 112 wählen.
3. Erste Hilfe leisten: Ist das Opfer bewusstlos, atmet aber normal, bringen Sie es in die stabile Seitenlage. Bei keiner oder unregelmäßiger Atmung beginnen Sie mit Wiederbelebung: Herzdruckmassage und Beatmung im Wechsel (30 x Drücken im Rhythmus des Lieds „Stayin’ Alive“, 2 x Beatmen).