Bad Berleburg. Minderwertiges Borkenkäferholz?Ganz im Gegenteil, sagt die Stadt Bad Berleburg und setzt konsequent auf Holz. Was alles damit möglich ist.

Ein Pkw-Parkhaus aus Borkenkäferholz – das klingt schon zukunftsträchtig. Aber für Bernd Fuhrmann (55) geht der Blick nicht weit genug voraus. „Was geschieht damit, wenn wir in Zukunft weniger Autos haben, wenn wir weniger Stellplätze brauchen?“, fragt sich der Bürgermeister von Bad Berleburg, einer Kleinstadt in Siegen-Wittgenstein mit knapp 20.000 Einwohnern, verteilt auf 23 Dörfer. Fuhrmann gibt selbst die Antwort: „Wir wollen das Parkhaus so konzipieren, dass man es als Bürogebäude umnutzen kann – etwa als Co-Working-Ort.“

Ob es tatsächlich dazu kommt? Das ist noch nicht klar, aber der erste große Schritt ist geschafft. Das Land NRW hat Geld für die Machbarkeitsstudie gegeben. Fällt die positiv aus, arbeitet die Stadt weiter an ihrer Mission: das Borkenkäferholz, das es hier in rauen Mengen gibt, von seinem negativen Image zu befreien. Klar zu machen, dass die Bäume zwar durch Käfer absterben, dass sich die Landschaft dramatisch verändert – dass aber das Holz keineswegs minderwertig ist.

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Das versucht Bad Berleburg an vielen symbolträchtigen Beispielen deutlich zu machen: Bushaltestellen-Häuschen aus massivem Borkenkäferholz sind entstanden und gerade eben sind in den Ortschaften 19 hölzerne „Lesekörbe“ aufgestellt worden. In ihnen kann man sitzen bzw. liegen und – ob in gedruckter Form oder digital auf einem bereit gestellten Tablet – Bücher lesen. Und dann gibt es auch noch die „Blockhaus-Typen“, Sascha Böhl und Mario Sonneborn, zwei junge Handwerker, die mit ihrem Unternehmen ganze Blockhäuser aus Borkenkäferholz bauen.

Feuerwehrgerätehäuser sollen aus Borkenkäferholz entstehen

Über den Prototyp der Outdoor-Lesekörbe am Zentrum „Via Adrina“ freuen sich (v.l.) Bürgermeister Bernd Fuhrmann, Arfelds Ortsvorsteher Kai-Uwe Jochims und Lesekorbentwickler Lothar Kuhmichel.
Über den Prototyp der Outdoor-Lesekörbe am Zentrum „Via Adrina“ freuen sich (v.l.) Bürgermeister Bernd Fuhrmann, Arfelds Ortsvorsteher Kai-Uwe Jochims und Lesekorbentwickler Lothar Kuhmichel. © Stadt Bad Berleburg | Stadt Bad Berleburg

Bernd Fuhrmann, der Bürgermeister, weiß, dass es solche ganz konkreten Beispiele braucht, um das Image zu drehen. Für ihn sind sie aber eingebettet in eine ganzheitliche Strategie. Vor wenigen Wochen hat der Stadtrat eine „Holz-Agenda“ verabschiedet. Sie soll die Leitschnur sein für das künftige Handeln. Wo immer es geht, soll Holz aus der Region eingesetzt werden bei öffentlichen Bauten. Zwei neue Feuerwehrgerätehäuser sollen aus Holz entstehen. Auch Privatleute sollen beim Einsatz von Holz besser beraten werden.

Für Bernd Fuhrmann vorläufiger Höhepunkt eines zweijährigen Prozesses. Damals hatte die Stadt – wie so viele andere Kommunen auch – den Klimanotstand ausgerufen. Wegen der Trockenheit in dieser sehr waldreichen Kommune. Ein vielfach als reine Symbolpolitik verschriener Akt. Doch in Bad Berleburg folgte danach ganz Konkretes. Unterschiedliche Akteure setzten sich zusammen. Das Fürstenhaus zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg als Groß-Waldbesitzer, aber auch die kleinen Waldbauern. Oder das holzverarbeitende Gewerbe. Sie haben die konkreten Projekte erarbeitet, die die Möglichkeiten mit Käferholz zeigen sollen.

Fürstenhaus erleidet Schaden in zweistelliger Millionenhöhe

Johannes Röhl (62) steht, wie er sagt, voll hinter diesem Weg. Pure Öko-Romantik kann er sich dabei nicht leisten. Er ist Chef der Fürstlichen Rentkammer, verwaltet also die rund 12.000 Hektar großen Waldflächen des Fürstenhauses zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Einen Vermögensverlust in zweistelliger Millionenhöhe hat die Trockenheit der vergangenen Jahr dem Fürstenhaus bislang beschert.

Forstdirektor Johannes Röhl, Leiter der Wittgenstein-berleburg'schen Rentkammer.
Forstdirektor Johannes Röhl, Leiter der Wittgenstein-berleburg'schen Rentkammer. © WP | Lars-Peter Dickel

Röhl geht es nun darum, den Wald vor Ort auch weiter wirtschaftlich nutzen zu können. Durch gezielte Durchforstungen könne man die Zielstärke eines Baums schon nach 70 bis 80 Jahren erreichen, nicht erst nach 100 bis 110 Jahren. „Man braucht das heimische Holz, wenn wir extrem energieintensive und klimaschädliche Baustoffe wie Zement oder Ziegel ersetzen wollen“, so der Forstdirektor. „Und wenn man nicht will, dass die Bäume aus Sibirien geholt werden, dann müssen wir unser Holz nutzen.“

„Wir haben ja nichts von dem, was wir jetzt pflanzen“

Das stehe nicht im Widerspruch zum Gedanken der Nachhaltigkeit. Sondern ganz im Gegenteil: „Nachhaltigkeit ist ja das Wesen des Forstbetriebs“, sagt Johannes Röhl. „Wir haben ja nichts von dem, was wir jetzt pflanzen, sondern erst die nächste Generationen.“ Und zur Nachhaltigkeit gehöre es eben auch, konsequent das Borkenkäferholz zu nutzen. Würde er denn selbst ein Haus daraus bauen? „Ja, 100-prozentig“, sagt Röhl. „Das Holz hat allenfalls optisch einige Verfärbungen, aber es ist technisch völlig einwandfrei.“ Er freut sich, dass die Kompetenz in Sachen Borkenkäferholz vor Ort entwickelt wird: „Wir können in Bad Berleburg nicht die Welt retten, aber wir können zeigen, was alles geht.“

>> HINTERGRUND: „Bienenfutter“ aus alten Kaugummiautomaten

  • Den Titel „Nachhaltigste Kleinstadt Deutschlands 2020“, den die Allianz-Stiftung vergibt, hat sich Bad Berleburg schon erarbeitet. Und zwar mit ihrem entwickelten Leitbild. Ein Punkt dabei: Jedem Ratsbeschluss geht eine Nachhaltigkeitsprüfung voraus.
  • Die 30.000 Euro Preisgeld und weitere 55.000 Euro aus dem LEADER-Programm werden jetzt für weitere Nachhaltigkeitsprojekte in den 23 Ortschaften genutzt. Unter anderem für 50 Obstbäume, 205 Nistkästen, 201 Insektenhotels und mehr als 50 Bänke aus heimischem Holz.
  • Im Dorf Hemschlar wurden zudem zwei „Bienenfutterautomaten“, recycelt aus alten Kaugummiautomaten, aufgebaut. Hier kann man Saatgutkapseln ziehen.