Hagen. Aufwühlend: Am fünften Jahrestag ihres eigenen Herzstillstands muss Petra S. sehen, wie Fußballer Eriksen zusammenbricht. Sie hat eine Botschaft.

Als das Herz von Dänemarks Fußball-Star Christian Eriksen auf dem Spielfeld aufhört zu schlagen, als halb Europa schockiert die Bilder aus Kopenhagen verfolgt, da telefoniert Petra S. mit ihrer Schwester Annette. Ausgerechnet jetzt, ausgerechnet an diesem Tag. Und ausgerechnet mit ihrer Lebensretterin. „Schalt weg, schau da nicht hin“, sagt Annette (57), aber Petra (55), die Fußball-Fachfrau, die früher selbst lange gekickt hat, hat natürlich am zweiten Tag der EM den Fernseher laufen.

Und so wühlt das Schicksal von Christian Eriksen all das auf, was vor exakt fünf Jahren geschehen ist, am 12. Juni 2016, als das Herz von Petra aufgehört hatte zu schlagen. Einfach so. Mitten in der Nacht. Und dann am fünften Jahrestag der Herzstillstand von Kopenhagen. „Ich kann das alles noch gar nicht richtig einordnen“, sagt Petra. „Das braucht noch ein bisschen.“

Petra, die im Ennepe-Ruhr-Kreis lebt, und Annette, die in Wiesbaden wohnt, heißen in Wirklichkeit anders, genauso wie ihre Freundin Ute aus Dortmund. Zu persönlich ist die Geschichte, als dass sie ihre Namen in der Öffentlichkeit lesen wollen. Zu aufrüttelnd ist das Geschehene noch heute für sie. Aber es ist ihnen wichtig, eine Botschaft loszuwerden, gerade jetzt, wo der Fall Christian Eriksen so bewegt. Der Fußballer hat nur überleben können, weil sofort medizinische Hilfe bereit stand, weil eine Herz-Massage erfolgte, weil ein Defibrillator zum Einsatz kam. Und Petra, weil ihre Schwester Annette und Freundin Ute sofort reagiert haben.

„Wenn ihr in der Situation seid: Tut was! Macht die Herz-Massage!“

„Wäre ich nicht mit den beiden unterwegs gewesen, ich würde heute nicht mehr leben“, sagt Petra bewegt. Und Annette ruft alle Menschen auf: „Wenn ihr in der Situation seid: Tut was! Macht die Herz-Massage! Ihr könnt nichts falsch machen, außer, dass ihr nichts tut!“

Der 12. Juni 2016 ist noch jung, als das Unglück geschieht. Quasi als brutaler Endpunkt von wunderschönen Tagen. Petra, Annette und Ute sind zuvor ein paar Tage gewandert, haben Spaß gehabt. Noch eine Nacht wollen sie jetzt in der Wohnung von Annette in Wiesbaden übernachten, bevor es für Petra und Ute zurück nach NRW geht. Doch dann ertönt um 4 Uhr morgens dieser Aufschrei, der Annette und Ute aus dem Schlaf reißt. Er stammt von Petra, die auf dem Sofa schläft. Als letztes Aufbäumen ihres Körpers, bevor ihr Herz aufhört zu schlagen.

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Ein Schock für die beiden anderen Frauen, einer, der ihnen den Boden unter den Füßen wegzureißen droht. Und dennoch reagieren sie. Annette ist Apothekerin, macht alle zwei Jahre einen Ersthelfer-Kursus, in dem sie auch die Wiederbelebung lernt. In der Praxis anwenden musste sie ihr Wissen bislang noch nie. Und jetzt liegt ihre Schwester vor ihr. Leblos. „Ich habe einfach funktioniert“, sagt Annette. Sie legt die Hände auf den Brustkorb ihrer Schwester und drückt.

Ein schlimmer Moment, die leblose Schwester vom Sofa zu ziehen

Sie ruft Ute zu, sie soll die 112 wählen. Aber warum redet der Mann auf der Rettungs-Leitstelle so lange? Schließlich realisieren sie, dass er längst den Notarztwagen auf den Weg geschickt hat, dass er sie jetzt am Telefon bei der Wiederbelebung begleitet, immer wieder fragt. Petra liegt also auf dem Sofa? Sie muss runter auf den Boden, sagt der Mann. Auf einen härteren Untergrund, damit die Herz-Massage wirkt. „Das war ein schlimmer Moment, als wir den leblosen Körper meiner Schwester da runtergezogen haben“, erinnert sich Annette.

Doch sie funktioniert weiter, drückt beständig auf den Brustkorb ihrer Schwester. Auch dann noch, als das Rettungsteam, das Ute unten auf der Straße empfangen und nach oben gelotst hat, eintrifft. Die Experten bitten sie, erst einmal weiterzumachen, sie bereiten alle anderen Maßnahmen vor. Elf Minuten wird Annette am Ende das Herz ihrer Schwester massiert haben.

Einschneidende, existentielle elf Minuten, die Annette letztlich auch mit Hilfe einer Psychologin aufgearbeitet hat. Die sie aber nicht bereut, die sie jedem in einem ähnlichen Fall nur dringend empfiehlt. „Was würde ich heute sagen, wenn ich nichts getan hätte? Ich habe Petra bei der Herzmassage natürlich ziemlich zugesetzt. Aber was wäre denn die Alternative gewesen? Dass sie stirbt?“, sagt Annette, die obligatorische Erste-Hilfe-Kurse für alle für sinnvoll hielte. „Nur so wusste ich ja, was zu tun war.“

Im Traum entscheidet sich Petra für das Leben

Petra selbst hat von all dem nichts mitbekommen. Nichts von der Wiederbelebung. Nichts von dem künstlichen Koma, in das sie im Krankenhaus für einige Tage versetzt wurde. Nichts von den Sorgen von Annette und Ute, ob sie nicht doch bleibende Schäden erlitten hat. Auch an das Aufwachen auf der Intensivstation hat sie keine Erinnerungen. Die setzen erst wieder ein, als sie auf der Normalstation liegt. „Ich erinnere mich auch an den Traum, den ich hatte. Etwa am dritten oder vierten Tag auf der Normalstation. Alles war in einem bräunlichen Ton. Und da gab es zwei entgegen gesetzte Wege in einer Höhle, einer für den Tod und einer für das Leben. Und ich habe mich für das Leben entschieden.“

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Die ersten Wochen wacht sie immer morgens um 4 Uhr auf, zu der Zeit, als ihr Herz aufgehört hatte zu schlagen. Und ihre Schwester Annette, die sie gerettet hat, auch. Eine Erklärung dafür gibt es nicht, wie für vieles andere in diesem Zustand zwischen Leben und Tod. Nur soviel ist klar: Es war ein Herzinfarkt, der Petra kurzzeitig aus dem Leben gerissen hatte. Er hatte sich nicht angekündigt, kam – trotz einiger gesundheitlicher Vorbelastungen – völlig überraschend. Sie hat sich inzwischen von dem Infarkt erholt.

Petra ist vor allem dankbar. „Christian Eriksen hatte das Glück, dass ihm das im Stadion zugestoßen ist, als sofort Mediziner zur Seite standen. Und ich, dass Annette und Ute sofort reagiert haben“, sagt Petra. Doch sie fragt sich: „Wie viele müssen sterben, weil andere nicht schnell helfen? Ich hoffe, dass der Fall Christian Eriksen noch mehr Bewusstsein schafft.“