Hagen. Während Regeln gelockert werden, schlägt die Omikron-Welle voll beim Krankenhauspersonal zu. Ein Pfleger sagt: Kraftreserven gehen bald zu Ende.

In zwei Jahren Pandemie hat Markus Cimiotti schon einige Höhen und Tiefen mitgemacht. „Aber die Dynamik, die wir seit Tagen erleben, ist ohnegleichen“, sagt der Pflegedirektor am St. Marien-Krankenhaus Siegen. Die Personalausfälle durch Corona-Infektionen, durch die Betreuung von Angehörigen in Quarantäne oder Isolation machen die Dienstplanplangestaltung zu einer großen Wundertüte.

Markus Cimiotti ist Pflegedirektor im St. Marien-Krankenhaus Siegen.Marien Kliniken - St. Marien-Krankenhaus Siegen.
Markus Cimiotti ist Pflegedirektor im St. Marien-Krankenhaus Siegen.Marien Kliniken - St. Marien-Krankenhaus Siegen. © St. Marien-Krankenhaus

„Wir schauen nur noch von Tag zu Tag“, sagt Cimiotti. Wissend, dass bei jedem Routine-Schnelltest der Personalstamm weiter dezimiert werden kann. Er schätzt, dass derzeit allein in der Pflege fast 20 Prozent der Mitarbeitenden ausfallen.

Weiter Normalbetrieb

Das Marien-Krankenhaus hält dennoch die normale Patientenversorgung aufrecht. „Das geht aber nur durch größten Einsatz der Verbliebenen und durch Personalverschiebungen“, so Cimiotti, „Mitarbeiter müssen auch schon einmal in fachfremden Bereichen aushelfen.“

Hinzu kommen die in vielen Kliniken sprunghaft gestiegenen Infektionszahlen unter Patienten auf den Normalstationen und die dadurch bedingten Isolierungen. „Allein das ständige An- und Ablegen von Schutzausrüstung bedeutet einen deutlichen Mehraufwand.“

Themen Testen und Quarantäne neu bewerten

Nachdenklich schaut Cimiotti in die Zukunft: „Wenn draußen bald alles geöffnet wird, müssen die Themen Testen und Quarantäne im Gesundheitsbereich neu bewertet werden. Wir dürfen es nicht so weit kommen lassen, dass Stationen wegen Personalengpässen schließen müssen oder elektive Eingriffe nicht angeboten werden können.“

Prof. Dr. Christian Tanislav, Ärztlicher Direktor des Diakonie Klinikums in Siegen
Prof. Dr. Christian Tanislav, Ärztlicher Direktor des Diakonie Klinikums in Siegen © Diakonie Klinikum

Prof. Dr. Christian Tanislav macht sich in dieser Hinsicht ebenfalls Sorgen. „Es ist momentan eine Grenze erreicht. Ich frage mich schon, wie es weitergehen soll, wenn noch mehr Mitarbeiter ausfallen“, so der Ärztliche Direktor des Diakonie Klinikums Jung-Stilling in Siegen.

Täglich neu organisieren

Gut zehn Prozent der 1600 Mitarbeitenden an zwei Standorten (neben Siegen das Krankenhaus Bethesda Freudenberg) seien derzeit wegen einer Infektion bzw. der Betreuung von Angehörigen arbeitsunfähig, so der Mediziner. „Wir sind noch in der Lage, den Versorgungsauftrag zu erfüllen“, sagt er, „aber es wird zunehmend schwieriger. Wir müssen täglich neu organisieren.“

Aber nicht nur im Kreis Siegen-Wittgenstein (Sieben-Tage-Inzidenz: 1831,6), sondern auch in Hagen (1058) trifft Omikron das Pflegepersonal. „Die Quote ist unverändert hoch“, sagt Maren Esser, Sprecherin des Agaplesion Allgemeinen Krankenhauses. „Und die meisten Kolleginnen und Kollegen haben Symptome, sprich: sie sind wirklich erkrankt, nicht nur infiziert.“

Notfallversorgung ohne Einschränkung

Dies zu kompensieren, sei herausfordernd, so Esser. „Aber wir können genauso sagen: Die medizinische Versorgung ist gesichert. Die Menschen müssen keine Sorgen haben.“

Ähnlich ist es im Hochsauerlandkreis (1865,4): Eine hohe Belastung durch Personalausfälle meldet das Klinikum Hochsauerland, aber bis auf einzelne Ausnahmen seien alle Stationen im regulären Betrieb. Die Notfallversorgung laufe ohne Einschränkung, alle OPs fänden wie geplant statt, weil Personal zwischen den Standorten verschoben werde.

Mit Bauchschmerzen in den Tag

Der Hagener Krankenpfleger Andreas Braselmann hat als Vorstandsmitglied des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe Nordwest tiefe Einblicke in die Branche. „Ich kenne Pflegedienstleitungen in Krankenhäusern“, sagt er, „die nur noch mit Bauchschmerzen in den Arbeitstag starten, weil sie nicht wissen, wie viele Kolleginnen und Kollegen ihnen zur Verfügung stehen.“

Mitarbeitende aus „Flex Pools“

Kliniken griffen daher bei angespannter Lage zunehmend auf Mitarbeitende aus „Flex Pools“ zurück, die Abteilungen zugeordnet werden, in denen sie am dringendsten gebraucht werden. Braselmann sieht dieses Konzept kritisch: „Es ist nicht nur die notwendige Eingewöhnung. Auf den Stationen fehlt so eine gewisse Konstante.“

Wie geht es weiter? Für das verbleibende Personal in den Kliniken, werde der Alltag immer schwerer, so Braselmann: „Bei den Belastungen gehen auch die größten Kraftreserven irgendwann zu Ende.“

Hintergrund:

„Zum Glück noch keine Personalengpässe“

Nach Angaben von Sprecherin Sarah Scholz-Klapp gibt es bei der Katholischen Hospitalgesellschaft Südwestfalen mit den Standorten Olpe (St. Martinus-Hospital) und Lennestadt (St. Josefs-Hospital) „zum Glück noch keine Personalengpässe“.

Beim Kreisklinikum Siegen, so Sprecherin Larissa Tasci, registriere man zwar, dass die Zahl der Mitarbeitenden steige, die corona-bedingt nicht zur Arbeit gehen können. „Aber bislang fangen wir das mit unserem Personalausfallkonzept gut auf.“