Hagen. Katrin Helling-Plahr (FDP) arbeitet im Bundestag führend an dem Impfpflicht-Gesetz mit. Warum die Hagenerin das tut –trotz Beleidigungen.

Am Mittwoch wird sie im Bundestag sprechen bei der „Orientierungsdebatte“ zur Corona-Impfpflicht: Die Hagener FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr hat aber schon zuvor am entscheidenden Impuls für diese Debatte mitgewirkt. Mit sechs anderen Abgeordneten der Ampel-Fraktionen – darunter Dirk Wiese (SPD) aus Brilon und der für Hagen zuständige Janosch Dahmen (Grüne) – hat sie eine Initiative für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahre angestoßen, die nach der Bundestagsdebatte in einem konkreten Gesetzesentwurf münden soll.

Fällt es Ihnen als Liberale schwer, federführend an einer Impfpflicht zu arbeiten?

Katrin Helling-Plahr Jeder Grundrechtseingriff fällt schwer. Und solch einer ist die Impfpflicht ganz sicherlich. Aber wenn man den Blick ein wenig öffnet, dann muss einem auffallen, dass es auch jetzt schon längst Grundrechtseingriffe gibt, die beschlossen werden mussten, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Was ist mit dem schwer an Krebs erkrankten Menschen, der auf eine schnelle und sichere Operation warten muss? Was ist mit Schülerinnen und Schülern, die Einschränkungen beim Unterricht in Kauf nehmen mussten? Und was mit Gastronomen und anderen Gewerbetreibenden, die ihrer Tätigkeit nicht nachgehen konnten?

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Und welcher Grundrechtseingriff wiegt für Sie schwerer?

Wenn wir keine höhere Impfquote bekommen, dann laufen wir Gefahr, dass wir im nächsten Herbst oder Winter wieder vor der Situation stehen, dass es Einschränkungen geben muss und wir in eine Endlosspirale geraten. Und vor diesem Hintergrund halte ich eine allgemeine Impfpflicht für das mildere Mittel und damit auch für verhältnismäßig.

Haben Sie nicht Bedenken, dass die Omikron-Welle die Pandemie beendet und die Impfpflicht damit überflüssig werden könnte?

In dieser Pandemie ist ja die große Schwierigkeit, dass wir nichts mit Sicherheit voraussagen können. Es gibt keine Gewissheiten. Aber Wissenschaftler können zum Beispiel nicht ausschließen, dass es neue, gefährlichere Varianten, etwa durch eine Kombination von Delta und Omikron geben könnte. Wenn wir uns darauf vorbereiten wollen, dann müssen wir das jetzt tun. Das ist wichtig zu betonen: Mit der Impfpflicht bekämpfen wir nicht die aktuelle Welle, sondern wir treffen Vorsorge für den nächsten Herbst und Winter.

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Eine Impfpflicht auf Vorrat?

Wir müssen vorbereitet sein. Aber für mich ist auch klar: Wenn sich herausstellt, dass sich die Umstände bessern und eine Impfpflicht nicht mehr notwendig ist, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, dann wird sie auch wieder ausgesetzt.

Wie waren bislang die Reaktionen auf Ihren Vorstoß?

Sehr unterschiedlich. Ich habe viel Zuspruch erhalten. Aber mir haben auch viele Menschen geschrieben, die da nicht mitgehen können. Bis hin zu Beleidigungen, die teilweise Strafanzeigen zur Folge haben werden.

Die Impfpflicht ist insbesondere in Ihrer Partei umstritten. Wolfgang Kubicki arbeitet federführend an einer Initiative, die die Pflicht ablehnt. Wie war die Reaktion innerhalb der Partei?

Ich habe bislang die Erfahrung gemacht, dass auf allen Ebenen sehr respektvoll diskutiert wird. Die Position von Wolfgang Kubicki respektiere ich ja ebenfalls. Aus meinem eigenen Kreisverband in Hagen habe ich aber auch Rückmeldungen von Menschen bekommen, die mir sagen, wie froh sie sind, wie ich mich positioniere.

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Glauben Sie, dass die Impfpflicht auch durchgesetzt werden kann?

Wir haben mit unserem Papier ja nur die Diskussion eröffnet und die anderen Kolleginnen und Kollegen aufgefordert, sich an der Debatte zu beteiligen. Wir werden sehen, was letztlich herauskommt und davon hängt auch für mich persönlich ab, ob ich dem Gesetzentwurf tatsächlich zustimmen werde. Die Bandbreite der möglichen Kontrollen der Impfpflicht ist ja groß. Es könnte zum Beispiel anlassbezogene Kontrollen geben, etwa bei Veranstaltungen. Man könnte theoretisch soweit gehen, die 1-G-Regel in bestimmten Bereichen einzuführen und Kontrollen etwa im Einzelhandel durchzuführen. Aber soweit will ich gar nicht gehen. Für mich steht am Anfang erst einmal eine neue Aufklärungskampagne, die völlig neu aufgestellt werden muss, um Impfskeptiker zu überzeugen. Und es muss überall niederschwellige Impfangebote geben. Es gibt immer noch in Teilen der Republik die hanebüchene Situation, dass Sie es schwer haben, eine Impfung zu bekommen.

Und wenn das alles nichts hilft? Ins Gefängnis soll nach Ihrem Entwurf letztlich ja niemand gehen…

Das Bußgeld, das sich weiter erhöhen kann, ist das Mittel. Auch wenn wir keine Ordnungshaft wollen, so gibt es jedoch genug rechtliche Möglichkeiten, um die Gelder auch tatsächlich eintreiben zu können.

Ein nationales Impfregister wird es nicht geben?

Rechtlich wäre es vielleicht sogar machbar. Aber praktisch würde es uns nichts nützen. Der Aufbau würde zwischen zwei und vier Jahren dauern.

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Sterbehilfe, Organtransplantationen, Adoptionsrecht – Sie widmen sich oft schwierigen ethischen Fragen. Ist die Impfpflicht jetzt trotzdem die schwierigste Frage?

Ich will da kein Ranking aufstellen. Was man sicherlich sagen kann: Die Frage der Impfpflicht ist insofern die größte Herausforderung, da die Datengrundlage in solch einer Pandemie naturgemäß unsicher ist und der Druck groß, weil sie die gesamte Gesellschaft betrifft.

>> HINTERGRUND: Kernpunkte: Drei Impfungen und Pflicht ab 18 Jahren

  • Noch gibt es keinen ausgearbeiteten Entwurf der sieben Abgeordneten. Das soll erst nach der heutigen Orientierungsdebatte geschehen.
  • SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese hatte als Kernpunkte erkennen lassen: Die Pflicht soll auf ein bis zwei Jahre befristet sein, für alle ab 18 Jahre und für nicht mehr als drei Impfungen gelten. Eine vierte Booster-Impfung wäre freiwillig.