Hagen. Trauer und Bestürzung in der Kulturszene der Region: Werner Hahn, der die Theaterlandschaft in Hagen und Siegen geprägt hat, ist tot. Ein Nachruf
Der berühmte Regisseur Claus Peymann war sprachlos, als er mit dem Hagener Theaterkünstler Werner Hahn im Jahr 2016 durch die Hagener Fußgängerzone flanierte. Auf Schritt und tritt schallte den beiden Männern ein fröhliches „Hey Werner“ entgegen, von Jungen mit und ohne türkische Wurzeln, Frauen und Männern aller Altersstufen und sozialen Gruppen sowie vielen, vielen Kindern, einige davon im Rollstuhl. Für fast alle von ihnen wäre das Theater ein unerreichbarer Ort geblieben.
Werner Hahn öffnete diese magische Welt in die Stadtgesellschaft hinein. Der Katholik glaubte unerschütterlich an die verändernde Kraft des Theaters. Sein vorzeitiger und überraschender Tod im Alter von 65 Jahren bei einer Probe hinterlässt Familie, Freunde, Weggefährten und Tausende von Kulturfreunden fassungslos und traurig.
Ein Mann mit Tempo, der das Leise und Langsame pflegte
Wer Werner Hahn kennenlernen durfte, war fasziniert von der unerschütterlichen Energie, der überbordenden Kreativität, mit denen dieser Künstler seiner Vision treu blieb. Bei allem Tempo seiner Arbeit erschließt sich die Persönlichkeit Werner Hahn aber erst mit dem Blick auf das Leise und Langsame. Nach Siegen, wo er seit der Spielzeit 2017/2018 mit großem Erfolg das Junge Apollo im Siegener Apollotheater aufbaute, fuhr er beispielsweise von seinem Wohnort Hagen aus gerne über die Landstraßen, in gemächlicher Reisegeschwindigkeit, was ihm die Gelegenheit gab, Landschaft zu genießen und oft auch anzuhalten, um besondere Landschaftsstimmungen zu fotografieren. Der vielbeschäftigte Theatermacher war zeitlebens ein Sucher und Entdecker, der die ausgefahrenen, die geraden und schnellen Wege scheute.
Sieben Kinder und ein begeisterter Opa
An der Oper Zürich fand der junge Bariton aus Salzburg 1978 sein erstes Engagement und lernte dort auch seine Frau Micheline kennen. Sieben Kinder machten das Eheglück perfekt, und „begeisterter Opa“ wurde immer öfter zu einer Lieblingsrolle. Als Solist gehörte Werner Hahn ab 1982 zu den populärsten Künstlern am Theater Hagen, er liebte diese Bühne, und die Bühne liebte ihn. Der Ensemblegedanke war ihm wichtig, jene theaterspezifische Mischung aus erfahrenen und jungen Künstlern, die sich gegenseitig befruchten. Werner Hahn, der Hochprofessionelle, kannte jeden Theatereffekt, er wusste genau, wie er welche Wirkungen erzielen konnte, und doch verlor sein Spiel und später auch seine Regiearbeit nie die Unschuld des immer Neugierigen.
So hätte es weitergehen können, Beifallsumrauscht, hochgeachtet, doch irgendwann war das Sängerdasein nicht mehr genug. Werner Hahn ging stattdessen in die Drogenkliniken, in die Förderschulen und Flüchtlingsheime. Er gründete im Jahr 2000 am Theater Hagen das Lutz, ein innovatives Jugendtheaterprojekt. Hahn war überzeugt, dass das Theaterspiel kleine und große Wunder vollbringen kann. So brachte er die ins Rampenlicht, die eine Stadtgesellschaft sonst übersieht. „Darin habe ich mehr Aufgabe gesehen, als zum siebten Mal den Papageno zu singen, schilderte er einmal im Interview.
Berühmten Schauspielern wie Sabin Tambrea frühe Chance gegeben
Anfangs wurde er deswegen als Sozialromantiker belächelt. Denn das Jugendtheater hatte zu jener Zeit kaum Anerkennung, es war für viele Intendanten ein notwendiges Übel, bei dem man ohne viel Leidenschaft Schulklassen mit pädagogisch gebotenen Stoffen abfertigte. Schnell sprach sich herum, dass es im Lutz des Theaters Hagen anders zugeht. Denn bei Werner Hahn waren Jugendliche nicht nur das Publikum, sie waren auch die Akteure. Heute berühmte Schauspieler wie Sabin Tambrea hatten so die Chance, ihre Begabung auszuprobieren.
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Aber das Ziel war nicht, künftige Stars zu entdecken, sondern zu vermitteln, dass es noch etwas Anderes gibt im Leben, etwas, das verbindet, das Wunderbare. „Ich versuche, Menschen abzuholen, Menschen mit Behinderung, Flüchtlinge, Menschen in Randsituationen. In Städten wie Hagen und Siegen, wo die Gesellschaft bunter wird, haben wir ein Problem mit der gemeinsamen Mitte. Jeder rennt sich an seinem Rand wund, aber wir haben kein Vertrauen zu einer gemeinsamen Mitte, wo jeder seins mitbringt und etwas Neues entstehen kann“, begründete er.
Jahrelang das Weihnachtsmärchen am Theater Hagen inszeniert
Jahrelang schrieb und inszenierte Hahn die Weihnachtsmärchen am Theater Hagen, und immer standen darin Jungen und Mädchen im Mittelpunkt, die nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen und es trotzdem mit Mut und Freundschaft schaffen, sich zu behaupten. Am Apollo Siegen setzte er diese Arbeit fort. Auf dem Hagener Weihnachtsmarkt lebt Hahn mit seiner Stimme weiter; er erzählt die Geschichten in den beliebten Märchen-Schaukästen.
Eng verbunden war Werner Hahn der Stiftung Volmarstein und der dortigen Oberlinschule. Regelmäßig brachte er Musik zu den mehrfach schwerbehinderten Schülerinnen und Schülern. Die kulturellen Projekte, die Werner Hahn und das Philharmonische Orchester Hagen mit der Oberlin-Schule ermöglichten, zeichnete Bundespräsident Joachim Gauck mit einem Hauptpreis des „Kinder zum Olymp!- Wettbewerbs aus, dem Kultur-Oscar unter den deutschen Preisen. Das hängte Hahn nicht an die große Glocke, ebensowenig wie das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, mit dem er für sein Wirken geehrt wurde.
„In der Kunst zählt nicht die Schachtel, in der man drin steckt“
Schubladendenken war Werner Hahn verhasst. Die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen erfüllten ihn mit Besorgnis, gerade die Diskussion, in Theater und Film Rollen nach ethnischen Gesichtspunkten zu besetzen statt nach künstlerischen. Für Hahn war das Theater der Ort, an dem jeder Mensch alles sein konnte, ein Ort der Verwandlung. „Bei uns steht die Türkin oder der Behinderte nicht auf der Bühne, weil sie Türkin oder behindert sind, sondern, weil sie so interessante Menschen sind“, sagte Hahn. „In der Kunst zählt nicht die Schachtel, in der man drin steckt, in der Kunst zählt das Individuum.“ Zum 75-Jahr-Jubiläum der Westfalenpost hat Werner Hahn das Stück „Mücken auf der Haut“ geschrieben, eine mobile Theaterproduktion zum Thema Alltagsrassismus. Im Oktober sollte im Pressehaus Hagen die Premiere sein.
Und dann gibt es noch diese Seite von Werner Hahn, die öffentlich wenig bekannt war: sein ehrenamtliches Engagement. Bei allen Pflichten fand er die Zeit, in Altersheime und ins Hospiz zu gehen, um dort mit seinem Gesang Freude zu bereiten. Zusammen mit seinem Freund und langjährigen künstlerischen Weggefährten Prof. Reinhard Leisenheimer (1939 - 2014) hat er diese Tradition vor Jahrzehnten am Theater Hagen begründet und nach Leisenheimers Tod weitergeführt. Wie jeder Künstler liebte und brauchte Werner Hahn den Applaus, aber der Beifall war nicht sein Antrieb. Sein Antrieb waren der unbeirrbare Glaube, dass Theater die Welt ein bisschen besser machen kann und die Überzeugung, dass ein Künstler gegenüber der Gesellschaft eine Verantwortung hat.