Hagen. Unmut durch Test-Chaos an Grundschulen: Wie ohne PCR-Tests nach positiven Klassen-Proben infizierte Schüler womöglich unerkannt bleiben.

Die Angriffe in Richtung NRW-Schulministerium waren deutlich. Da war von einem Test-Chaos in den Grundschulen die Rede, nachdem Düsseldorf in der vergangenen Woche – wie Kritiker behaupten über Nacht – das Testkonzept verändert hatte. Weil die Labore überlastet sind, werden jetzt nach einer positiven Lolli-Probe in einer Klasse nicht mehr die PCR-Einzeltests untersucht. Dabei geben diese Aufschluss darüber, welches Kind in der positiv getesteten Klasse infiziert ist. Stattdessen muss die gesamte Klasse. Tag für Tag in der Schule Antigen-Schnelltests machen. Unter ihnen auch das nicht identifizierte Kind. Die Kritik ist groß.

Warten auf PCR-Lolli-Test-Ergebnis als abendliches Ritual

Der bange Blick aufs Handy gehörte schon zum abendlichen Ritual. „Es war zermürbend, darauf zu warten“, sagt Claas Matrose (38), „ob noch eine SMS von der Schule mit der Information einer positiven Poolprobe kommt.“ Seine beiden Töchter gehen in die 1. und 3. Klasse der Werner Richard Schule in Herdecke. Jetzt bekam der Familienvater genau diese Handy-Nachricht: Der PCR-Lolli-Test in der Klasse der „Kleinen“ war positiv.

+++ Lesen Sie auch: Zweifel am Sinn der Lolli-Tests nehmen zu +++

Dass trotzdem die gesamte Klasse weiter in der Schule erscheinen muss und vor Unterrichtsbeginn im Klassenraum Schnelltests anstehen, kann Matrose nicht verstehen: „Abgesehen davon, dass die Treffsicherheit dieser Selbsttests weitaus geringer ist als bei einem PCR-Test, bedeutet die neue Verordnung, dass wissentlich Schüler und Lehrer in einem geschlossenen Raum über mehrere Stunden mit einem erkrankten Kind in Kontakt sind und Gefahr laufen, eine Infektion mit nach Hause zu nehmen. Das ist unverantwortlich!“

„Irrsinnig ungutes Gefühl“: Ungewissheit wer genau infiziert ist

Der Vater aus Herdecke spricht von einem „irrsinnig unguten Gefühl“, wenn seine sechs und neun Jahre alten Mädchen morgens das Haus verlassen: „Man weiß, dass in der Klasse jemand infiziert ist, aber man kann ihn nicht herausfiltern.“

Claas Matrose und seine Ehefrau haben vollständigen Impfschutz, die Töchter sind einmal gepikst: „Wir sind bislang mit der Corona-Politik zufrieden, standen aus Überzeugung hinter allen Maßnahmen. Wenn wir wollen, dass das Virus irgendwann verschwindet, müssen wir mit Einschränkungen leben.“

Er könne verstehen, dass man bislang­ alles darangesetzt habe, die Schulen offen zu halten. Damit Schüler soziale Kontakte zu Gleichaltrigen aufrechterhalten können, damit Kinder berufstätiger Eltern betreut sind. „Doch mit der neuen Test-Regelung stuft man diese Aspekte­ höher ein als die Gesundheit der Kinder und ihrer Angehörigen.“

Für Matrose ist die Sache klar: „Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem die ganze Klasse zu Hause bleiben muss, wenn ein positiver Pool-Test vorliegt.“ Mit allen möglichen Konsequenzen wie Quarantäne und Rückkehr ins Homeoffice.

Gefahr die Infektion durch Schnelltest nicht zu erkennen

Mike Ochmann ist Grundschullehrer. Gegenüber dieser Zeitung äußert er sich als Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) im Kreis Olpe. „Nachdem es jetzt nach einem positiven Pool-Test keine PCR-Einzeltestungen mehr gibt“, sagt er, „ist die Gefahr real, dass eine Infektion eines Schülers durch Antigen-Schnelltests in der Schule nicht erkannt wird.“ Diese sei eine große emotionale Belastung für die Kinder: „Sie gehen zum Unterricht mit dem Wissen: einer von uns ist infiziert, aber wir wissen nicht wer.“

Die Lehrer müssten diese Emotionen auffangen, sagt Ochmann, „eine weitere schwierige Aufgabe neben ihrer zugedachten Rolle als Testpersonal ohne entsprechende Sicherheitsausrüstung.“

Die kurzfristige Änderung der Testpraxis hat Ochmann zufolge unter Lehrkräften für heftige Kritik gesorgt: „Es herrscht Fassungslosigkeit darüber, dass es die Landesregierung auch nach zwei Jahren Pandemie nicht schafft, die Schulleitungen und die Kollegien über Änderungen vor der Öffentlichkeit zu informieren.“

Seit Jahren gebe es Personalmangel an Grundschulen, ergänzt der Pädagoge. Da sei der Umgang mit Lehrkräften in der Pandemie alles andere als eine gute Werbung für den Beruf. Beispiel: Durch das Ende der PCR-Einzeltestungen könne es sein, dass Infizierte am Unterricht teilnehmen: „Man nimmt billigend in Kauf, dass sie Mitschüler und Lehrkräfte anstecken. Irgendwann stehen die Schulen ohne Personal da. Die Verantwortung über den weiteren Betrieb wird auf die Schulleitungen abgewälzt.“

Pool-Test-Ergebnisse nachts um 0.45 Uhr

Das bekommt auch Petra Köhler zu spüren. Bis um 0.45 Uhr wartete die Leiterin der St. Nikolaus-Grundschule in Balve zuletzt auf zwei Pool-Test-Ergebnisse: „Ich bin schon lange wach und gucke auf mein Handy. Aber irgendwann muss auch ich schlafen.“ Dass mehr als die Hälfte der Testergebnisse sehr viel später eintrudelten, als zur vorgesehenen Uhrzeit um 20.30 Uhr, sei die Regel. Früh morgens müsse sie dann entscheiden: „Baue ich provisorisch eine Teststraße auf dem Schulhof auf oder ist das nicht nötig?“

Von langen Wartezeiten auf die Pooltest-Ergebnisse kann auch Antje Krebs, Leiterin der Grundschule in Breckerfeld, ein Lied singen. Mehr noch: „Manchmal werden diese auch gar nicht mehr übermittelt.“ Die Pandemie ist keine einfache Zeit für Schulleiter. Zu den ohnehin gestiegenen Arbeitszeiten, erzählt Antje Krebs, geselle sich jetzt auch noch zunehmend die Vertretung von Lehrkräften in Quarantäne: „Das kommt auf den Lehrermangel, den wir eh schon haben, oben drauf.“ Krebs sagt: „Ich denke, es gibt viele Schulleitungen, die überlegen: Soll ich den Job überhaupt noch machen?“

Ab wie viel positiv getesteten Kindern Klassen-Quarantäne?

Die aktuelle Lage werfe viele Fragen auf. Zum Beispiel sei keine feste Zahl definiert, ab wie viel positiv getesteten Kindern eine Klasse in Quarantäne gehen müsse – eine Entscheidung, die dann die Schulkonferenz treffen müsse.

Was Antje Krebs zudem beschäftigt: der Gesundheitsschutz: „Wir sind ja kein Testpersonal“, sagt sie. Die „Sicherheitsausrüstung“ beschränke sich auf die Maske „und im günstigsten Fall auf ein paar Handschuhe.“ Die neu gelieferten Schnelltests seien zudem „China-Ware“: nicht besonders sensitiv und für die Kinder schwer handhabbar: „Die bekommen die Röhrchen nicht auf“ – selbst als Erwachsene tue man sich dabei schwer.

Mathias Wagener, Leiter der Grundschule Engelbertstraße in Schwelm, kennt auch die Zweifach-Verschraubschlüsse: „Wir dürfen die Kinder ja auch nur begleiten, dürfen ihnen nicht sagen: ,mach den Stab mal ein bisschen tiefer in die Nase’“ – zu groß die Gefahr, dass sich ein Kind verletze und man die Lehrkräfte dafür verantwortlich mache.