Hagen. Amtsgerichtszahlen: Deshalb kehren auch in den urkatholischen Gebieten des Sauerlandes viele fassungslose Gläubige der Kirche den Rücken.

Dechant Georg Schröder aus Schmallenberg blickt besorgt auf die nächsten Monate. In diesen Tagen fragen sogar lebenslang treue Katholiken mitten im Herzen des Sauerlandes, wo sie aus der katholischen Kirche austreten können. „Derzeit lese ich das Münchener Missbrauchsgutachten“, sagt der Leiter des Pastoralverbundes Schmallenberg-Eslohe. „Das hat jetzt eine weitere Austrittswelle aus der Kirche zur Folge. Ich verstehe nicht, wie die so handeln konnten, ich verstehe es einfach nicht.“

Pfarrer Schröder schreibt jedem, der seine Gemeinde verlässt, einen persönlichen Brief. Es kommen viele Briefe zusammen. Waren die Massenaustritte in früheren Jahren eher ein Großstadt-Problem, so ist der Zorn über die Haltung der Kirche im Missbrauchs-Skandal inzwischen auch in den urkatholischen Gebieten des Kurkölnischen Sauerlandes angekommen.

Amtsgerichte beobachten ansteigende Zahlen

Vor allem die zuständigen Amtsgerichte bekommen das zu spüren: „Von Donnerstag bis Samstag, seit Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den ehemaligen Papst, ist das Postfach übergelaufen“, sagt Charlotte Merz, Direktorin des Amtsgerichts Arnsberg dieser Zeitung. Im Januar seien es bislang schon 89 Austritte gewesen, seit vergangener Woche sogar 25 pro Tag. Ein Anstieg lasse sich schon länger beobachten.

Auch am Amtsgericht Hagen stehen die Telefone nur noch selten still: „Im Januar 2022 gab es bisher 82 Kirchenaustritte“, so Richter Christian Dembowski. „Sonst liegen wir durchschnittlich bei 50 Austritten pro Monat.“ Paul Philipp Weidlich spricht für das Amtsgericht Meschede ebenfalls von einem erhöhten Aufkommen von Austrittsanträgen, denen das Personal Herr werden müsse. Er stellt einen Vergleich an: „Im Januar 2021 wurden acht Termine zur Abgabe einer Austrittserklärung vergeben. Für Januar 2022 wurden 75 und für Februar 2022 bereits jetzt 35 Termine vergeben.“ Eine immense Steigerung.

Das gleiche Bild noch etwas tiefer im Sauerland. Hans-Werner Schwens, Direktor des Amtsgerichts Brilon, rechnet vor: „Der nächste freie Termin bei der zuständigen Mitarbeiterin ist erst wieder für März zu bekommen.“ Bis vergangenen Freitag, 21. Januar, habe es in diesem Jahr bereits 29 Kirchenaustritte gegeben – und seit diesem Montag seien 39 hinzugekommen.

Verlängerte Wartezeiten für Termine

Mit verlängerten Wartezeiten auf Kirchenaustritts-Termine muss man aktuell auch in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe rechnen: „In Bad Berleburg war es so, dass bislang die Wartezeit für einen Termin bei höchstens zwei Wochen lag“, sagt Richterin Sabrina Picur vom für beide Kreise zuständigen Landgericht Siegen. Jetzt sei die Wartezeit ebenfalls bis Anfang März angesetzt, „also etwas über einen Monat.“ Am Amtsgericht im protestantischen Siegen sind im Januar bereits 80 Protestanten und 69 Katholiken ausgetreten. Im katholischen und kleineren Olpe gab es im Januar bislang 62 Austritte.


Zweifel an Institution Kirche

Kinderkirche, Kommunionvorbereitung, Kommunionhelferin: Dorit Hols ist engagierte Katholikin von Kindesbeinen an. Engagiert und sehr nachdenklich. „Da sind Gedanken, ob man austritt und in die evangelische Kirche geht“, sagt die Sozialarbeiterin aus Schwelm, die Verständnis für jeden hat, der der Kirche den Rücken kehrt.

Dabei ist der Glaube in ihrem Leben fest verwurzelt, am Glauben zweifelt sie auch keine Sekunde. Aber an der Institution Kirche. „Ich bin so unfassbar enttäuscht, wie mit Wahrheit und Lüge umgegangen wird“, sagt die 54-Jährige.

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„Es macht mich traurig und wütend zu sehen, was Kindern und allen anderen Opfern widerfahren ist. Solange die Strukturen so sind, wird sich nichts ändern. Ich vermisse eine Aufbruchstimmung, die wäre so bitter nötig. Da scheint gar kein Licht irgendwo zu sein, damit die Kirche aus dem Tief herausfindet.“

Sie geht noch weiter: „Vielleicht muss die Kirche sich erst komplett heruntergewirtschaftet haben, um eine neue Gestalt anzunehmen?“ Ihr ehrenamtliches Engagement stellt sie durchaus in Frage, fragt sich, ob sie sich unter diesen Bedingungen einbringen möchte. „Das Gefühl ist nicht gut.“ Dass es bald besser wird, glaubt sie nicht. „Vielleicht ist das erst die Spitze des Eisbergs. Was kommt da noch alles?“