Hagen/Berlin. Drei neue Bundestagsabgeordnete aus Südwestfalen berichten aus Berlin. Wo verläuft man sich? Was hat Kaktus Gertrud mit all dem zu tun?
Wer Zugang zum Zentrum der Macht hat, ist noch lange nicht gefeit vor Fehlern. „Ich hatte mir vorgenommen, alles wahnsinnig souverän zu meistern, muss aber zugeben, dass ich mich direkt bei meinem ersten Termin verlaufen habe“, sagt Laura Kraft (Die Grünen) und lacht dabei. Die 31-Jährige ist frisch gewählte Bundestagabgeordnete aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein. Erst Montagmorgen stand fest, dass sie nach Berlin darf. Schnell Koffer packen, Zug buchen, Hotel finden. Abreise in ein neues Leben. Eines, das aufregend ist und in das man sich einfinden muss. Apropos finden: gar nicht so leicht in den riesigen Gebäuden mit den vielen Ein- und Ausgängen. „Ich musste den Pförtner fragen – und der konnte mir sagen, dass ich völlig falsch war“, berichtet Laura Kraft.
Wie war die erste Woche in Berlin? Wie ist die Stimmung in der CDU und wie viel Platz darf ein Büro haben? Drei Abgeordnete aus Südwestfalen über Einblicke und Eindrücke hinter den Kulissen der großen Politik.
In der Stadt, die nie schläft
Am Montagabend kam Laura Kraft (Die Grünen) in Berlin an. Sofort zum Kennenlern-Event. Am nächsten Morgen: Reichstag. „Ich war fast ehrfürchtig, als ich das erste Mal den Reichstag betreten habe“, sagt sie. Auf dem Weg dahin macht sie ein Selfie zur Erinnerung an diesen Tag. Treffen im Plenarsaal mit den über 100 anderen neuen Abgeordneten der Grünen. Bitte Platz nehmen. „Ich habe mich hinterher gefragt, ob man diesen Moment noch etwas mehr hätte zelebrieren können, denn letztlich habe ich mich auf den Stuhl gesetzt wie auf jeden anderen auch.“ Dort herrscht Ess- und Trinkverbot. „Das ist eigentlich nicht überraschend und hat auch mit der Würde des Hauses zu tun. Aber das heißt eben auch, dass man während stundenlanger Sitzungen immer rausgehen muss, um einen Schluck zu trinken.“
Die Prominenz der eigenen Partei ist nah. Anton Hofreiter, Claudia Roth, Katrin Göring-Eckardt – hier ein Treffen, dort ein Pläuschchen. Laura Kraft bezieht ihr vorläufiges Büro, lernt Mitarbeiter und Kollegen kennen, nimmt an Orientierungsveranstaltungen teil, unterzeichnet ihre Beitrittserklärung zur grünen Bundestagsfraktion. „Die vier Tage in Berlin waren so dicht, dass mir der Montag schon vorkommt als sei er einen Monat her. Das war die totale Reizüberflutung, gerade für mich als jemand, der eher aus einem ländlichen Gebiet kommt. Die Geräusche und Gerüche einer Stadt, die nie schläft – daran muss ich mich erst noch gewöhnen.“ Aufregend sei das alles, „wie die erste Klassenfahrt“.
Nächste Woche will sie Unterstützung mitbringen: Ihre pflegeleichte Büropflanze, ein Kaktus mit dem Namen Gertrud, den sie von einer Arbeitskollegin an der Universität Siegen geschenkt bekam, soll sie ins Büro begleiten und dort ein Plätzchen finden.
Im Wechselbad der Gefühle
Florian Müller (CDU) ist der Abgesandte aus dem Wahlkreis Olpe/Märkischer Kreis I. Darüber freut er sich. Allerdings könnte die Lage seiner Partei eine bessere sein. Dort sind offenbar viele auf der Suche, nur nicht unbedingt nach Räumen. „Gerade das Zwischenmenschliche ist sehr spannend, weil viele Abgeordnete der Union ihren Platz suchen. Das betrifft die Neuen, wie mich, aber auch die Etablierten aus den vorderen Reihen, die ausstrahlen, dass diese Niederlage mit ihnen nicht passiert wäre, aber nun nicht wissen, was aus ihnen wird“, sagt Müller. Am Mittwoch gab es eine Orientierungsveranstaltung, in der den Neuen „die Verhaltensregeln noch einmal nähergebracht“ wurden: „Das zeigt, wie wichtig der Union nach den Maskendeals und Nebentätigkeiten ist, dass die neuen Abgeordneten keine Fehler begehen und sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sind.“
Sein ganz besonderer Moment der Woche? Der Gang in den Plenarsaal. „Wenn man den Fuß über diese Schwelle setzt, dann spürt man die Verantwortung für Südwestfalen – und in der derzeitigen politischen Lage auch weit darüber hinaus.“ Der Geschäftsstelle der Landesgruppe meldete er, worum er sich inhaltlich kümmern will: „Es ist wichtig, dass sich jemand aus der Region um das Thema Infrastruktur kümmert.“ In dem Bestreben, die heimische Region nach vorn zu bringen, weiß er mit Generalsekretär Paul Ziemiak (Iserlohn) und dem Partei-Granden Friedrich Merz (Hochsauerland) an seiner Seite. Vorerst mietete sich der 34-jährige Müller – junger Familienvater und bisher für die Lufthansa in Diensten – in ein Hotel ein.
Immer in Bewegung
Bettina Lugk (SPD) trägt eine dieser neumodischen Uhren am Handgelenk, die die Schritte am Tag zählen: 16.000 waren es am ersten Tag in Berlin – und das obwohl sie als bisherige Mitarbeiterin der Bundestagsverwaltung die Liegenschaften kennt und deswegen keine Wege umsonst macht. „Für einen einzelnen Menschen ist das schon sehr viel, was da in den ersten Tagen auf einen einströmt“, sagt sie. Es sei eine Herausforderung, die sich zum Teil überschneidenden Termine wahrzunehmen und alle Unterlagen, die man braucht, bereitliegen zu haben. Einer der Termine: Ausgabe der Laptops, Zugangsdaten, Telefonnummern und Ausweise. Auf der Zugfahrt nach Berlin telefonierte sie permanent oder verschickte Nachrichten. „Ich hatte das Gefühl, schlagartig in einer anderen Welt angekommen zu sein.“
Die 39-Jährige ist Nachfolgerin von Dagmar Freitag. Deren Mitarbeiterstab kann sie übernehmen, die Büros nicht. Lugk stehen drei Räume à 18 Quadratmetern zur Verfügung. Sie sitzt sozusagen auf gepackten Kartons und wartet darauf, wo ihr etwas zugewiesen wird.
Beim Betreten des Plenarsaals machte sie ein Selfie, „weil mir der Moment so wichtig war.“ Die Woche sei „aufregend für mich persönlich“ gewesen. „Am meisten bewegt hat mich aber, zu sehen, mit wie viel Anerkennung meine Vorgängerin Dagmar Freitag verabschiedet wird“.