Schmallenberg. Mehr als 400.000 Christen sind 2020 ausgetreten. Wie konnte es soweit kommen? Und warum Dechant Georg Schröder manchmal selbst austreten will.
Die Austrittsbewegung erreicht die katholischen Kernlande. Jetzt geben Katholiken zwischen 40 und 50 Jahren im Sauerland ihr Gesangbuch zurück. Das trifft die Kirche hart, denn diese Gruppe zahlt viele Kirchensteuern. Dass derzeit die Treuesten der Treuen gehen, kann Pfarrer Georg Schröder (62) jedoch nicht bestätigen. Schröder ist Leiter des Pastoralverbundes Schmallenberg-Eslohe, einem großen Zusammenschluss von 28 Orten mit 25.000 Katholiken.
Gibt es mehr Kirchenaustritte im Raum Schmallenberg?
Pfarrer Schröder: Auf dem Schreibtisch liegt gerade der 102. Austritt für 2021. Im gesamten Jahr 2020 hatten wir 101 Austritte, das war die höchste Zahl, die wir je verzeichneten. Wir registrieren jetzt also im Juli schon so viele Austritte wie im ganzen letzten Jahr. Das ist der Stand. Die Zahl geht rapide nach oben. Die kleinste Gemeinde bei uns hat 150 Katholiken. Es ist praktisch eine kleine Gemeinde, die jährlich wegbricht. Das hat natürlich finanzielle Auswirkungen für die Diözese, es werden viele Kirchensteuern fehlen.
Ich möchte diese Christen nicht abschreiben
Wie reagieren Sie auf Austritte?
Alle, die hier leben, erhalten von mir einen Brief. Den habe ich etwas anders formuliert als den offiziellen Brief der Bischofskonferenz. Ich möchte die Gründe wissen. Und ich schließe diese Briefe damit, dass alle Ausgetretenen nach wie vor willkommen sind. Ich möchte diese Christen nicht einfach abschreiben. Einige melden sich daraufhin auch, und dann erfahre ich die Motive.
Und was sind die Gründe?
Wir baden vor Ort die allgemeine Situation aus. Die Menschen treten wegen der strittigen Themen aus, Sexualmoral, Missbrauch, Woelki. Es ist eher selten, dass wir vor Ort Schwierigkeiten haben. Aber die allgemeine Situation in der katholischen Kirche bricht über uns herein.
Stimmt es, dass jetzt die Engagierten gehen, die den Laden am Laufen halten?
Das kann ich nicht bestätigen, das ist bei uns nur vereinzelt der Fall. Bei den Engagierten sehe ich keine Austrittswelle. Die Ausgetretenen sagen mir: Ich glaube nach wie vor, ich habe nicht meinen Glauben verloren, aber ich habe das Vertrauen in die Institution Kirche verloren. Bei vielen Menschen, die austreten, gibt es schon eine Entfernung vom konkreten Kirchenleben im Alltag. Und dann liest man wieder über Missbrauch und das ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das sind keine Leute, die mit dem lieben Gott nichts mehr zu tun haben wollen, die wollen mit dem Verein nichts mehr zu tun haben.
Die Gemeinde vor Ort muss einladend sein
Können Sie als Pfarrer vor Ort gegensteuern - oder muss sich das Bodenpersonal an absolute Machtlosigkeit gewöhnen?
Gute Frage. Die Gemeinde vor Ort muss einladend sein und muss zeigen, dass Kirche vor Ort vielfältige Angebote machen kann. Wir müssen zeigen, dass Kirche in der Welt ist, Teil der Gesellschaft ist, dass man eine Offenheit hat. Es braucht auch niederschwellige Angebote wie den Spirituellen Sommer. Wichtig ist ebenfalls, dass ich mit meinen Überzeugungen nicht hinter dem Berg halte und in Predigten Stellung beziehe zur Frauenordination und zum Segen für Alle. Die Leute sehen: Der denkt anders als Woelki. Das passt nicht allen, aber das Gros der Engagierten ist dankbar, dass sie von mir hören, dass ich anders denke. Man muss die Themen aufgreifen, auch mit Diskussionsangeboten. Für mich ist die Maßgabe das Seelsorgliche. Egal welche Einstellung ich habe, ich muss vernünftig mit den Menschen umgehen. Und wenn die Menschen ein Sakrament haben möchten, muss ich damit umgehen und das nicht als meine Macht missbrauchen.
Möchten Sie manchmal selbst austreten?
Ich könnte auch 100 Gründe nennen, auszutreten, aber ich brauche eine Gemeinschaft, ich möchte Teil einer Gemeinschaft sein. Und weil ich Hoffnung habe, bin ich progressiv, denn ich möchte nach vorne schauen. Wer wird heute noch Priester? Wenn die Kirche sich nicht öffnet, ist die Gefahr groß, dass wir nur noch solche kriegen, die das als Flucht begreifen.