Arnsberg. Potenzial für mehr als 900 Windräder in Südwestfalen sieht eine Studie. Der grüne Umweltminister Oliver Krischer will sie aber nicht alle bauen.

Südwestfalen soll bei der Versorgung Nordrhein-Westfalens mit erneuerbarer Energie in Zukunft eine herausragende Rolle spielen. Vor allem dem Ausbau der Windkraft und der Geothermie fällt dabei eine besondere Bedeutung zu. „Unser Ziel ist es, die Vision eines klimaneutralen Südwestfalen in die Tat umzusetzen“, sagte Adrian Mork, Leiter der Stabstelle für Klimaschutz, Energie und Nachhaltigkeit der Bezirksregierung in Arnsberg, dieser Zeitung.

Am 28. September wird der Kongress „Energiewende vor Ort“ das Thema aufgreifen. Das hochkarätig besetzte Treffen an der Uni Witten/Herdecke soll eine Initialzündung für die Energiewende sein und mit allen beteiligten Interessensgruppen auch mögliche Konfliktfelder ansprechen. Organisiert wird es unter anderem von der Bezirksregierung, der Industrie- und Handelskammer Arnsberg und dem Bundesverband Smart City.

Energie, Öko, Essen: Viele Aufgaben für Südwestfalen

Insbesondere der ländliche Raum im Sauer- und Siegerland steht damit vor großen Herausforderungen. Er soll nicht nur Energielieferant sein, sondern auch die regionale Lebensmittelversorgung gewährleisten, einen klimastabilen Wald wiederaufbauen, die Biodiversität bewahren, die Erholungsfunktion für den Tourismus garantieren und Arbeitsplätze als drittgrößter Industriestandort Deutschlands sichern.

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NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) weist indes die Befürchtungen vor einer Überlastung der Region zurück. „Das sind doch auch enorme wirtschaftliche Chancen. Die schwarz-grüne Koalition legt Wert auf die Energieerzeugung mit Erneuerbaren, und der Ausbau von Windenergie und Photovoltaik wird natürlich nicht nur in Südwestfalen geschehen“, sagte er im Interview mit der WESTFALENPOST (siehe Ende dieses Artikels. „Niemand will in Südwestfalen 900 neue Windkraftanlagen aufstellen.“ Die Zahl stamme aus einer Potenzialstudie, sei also nur theoretisch.

„Südwestfalen hat die Energie für den Klimawandel“, sagte Adrian Mork gleichwohl. Er sieht auch Chancen für die in der Region verwurzelten Automobilzulieferer, die angesichts der Mobilitätswende ohnehin neue Geschäftsmodelle ins Auge fassen müssten. Diese könnten auch darin bestehen, Produkte für die Erzeugung regenerativer Energien herzustellen.

„Vor mehr als 50 Jahren ist der erste Mensch auf dem Mond gelandet. Den Mut, der diese Mission ermöglicht hat, wünsche ich mir jetzt hier“, sagt Stefan Slembrouck. Der Arnsberger ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Smart City, der sich die Förderung von Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der intelligenten Stadt der Zukunft auf die Fahnen verschrieben hat.

Darum geht es bei dem Kongress am 28. September

Worum geht es bei dem Kongress? Exakt darum geht es beim 1. Kongress über eine nachhaltige Zukunft im Regierungsbezirk Arnsberg am 28. September in der Uni Witten/Herdecke. Ausrichter ist die Bezirksregierung mit ihrer Stabsstelle Klimaschutz, Energie und Nachhaltigkeit, die von Adrian Mork geleitet wird. Der Schwerter denkt schon lange darüber nach, wie der Regierungsbezirk den „Weg zur grünen Null“ gestalten kann. Beim Kongress Ende des Monats, der vom Smart-City-Verband und der IHK Arnsberg unterstützt wird, sollen nun neue Impulse gesetzt und Interessen gebündelt werden.

Denn die Dringlichkeit einer Energiewende wird nicht mehr nur durch den Klimawandel bestimmt, sondern spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine auch von Fragen der Versorgungssicherheit – und den raketengleich steigenden Energiekosten.

Experte ist sich sicher: Geothermie zunehmend wichtiger

Mork glaubt beispielsweise, dass die Geothermie in Zukunft eine größere Rolle spielen sollte, auch weil Photovoltaik und Windenergie nicht grundlasttauglich sind. Experten der Fraunhofer-Gesellschaft zufolge kann ein Viertel des Wärmebedarfs in Deutschland mit dem Einsatz von bis zu 180 Grad heißem Thermalwasser gedeckt werden, das aus bis zu 5000 Metern Tiefe nach oben gepumpt wird. Aber die Bohrungen sind teuer, und die Angst, dass die Löcher Unheil anrichten können, ist weit verbreitet.

Deshalb ist die Geothermie ein gutes Beispiel für das, was der Kongress auch leisten soll: Transparenz, Information, die Menschen mitnehmen, wie es so schön heißt. „Die Bezirksregierung möchte Gestaltungskraft entwickeln“, sagt Mork. Und das nicht im Alleingang. Es sei auch an den Kommunen, sich Gedanken darüber zu machen, wie viel Energie sie in Zukunft verbrauchen werden und wo die herkommen soll.

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Auch Stefan Slembrouck betont den kooperativen Charakter des Kongresses. Er sitzt für die Grünen im Regionalrat und weiß, dass ein Projekt dieser Tragweite darunter leiden könnte, wenn es in eine parteipolitische Ecke geschoben würde. „Wir können nur erfolgreich sein, wenn alle mitmachen“, sagt er. Also Politiker, Unternehmer, Energiewirtschaft, Vertreter der Tourismusbranche, Landwirtschaft, Behörden – und die Bürgerinnen und Bürger sowieso.

Ex-Regierungspräsident Vogel: Handeln ist Pflicht

Hans-Josef Vogel, in der vergangenen Woche aus dem Amt geschiedener Regierungspräsident, ist CDU-Mitglied. Er hat zuletzt keine Gelegenheit ausgelassen, öffentlich auf die Notwendigkeit der Energiewende hinzuweisen. Der Klimawandel sei eigentlich Argument genug, sagt er. Nun seien aber der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Abhängigkeit von russischer Energie dazugekommen. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht festgestellt: Klimaschutz ist ein Verfassungsgebot. Heißt: Handeln ist Pflicht.

Vogels Nachfolger Heinrich Böckelühr (ebenfalls CDU) sitzt erst seit wenigen Tagen an der Spitze der Bezirksregierung, es heißt aber, er unterstütze den Kurs seines Vorgängers. Mork kennt seinen neuen Chef gut, beide haben zehn Jahre lang in Schwerte zusammengearbeitet, Böckelühr als Bürgermeister, Mork als Stadtplaner.

Spitzenpolitiker sind an dem Tag verhindert

Spitzenpolitiker aus NRW können am 28. September übrigens nicht teilnehmen, weil am selben Tag eine Landtagssitzung angesetzt ist. Das muss aber nicht schlecht sein: Blumige Reden sind schon reichlich zu diesem Thema gehalten worden; jetzt geht es ans konkrete Handeln. Deshalb werden in den Räumen der Uni Witten/Herdecke vor allem Experten sprechen, die der Praxis nahe stehen. Das Landesumweltministerium wird genauso vertreten sein wie die Industrie- und Handelskammer, Wissenschaftler, Bürgermeister, die Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz und die Bezirksregierung mit eigenen Experten. Heinrich Böckelühr übernimmt Begrüßung und Bilanz.

„Wir können jetzt nicht länger abwarten, sondern müssen in die Gestaltung gehen“, sagt der zuständige Stabsstellenleiter Adrian Mork. Die Energiewende dürfe nicht als Gefahr oder Belastung, sondern müsse als Chance für die Region erkannt werden. Mehr Unabhängigkeit, mehr Wertschöpfung, mehr Klimaschutz, das sei die Vision.

>> INTERVIEW: NRW-Umweltminister Krischer zur Windkraft in Südwestfalen

Man kann den Eindruck haben, dass Südwestfalen noch stärker NRW mit Energie beliefern soll. Laut Studie gibt es in Südwestfalen Potenzial für 900 neue Windräder. Die Grünen fordern auch den Ausbau der Geothermie und die Wasserkraft soll intensiver genutzt werden. Südwestfalen soll zudem landwirtschaftliche Produkte liefern und mit dem Wald das Klima schützen. Ist das nicht etwas viel?

Oliver Krischer (Grüne) ist  Umweltminister in Nordrhein-Westfalen.
Oliver Krischer (Grüne) ist Umweltminister in Nordrhein-Westfalen. © dpa | Oliver Berg

Oliver Krischer: Meines Erachtens schließt sich das alles nicht aus. Von Überforderung kann jedenfalls keine Rede sein. Das sind doch auch enorme wirtschaftliche Chancen. Die schwarz-grüne Koalition legt Wert auf die Energieerzeugung mit Erneuerbaren, und der Ausbau von Windenergie und Photovoltaik wird natürlich nicht nur in Südwestfalen geschehen. Ich habe mit Waldbauern geredet, die wegen der Dürrejahre und dem flächendeckenden Absterben der Fichtenbestände vor den Scherben ihrer Existenz stehen. Daher ermöglichen wir Windräder auf Kalamitätsflächen und geben diesen Bauern Perspektiven. Übrigens schließen sich Windenergie und Tourismus überhaupt nicht aus. Eine Region in Nordfriesland, die die mit Abstand größte Windenergiedichte in Deutschland hat, lag lange an der Spitze beim touristischen Zuwachs.

Es gibt aber in Südwestfalen viel Kritik an den Windrädern. Sorgt Sie das?

Niemand will in Südwestfalen 900 neue Windkraftanlagen aufstellen. Diese Zahl stammt aus einer Potenzialstudie, ist also nur theoretisch. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir 1000 neue Windkraftanlagen in ganz NRW aufstellen lassen. Im Vordergrund steht übrigens zunächst das Repowering von alten Anlagen.

Manche sagen, der Unterschied zwischen Geothermie und Fracking sei gar nicht so groß.

Das ist falsch. Bei Geothermie reden wir von einem geschlossenen Wasser-Kreislauf. Fracking ist technisch und in Bezug auf die Risiken für Natur und Umwelt etwas ganz anderes. mako