Hagen. Die Hagener Philharmoniker entführen zu Neuen Welten: So war das erste Sinfoniekonzert nach dem Lockdown

Begeisterter Beifall, sobald die Musiker die Bühne der Hagener Stadthalle betreten. Noch ist kein Ton erklungen, aber glückselige Erwartung macht sich bereit. Am 11. März 2020 konnten die Hagener Philharmoniker zum letzten Mal jene besondere Beziehung zelebrieren, die in Hagen seit über 100 Jahren zwischen Orchester und Publikum besteht. Damals lauerte die Corona-Pandemie wie ein verhängnisvoller Schatten über dem Programm. Am folgenden Tag ging die Stadt in den Lockdown.

Keiner ahnte, wie lange die Live-Kultur komplett stillgelegt werden würde. Große Sinfonik wurde für anderthalb Jahre unerreichbar. Und so strömen jetzt die 450 zugelassenen Besucher voller Vorfreude in das erste Sinfoniekonzert seit dem Lockdown. Generalmusikdirektor Joseph Trafton setzt mit Brahms und Dvorak entsprechend Herzens-Musik auf den Spielplan; das Orchester kann wieder in voller Besetzung spielen, die Zuhörer dürfen am Platz die Maske abnehmen, die gemessene Raumluftqualität bewegt sich im sehr grünen Bereich.

Jeder Ton wird zum Ereignis

Nach der langen Konzertpause wird jeder Ton, jeder Akkord, zum Ereignis. Die Ohren sind entwöhnt, die Seele auch. Der geben die Philharmoniker unter Trafton nun Nahrung. Zum Beispiel mit den „Variationen über ein Thema von Joseph Haydn“ von Johannes Brahms, denen ein Wallfahrtslied für St. Antonius zugrunde liegt. Die Musiker und ihr Dirigent haben die Details voller Sorgfalt ausgearbeitet, aber man merkt ihnen die lange Zwangspause doch an, denn die Spannung, sackt mehrfach in sich zusammen, der große Bogen fehlt noch.

Ein Trauergesang

Das ändert sich bei Antonin Dvoraks 9. Sinfonie „Aus der neuen Welt“, die für einen Dirigenten aus den USA, der in Europa arbeitet, ein besonders symbolträchtiges Werk ist. Trafton stellt das Largo in den Mittelpunkt, die Totenklage des Häuptlings Hiawatha. Nach Dvoraks eigenen Worten ist der Trauergesang durch eine Szene aus Henry Wadsworth Longfellows berühmtem gleichnamigen Gedicht angeregt worden. Wunderbar gestaltet in Hagen das Englisch Horn den Trauergesang, es gibt herrlich ausgeleuchtete Übergänge zwischen den Abschnitten, etwa wenn die Celli begleitend zur Melodie ein leises Gebet summen. Während Dvorak selbst sein Largo als von Indianermusik geprägt bezeichnete, macht Trafton daraus eine wehmütige Hymne an das ländliche Amerika mit seinen Liedern und seinen Naturimpressionen.

Überhaupt gelingt es gut, die Stimmungen in den einzelnen Sätzen auf den Punkt zu bringen, aber vor allem kostet das Orchester das Sinfonische endlich wieder in ganzer Bandbreite aus: Die auftrumpfenden Steigerungswellen mit ihren dynamischen Schattierungen, die harten Kontraste im Scherzo und vor allem die energischen, blechbeseelten Orchestertriumphe im Finale. Ein letztes Mal Gas geben, ein letzter Ruf des Horns, ein delikat gehaltener Schlussakkord: Traftons Interpretation der Sinfonie mit den klangschön musizierenden Philharmonikern ist mehr als ein geographisches Landschafts- und Sittengemälde. Die neue Welt wird zum Sehnsuchtsort, zur Utopie nach einer weltweiten Gesundheitskrise.

Aufregendes Oboenkonzert

Ähnlich überraschend geht es beim aufregendsten Teil des Programms zu. Fanny Kloevekorn, die junge Solo-Oboistin der Hagener Philharmoniker, interpretiert das Oboenkonzert des australischen Komponisten Nigel Westlake (geb. 1958) und beweist damit einmal mehr, wie gut die Musiker des Orchesters sind. Der Titel „Spirit of the Wild“ legt eine Expedition in ungewöhnliche Klangregionen nahe. Und tatsächlich ist die Kombination von Streichorchester, Hörnern, Klavier, Harfe und sehr groß besetztem Schlagzeug mit der Solo-Oboe ungemein apart.

Australische Wildnis

So entsteht ein faszinierend farbenreiches Spiel mit Naturerscheinungen der Wüste wie Sirren, Summen und Flirren, mit herabstürzenden Harfenkaskaden, wilden Trommeln und ekstatischen Streichersequenzen. Fanny Kloevekorn interpretiert das anspruchsvolle Opus auswendig spielend mit bestechender Tiefe und Spannung. Auch hier wird der langsame Satz zum Lied, begleitet unter anderem vom Vibraphon, bezaubernd ausgesungen von der hochbegabten Solistin: Musik, so fremd, so schön und ein Versprechen auf mehr, viel mehr.

Ab dem nächsten Sinfoniekonzert am 26. Oktober dürfen 600 Besucher in den Saal. Die Konzertbusse starten wieder ab November. www.theaterhagen.de

Am Sonntag, 3. Oktober, gastiert das Philharmonische Orchester Hagen mit diesem Programm im Parktheater Iserlohn. Beginn ist um 19 Uhr. www.parktheater-iserlohn.de